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Röll, [Victor] von (Hrsg.): Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. 2. Aufl. Bd. 3. Berlin, Wien, 1912.

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Abfertigungsvorschriften für die Beförderung von Personen, Reisegepäck, Leichen, lebenden Tieren, Fahrzeugen, Eil- und Frachtgütern ausgearbeitet, die nach langen Verhandlungen in den Jahren 1891 und 1892 zum 1. Januar 1893 eingeführt wurden.

Der deutsche Eisenbahnverkehr machte in dem Zeitabschnitt von 1886-1900 nach allen Richtungen höchst überraschende Fortschritte. Die Verwaltungen folgten durch verbesserte Einrichtungen den Bedürfnissen des Verkehrs, und dieser wieder wuchs infolge der Verbesserungen. Die Personen- wie die Gütertarife zeigten überall die Neigung, herabzugehen; nicht so sehr infolge der Herabsetzung der regelmäßigen allgemeinen Tarife als vielmehr infolge der fortwährend zunehmenden Gewährung von Ermäßigungen für bestimmte Verkehrsbeziehungen oder Herabsetzungen von Gütern aus einer Klasse in die andere. Im Personenverkehr ist die in diesen Zeitraum fallende großartige Entwicklung des sog. Rundreiseverkehrs innerhalb der zum VDEV. gehörigen Bahnen und noch über diese hinaus zu erwähnen. Auch sonst wurden für Wohlfahrtszwecke, für Arbeiterfahrten u. a. in immer steigendem Maße Preisherabsetzungen zugestanden, für Urlaubsreisen der Militärpersonen wurde allgemein der Pfennigtarif gewährt. Im Güterverkehr ist vor allem die am 1. April 1892 erfolgte allgemeine Einführung einer ermäßigten Stückgutklasse für Güter der Landwirtschaft und der Metallindustrie zu nennen; weiter am 1. April 1897 die allgemeine Einführung eines Rohstofftarifs für alle Brennstoffe und am 1. Oktober 1898 die eines ermäßigten Staffeltarifs für Stückgüter.

Sehr reich war der Zeitabschnitt an Neueinrichtungen im Betriebe und Bau. Am 1. Mai 1892 wurden in Preußen die ersten D-Züge, d. h. Schnellzüge mit Durchgangswagen eingerichtet, durch die den Reisenden neben anderen Annehmlichkeiten vor allem die freie Bewegung innerhalb des ganzen Zuges ermöglicht wird. In engem Zusammenhang damit stand die ständig vermehrte Einstellung von Schlaf- und Speisewagen sowie von 4achsigen Drehgestell wagen, die einen ruhigeren Gang sicherten. Seit 1894 führte die Internationale Schlafwagengesellschaft in Brüssel ihre Expreßzüge über deutsche Linien, zuerst den Orientexpreßzug Paris-Wien-Konstantinopel, dem dann eine ganze Anzahl anderer solcher Luxuszüge gefolgt ist. Die Schnelligkeit der durchgehenden Züge wurde in diesem Zeitabschnitt gesteigert. Einzelne Züge erreichten in der norddeutschen Tiefebene eine Durchschnittsgeschwindigkeit von mehr als 80 km in der Stunde. Durch die Einrichtung der Bahnsteigsperre wurde die Abfertigung der Personenzüge erleichtert und die Fahrkartenkontrolle gesichert. Im Güterverkehr wurde überall die Ladefähigkeit der Güterwagen erhöht, teils durch Verstärkung der Tragfedern, teils durch Neubeschaffung größerer Wagen. An Stelle der bisherigen Tragfähigkeit von 10 t trat eine solche von 12·5-15 t und mehr. Vierachsige Fahrzeuge bis zu 30 t wurden für besondere Zwecke beschafft. Zur Bewältigung des Güterverkehrs, zu rascherer Beförderung und tunlichster Vermeidung der Umladungen wurden die Güterzüge nach Arten getrennt, man vereinbarte Ferngüterzüge für den Massengüterverkehr, Durchgangsgüterzüge für Wagenladungen und geschlossene Stückgutladungen, endlich Ortsgüterzüge für den Nahverkehr aller Stationen.

