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Röll, [Victor] von (Hrsg.): Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. 2. Aufl. Bd. 4. Berlin, Wien, 1913.

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Der kontinuierliche Parallelträger war früher bei Brücken mit mehreren Öffnungen die gebräuchlichste Tragwerksanordnung. Als Vorteile gegenüber Einzelträgern kamen in Betracht: die Verminderung der Biegungsmomente und die dadurch erzielte Baustoffersparnis, die bei größeren Spannweiten 10 bis 20% erreichen kann, und die Möglichkeit einer Aufstellung ohne festes Baugerüst durch freien Vorbau oder durch Einschieben des kontinuierlichen Tragwerkes. Die statische Unbestimmtheit


Abb. 102. Moldauviadukt bei Cervena.

Abb. 103. Brücke über den Firth-of-Fourth.
des durchgehenden Balkens (s. d.) ist aber mit nicht unwesentlichen Nachteilen verbunden. Änderungen in der Höhenlage der Stützen (durch Pfeilersenkungen), desgleichen ungleiche Erwärmungen beider Gurte infolge Sonnenbestrahlung können beträchtliche, in ihrer Größe schwer zu beurteilende Spannungsveränderungen im Träger zur Folge haben. In Erkenntnis dieses Umstandes ist man von der Verwendung des kontinuierlichen Trägers bei größeren Brücken jetzt wohl fast gänzlich abgekommen, umsomehr als sich indem statisch bestimmten kontinuierlichen Gelenkträger, Gerber- oder Auslegerträger ein ziemlich vollwertiger Ersatz darbietet. Seine Anwendung läßt nämlich gegenüber Einzelträgern eine ähnliche Materialersparnis erzielen und gestattet auch den freien Vorbau; allerdings verursacht die Anordnung der Gelenke einige Mehrkosten und die Einsenkungen unter der Belastung sind im allgemeinen etwas größer als bei dem gelenklosen kontinuierlichen Träger.

Die Gerberträger werden entweder mit durchweg gleicher Trägerhöhe, also mit parallelen Gurtungen oder mit wechselnder, den Maximalmomenten angepaßter Trägerhöhe, demnach mit gekrümmten Gurten ausgeführt. Abb. 102, der Viadukt über die Moldau bei Cervena in der Eisenbahnlinie Tabor-Pisek gibt ein Beispiel für die Anwendung des parallelgurtigen Auslegerträgers. Die Träger der 84·4 m weit gespannten Seitenöffnungen sind hier 25·3 m weit in das Mittelfeld ausgekragt und der zwischen ihnen eingehängte Träger von 33·7 m Stützweite ist auf Kipplager gesetzt, die in der halben Höhe im Innern der kastenförmig ausgebildeten Endständer der Kragarme bei G G angebracht sind. Zu den ersten Ausführungen dieses Trägersystems zählen die Donaubrücke bei Vilshofen, in Amerika der Kentucky-River-Viadukt, die Frazer-River-Brücke u. a.

Später hat man die wirtschaftlich günstigere Anordnung mit eckigen oder gekrümmten Gurten vorgezogen, und ist dieses Trägersystem in sehr mannigfachen Formen und für die größten Spannweiten, die bisher im Brückenbau zu bewältigen waren, zur Ausführung gekommen. Für die Formgebung solch weit gespannter Tragwerke war der Gedanke maßgebend, durch weit ausladende Kragarme mit über den Pfeilern großer Tragwandhöhe das Gewicht des Überbaues in der Feldmitte tunlichst zu vermindern und näher an die Pfeiler zu rücken.

Das großartigste Beispiel gibt die 1890 vollendete, aus Martinstahl erbaute Eisenbahnbrücke über den Firth-of-Forth in Schottland (Abb. 103), die durch

Der kontinuierliche Parallelträger war früher bei Brücken mit mehreren Öffnungen die gebräuchlichste Tragwerksanordnung. Als Vorteile gegenüber Einzelträgern kamen in Betracht: die Verminderung der Biegungsmomente und die dadurch erzielte Baustoffersparnis, die bei größeren Spannweiten 10 bis 20% erreichen kann, und die Möglichkeit einer Aufstellung ohne festes Baugerüst durch freien Vorbau oder durch Einschieben des kontinuierlichen Tragwerkes. Die statische Unbestimmtheit


Abb. 102. Moldauviadukt bei Cervena.

Abb. 103. Brücke über den Firth-of-Fourth.
des durchgehenden Balkens (s. d.) ist aber mit nicht unwesentlichen Nachteilen verbunden. Änderungen in der Höhenlage der Stützen (durch Pfeilersenkungen), desgleichen ungleiche Erwärmungen beider Gurte infolge Sonnenbestrahlung können beträchtliche, in ihrer Größe schwer zu beurteilende Spannungsveränderungen im Träger zur Folge haben. In Erkenntnis dieses Umstandes ist man von der Verwendung des kontinuierlichen Trägers bei größeren Brücken jetzt wohl fast gänzlich abgekommen, umsomehr als sich indem statisch bestimmten kontinuierlichen Gelenkträger, Gerber- oder Auslegerträger ein ziemlich vollwertiger Ersatz darbietet. Seine Anwendung läßt nämlich gegenüber Einzelträgern eine ähnliche Materialersparnis erzielen und gestattet auch den freien Vorbau; allerdings verursacht die Anordnung der Gelenke einige Mehrkosten und die Einsenkungen unter der Belastung sind im allgemeinen etwas größer als bei dem gelenklosen kontinuierlichen Träger.