Den drängenden Anforderungen des Verkehrs entsprechend war man auf allen Gebieten erfolgreich bemüht, die Leistungen der Eisenbahnen zu erhöhen. Die Schienengewichte wurden vergrößert, die Schwellenzahl vermehrt, nicht nur zweite, sondern auch dritte und vierte Gleise erbaut, zahlreiche Bahnhöfe wurden erweitert, die Sicherheitseinrichtungen wurden verbessert; die Fortschritte der Elektrizität fanden immer umfassendere Verwertung im Eisenbahndienst. Sehr wichtig war für die Schnelligkeit der Zugfolge und die Sicherheit des Zugdienstes die Einführung der elektrischen Streckenblockung, die durch die Eisenbahnbetriebsordnung von 1898 für alle Bahnen mit besonders dichter Zugfolge vorgeschrieben ist. Es gelang durch diese und weitere zahlreiche Fortschritte nicht nur die Leistungsfähigkeit der Anlagen, sondern auch die Sicherheit erheblich zu steigern, so daß die Unfallziffer der deutschen Eisenbahnstatistik fortgesetzt sank. Waren im Jahre 1886 auf 1 Million Wagenachs/km noch 0·33 Verunglückungen gekommen, so war diese Zahl im Jahre 1900 schon auf 0·18, also fast auf die Hälfte gesunken!

Aus den besonderen Fortschritten auf dem Gebiete des Eisenbahnbaus sei hier zunächst die Einführung des gemischten Zahnstangenbetriebs zur Überwindung großer Steigungen erwähnt. Die Halberstadt-Blankenburger Eisenbahngesellschaft eröffnete im Jahre 1886 die erste Strecke dieser Art in Deutschland, die Bahn von Blankenburg am Harz nach Tanne. Weiter muß hier besonders auf die zahlreichen großartigen Bahnhofsum- und -neubauten hingewiesen werden, die in diesem Zeitraum stattfanden. Hunderte von

Abfertigungsvorschriften für die Beförderung von Personen, Reisegepäck, Leichen, lebenden Tieren, Fahrzeugen, Eil- und Frachtgütern ausgearbeitet, die nach langen Verhandlungen in den Jahren 1891 und 1892 zum 1. Januar 1893 eingeführt wurden.

Der deutsche Eisenbahnverkehr machte in dem Zeitabschnitt von 1886–1900 nach allen Richtungen höchst überraschende Fortschritte. Die Verwaltungen folgten durch verbesserte Einrichtungen den Bedürfnissen des Verkehrs, und dieser wieder wuchs infolge der Verbesserungen. Die Personen- wie die Gütertarife zeigten überall die Neigung, herabzugehen; nicht so sehr infolge der Herabsetzung der regelmäßigen allgemeinen Tarife als vielmehr infolge der fortwährend zunehmenden Gewährung von Ermäßigungen für bestimmte Verkehrsbeziehungen oder Herabsetzungen von Gütern aus einer Klasse in die andere. Im Personenverkehr ist die in diesen Zeitraum fallende großartige Entwicklung des sog. Rundreiseverkehrs innerhalb der zum VDEV. gehörigen Bahnen und noch über diese hinaus zu erwähnen. Auch sonst wurden für Wohlfahrtszwecke, für Arbeiterfahrten u. a. in immer steigendem Maße Preisherabsetzungen zugestanden, für Urlaubsreisen der Militärpersonen wurde allgemein der Pfennigtarif gewährt. Im Güterverkehr ist vor allem die am 1. April 1892 erfolgte allgemeine Einführung einer ermäßigten Stückgutklasse für Güter der Landwirtschaft und der Metallindustrie zu nennen; weiter am 1. April 1897 die allgemeine Einführung eines Rohstofftarifs für alle Brennstoffe und am 1. Oktober 1898 die eines ermäßigten Staffeltarifs für Stückgüter.

Sehr reich war der Zeitabschnitt an Neueinrichtungen im Betriebe und Bau. Am 1. Mai 1892 wurden in Preußen die ersten D-Züge, d. h. Schnellzüge mit Durchgangswagen eingerichtet, durch die den Reisenden neben anderen Annehmlichkeiten vor allem die freie Bewegung innerhalb des ganzen Zuges ermöglicht wird. In engem Zusammenhang damit stand die ständig vermehrte Einstellung von Schlaf- und Speisewagen sowie von 4achsigen Drehgestell wagen, die einen ruhigeren Gang sicherten. Seit 1894 führte die Internationale Schlafwagengesellschaft in Brüssel ihre Expreßzüge über deutsche Linien, zuerst den Orientexpreßzug Paris-Wien-Konstantinopel, dem dann eine ganze Anzahl anderer solcher Luxuszüge gefolgt ist. Die Schnelligkeit der durchgehenden Züge wurde in diesem Zeitabschnitt gesteigert. Einzelne Züge erreichten in der norddeutschen Tiefebene eine Durchschnittsgeschwindigkeit von mehr als 80 km in der Stunde. Durch die Einrichtung der Bahnsteigsperre wurde die Abfertigung der Personenzüge erleichtert und die Fahrkartenkontrolle gesichert. Im Güterverkehr wurde überall die Ladefähigkeit der Güterwagen erhöht, teils durch Verstärkung der Tragfedern, teils durch Neubeschaffung größerer Wagen. An Stelle der bisherigen Tragfähigkeit von 10 t trat eine solche von 12·5–15 t und mehr. Vierachsige Fahrzeuge bis zu 30 t wurden für besondere Zwecke beschafft. Zur Bewältigung des Güterverkehrs, zu rascherer Beförderung und tunlichster Vermeidung der Umladungen wurden die Güterzüge nach Arten getrennt, man vereinbarte Ferngüterzüge für den Massengüterverkehr, Durchgangsgüterzüge für Wagenladungen und geschlossene Stückgutladungen, endlich Ortsgüterzüge für den Nahverkehr aller Stationen.

Den drängenden Anforderungen des Verkehrs entsprechend war man auf allen Gebieten erfolgreich bemüht, die Leistungen der Eisenbahnen zu erhöhen. Die Schienengewichte wurden vergrößert, die Schwellenzahl vermehrt, nicht nur zweite, sondern auch dritte und vierte Gleise erbaut, zahlreiche Bahnhöfe wurden erweitert, die Sicherheitseinrichtungen wurden verbessert; die Fortschritte der Elektrizität fanden immer umfassendere Verwertung im Eisenbahndienst. Sehr wichtig war für die Schnelligkeit der Zugfolge und die Sicherheit des Zugdienstes die Einführung der elektrischen Streckenblockung, die durch die Eisenbahnbetriebsordnung von 1898 für alle Bahnen mit besonders dichter Zugfolge vorgeschrieben ist. Es gelang durch diese und weitere zahlreiche Fortschritte nicht nur die Leistungsfähigkeit der Anlagen, sondern auch die Sicherheit erheblich zu steigern, so daß die Unfallziffer der deutschen Eisenbahnstatistik fortgesetzt sank. Waren im Jahre 1886 auf 1 Million Wagenachs/km noch 0·33 Verunglückungen gekommen, so war diese Zahl im Jahre 1900 schon auf 0·18, also fast auf die Hälfte gesunken!

Aus den besonderen Fortschritten auf dem Gebiete des Eisenbahnbaus sei hier zunächst die Einführung des gemischten Zahnstangenbetriebs zur Überwindung großer Steigungen erwähnt. Die Halberstadt-Blankenburger Eisenbahngesellschaft eröffnete im Jahre 1886 die erste Strecke dieser Art in Deutschland, die Bahn von Blankenburg am Harz nach Tanne. Weiter muß hier besonders auf die zahlreichen großartigen Bahnhofsum- und -neubauten hingewiesen werden, die in diesem Zeitraum stattfanden. Hunderte von