Die Gerberträger werden entweder mit durchweg gleicher Trägerhöhe, also mit parallelen Gurtungen oder mit wechselnder, den Maximalmomenten angepaßter Trägerhöhe, demnach mit gekrümmten Gurten ausgeführt. Abb. 102, der Viadukt über die Moldau bei Cervena in der Eisenbahnlinie Tabor-Pisek gibt ein Beispiel für die Anwendung des parallelgurtigen Auslegerträgers. Die Träger der 84·4 m weit gespannten Seitenöffnungen sind hier 25·3 m weit in das Mittelfeld ausgekragt und der zwischen ihnen eingehängte Träger von 33·7 m Stützweite ist auf Kipplager gesetzt, die in der halben Höhe im Innern der kastenförmig ausgebildeten Endständer der Kragarme bei G G angebracht sind. Zu den ersten Ausführungen dieses Trägersystems zählen die Donaubrücke bei Vilshofen, in Amerika der Kentucky-River-Viadukt, die Frazer-River-Brücke u. a.

Später hat man die wirtschaftlich günstigere Anordnung mit eckigen oder gekrümmten Gurten vorgezogen, und ist dieses Trägersystem in sehr mannigfachen Formen und für die größten Spannweiten, die bisher im Brückenbau zu bewältigen waren, zur Ausführung gekommen. Für die Formgebung solch weit gespannter Tragwerke war der Gedanke maßgebend, durch weit ausladende Kragarme mit über den Pfeilern großer Tragwandhöhe das Gewicht des Überbaues in der Feldmitte tunlichst zu vermindern und näher an die Pfeiler zu rücken.

Das großartigste Beispiel gibt die 1890 vollendete, aus Martinstahl erbaute Eisenbahnbrücke über den Firth-of-Forth in Schottland (Abb. 103), die durch

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[186/0195] Der kontinuierliche Parallelträger war früher bei Brücken mit mehreren Öffnungen die gebräuchlichste Tragwerksanordnung. Als Vorteile gegenüber Einzelträgern kamen in Betracht: die Verminderung der Biegungsmomente und die dadurch erzielte Baustoffersparnis, die bei größeren Spannweiten 10 bis 20% erreichen kann, und die Möglichkeit einer Aufstellung ohne festes Baugerüst durch freien Vorbau oder durch Einschieben des kontinuierlichen Tragwerkes. Die statische Unbestimmtheit [Abbildung Abb. 102. Moldauviadukt bei Cervena. ] [Abbildung Abb. 103. Brücke über den Firth-of-Fourth. ] des durchgehenden Balkens (s. d.) ist aber mit nicht unwesentlichen Nachteilen verbunden. Änderungen in der Höhenlage der Stützen (durch Pfeilersenkungen), desgleichen ungleiche Erwärmungen beider Gurte infolge Sonnenbestrahlung können beträchtliche, in ihrer Größe schwer zu beurteilende Spannungsveränderungen im Träger zur Folge haben. In Erkenntnis dieses Umstandes ist man von der Verwendung des kontinuierlichen Trägers bei größeren Brücken jetzt wohl fast gänzlich abgekommen, umsomehr als sich indem statisch bestimmten kontinuierlichen Gelenkträger, Gerber- oder Auslegerträger ein ziemlich vollwertiger Ersatz darbietet. Seine Anwendung läßt nämlich gegenüber Einzelträgern eine ähnliche Materialersparnis erzielen und gestattet auch den freien Vorbau; allerdings verursacht die Anordnung der Gelenke einige Mehrkosten und die Einsenkungen unter der Belastung sind im allgemeinen etwas größer als bei dem gelenklosen kontinuierlichen Träger. Die Gerberträger werden entweder mit durchweg gleicher Trägerhöhe, also mit parallelen Gurtungen oder mit wechselnder, den Maximalmomenten angepaßter Trägerhöhe, demnach mit gekrümmten Gurten ausgeführt. Abb. 102, der Viadukt über die Moldau bei Cervena in der Eisenbahnlinie Tabor-Pisek gibt ein Beispiel für die Anwendung des parallelgurtigen Auslegerträgers. Die Träger der 84·4 m weit gespannten Seitenöffnungen sind hier 25·3 m weit in das Mittelfeld ausgekragt und der zwischen ihnen eingehängte Träger von 33·7 m Stützweite ist auf Kipplager gesetzt, die in der halben Höhe im Innern der kastenförmig ausgebildeten Endständer der Kragarme bei G G angebracht sind. Zu den ersten Ausführungen dieses Trägersystems zählen die Donaubrücke bei Vilshofen, in Amerika der Kentucky-River-Viadukt, die Frazer-River-Brücke u. a. Später hat man die wirtschaftlich günstigere Anordnung mit eckigen oder gekrümmten Gurten vorgezogen, und ist dieses Trägersystem in sehr mannigfachen Formen und für die größten Spannweiten, die bisher im Brückenbau zu bewältigen waren, zur Ausführung gekommen. Für die Formgebung solch weit gespannter Tragwerke war der Gedanke maßgebend, durch weit ausladende Kragarme mit über den Pfeilern großer Tragwandhöhe das Gewicht des Überbaues in der Feldmitte tunlichst zu vermindern und näher an die Pfeiler zu rücken. Das großartigste Beispiel gibt die 1890 vollendete, aus Martinstahl erbaute Eisenbahnbrücke über den Firth-of-Forth in Schottland (Abb. 103), die durch

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Zitationshilfe: Röll, [Victor] von (Hrsg.): Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. 2. Aufl. Bd. 4. Berlin, Wien, 1913, S. 186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roell_eisenbahnwesen04_1913/195>, abgerufen am 24.07.2024.