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[298/0312] Abfertigungsvorschriften für die Beförderung von Personen, Reisegepäck, Leichen, lebenden Tieren, Fahrzeugen, Eil- und Frachtgütern ausgearbeitet, die nach langen Verhandlungen in den Jahren 1891 und 1892 zum 1. Januar 1893 eingeführt wurden. Der deutsche Eisenbahnverkehr machte in dem Zeitabschnitt von 1886–1900 nach allen Richtungen höchst überraschende Fortschritte. Die Verwaltungen folgten durch verbesserte Einrichtungen den Bedürfnissen des Verkehrs, und dieser wieder wuchs infolge der Verbesserungen. Die Personen- wie die Gütertarife zeigten überall die Neigung, herabzugehen; nicht so sehr infolge der Herabsetzung der regelmäßigen allgemeinen Tarife als vielmehr infolge der fortwährend zunehmenden Gewährung von Ermäßigungen für bestimmte Verkehrsbeziehungen oder Herabsetzungen von Gütern aus einer Klasse in die andere. Im Personenverkehr ist die in diesen Zeitraum fallende großartige Entwicklung des sog. Rundreiseverkehrs innerhalb der zum VDEV. gehörigen Bahnen und noch über diese hinaus zu erwähnen. Auch sonst wurden für Wohlfahrtszwecke, für Arbeiterfahrten u. a. in immer steigendem Maße Preisherabsetzungen zugestanden, für Urlaubsreisen der Militärpersonen wurde allgemein der Pfennigtarif gewährt. Im Güterverkehr ist vor allem die am 1. April 1892 erfolgte allgemeine Einführung einer ermäßigten Stückgutklasse für Güter der Landwirtschaft und der Metallindustrie zu nennen; weiter am 1. April 1897 die allgemeine Einführung eines Rohstofftarifs für alle Brennstoffe und am 1. Oktober 1898 die eines ermäßigten Staffeltarifs für Stückgüter. Sehr reich war der Zeitabschnitt an Neueinrichtungen im Betriebe und Bau. Am 1. Mai 1892 wurden in Preußen die ersten D-Züge, d. h. Schnellzüge mit Durchgangswagen eingerichtet, durch die den Reisenden neben anderen Annehmlichkeiten vor allem die freie Bewegung innerhalb des ganzen Zuges ermöglicht wird. In engem Zusammenhang damit stand die ständig vermehrte Einstellung von Schlaf- und Speisewagen sowie von 4achsigen Drehgestell wagen, die einen ruhigeren Gang sicherten. Seit 1894 führte die Internationale Schlafwagengesellschaft in Brüssel ihre Expreßzüge über deutsche Linien, zuerst den Orientexpreßzug Paris-Wien-Konstantinopel, dem dann eine ganze Anzahl anderer solcher Luxuszüge gefolgt ist. Die Schnelligkeit der durchgehenden Züge wurde in diesem Zeitabschnitt gesteigert. Einzelne Züge erreichten in der norddeutschen Tiefebene eine Durchschnittsgeschwindigkeit von mehr als 80 km in der Stunde. Durch die Einrichtung der Bahnsteigsperre wurde die Abfertigung der Personenzüge erleichtert und die Fahrkartenkontrolle gesichert. Im Güterverkehr wurde überall die Ladefähigkeit der Güterwagen erhöht, teils durch Verstärkung der Tragfedern, teils durch Neubeschaffung größerer Wagen. An Stelle der bisherigen Tragfähigkeit von 10 t trat eine solche von 12·5–15 t und mehr. Vierachsige Fahrzeuge bis zu 30 t wurden für besondere Zwecke beschafft. Zur Bewältigung des Güterverkehrs, zu rascherer Beförderung und tunlichster Vermeidung der Umladungen wurden die Güterzüge nach Arten getrennt, man vereinbarte Ferngüterzüge für den Massengüterverkehr, Durchgangsgüterzüge für Wagenladungen und geschlossene Stückgutladungen, endlich Ortsgüterzüge für den Nahverkehr aller Stationen. Den drängenden Anforderungen des Verkehrs entsprechend war man auf allen Gebieten erfolgreich bemüht, die Leistungen der Eisenbahnen zu erhöhen. Die Schienengewichte wurden vergrößert, die Schwellenzahl vermehrt, nicht nur zweite, sondern auch dritte und vierte Gleise erbaut, zahlreiche Bahnhöfe wurden erweitert, die Sicherheitseinrichtungen wurden verbessert; die Fortschritte der Elektrizität fanden immer umfassendere Verwertung im Eisenbahndienst. Sehr wichtig war für die Schnelligkeit der Zugfolge und die Sicherheit des Zugdienstes die Einführung der elektrischen Streckenblockung, die durch die Eisenbahnbetriebsordnung von 1898 für alle Bahnen mit besonders dichter Zugfolge vorgeschrieben ist. Es gelang durch diese und weitere zahlreiche Fortschritte nicht nur die Leistungsfähigkeit der Anlagen, sondern auch die Sicherheit erheblich zu steigern, so daß die Unfallziffer der deutschen Eisenbahnstatistik fortgesetzt sank. Waren im Jahre 1886 auf 1 Million Wagenachs/km noch 0·33 Verunglückungen gekommen, so war diese Zahl im Jahre 1900 schon auf 0·18, also fast auf die Hälfte gesunken! Aus den besonderen Fortschritten auf dem Gebiete des Eisenbahnbaus sei hier zunächst die Einführung des gemischten Zahnstangenbetriebs zur Überwindung großer Steigungen erwähnt. Die Halberstadt-Blankenburger Eisenbahngesellschaft eröffnete im Jahre 1886 die erste Strecke dieser Art in Deutschland, die Bahn von Blankenburg am Harz nach Tanne. Weiter muß hier besonders auf die zahlreichen großartigen Bahnhofsum- und -neubauten hingewiesen werden, die in diesem Zeitraum stattfanden. Hunderte von

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Zitationshilfe: Röll, [Victor] von (Hrsg.): Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. 2. Aufl. Bd. 3. Berlin, Wien, 1912, S. 298. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roell_eisenbahnwesen03_1912/312>, abgerufen am 27.09.2024.