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Röll, [Victor] von (Hrsg.): Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. 2. Aufl. Bd. 3. Berlin, Wien, 1912.

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wie er bald nach dem Friedensschluß im März 1871 einsetzte. Er stellte an die deutschen Eisenbahnen gewaltige Anforderungen, brachte ihnen zwar große Einnahmen, deckte aber auch zugleich große, schwerwiegende Mängel ihrer Ausrüstung auf. Der Überfluß an Geld, die Unternehmungslust, der wachsende Verkehr, alles das erzeugte ein ungesundes Gründungsfieber. Auch im Eisenbahnwesen traten höchst unerfreuliche Auswüchse hervor.

Durch die gewaltigen Kriegsleistungen und den dann folgenden Verkehrsaufschwung war das gesamte Material der Bahnen, sowohl das bewegliche, der Fuhrpark, als auch der Oberbau, die Schienen, Schwellen und Weichen, in hohem Maße abgenutzt, ohne daß eine rechtzeitige und gründliche Erneuerung möglich war. Der Betrieb der Bahnen wurde unregelmäßig, der Verkehr konnte nicht rechtzeitig bewältigt werden, ein Unfall folgte dem andern, die Klagen des Publikums wurden immer lebhafter. Namentlich die großen Privatbahnen Mittel- und Westdeutschlands litten unter diesen Verhältnissen, und der Unwille der öffentlichen Meinung richtete sich gegen sie um so schärfer, je besser sich ihre Dividendenerträgnisse gestalteten. Die Mißstimmung gegen das Privatbahnwesen verschärfte sich, als sich das Gründungsfieber jener Zeit auch auf das Eisenbahnwesen warf und eine Reihe von Unternehmen ins Leben rief (es seien hier genannt Halle-Sorau-Guben, die Berliner Nordbahn, die Berlin-Dresdener, die Hannover-Altenbekener Bahn), die zwar an sich meist verkehrspolitisch gesund waren, bei deren Errichtung aber übermäßige Gewinne in die Taschen der Gründer flossen, während der Staat bei der Genehmigung nicht vorsichtig genug gewesen war.

Während diese Verhältnisse in Preußen 1873 zur Einsetzung einer parlamentarischen Untersuchungskommission führten, deren Endgutachten dahin ging, daß man vom gemischten zum reinen Staatsbahnsystem übergehen müsse, tat auch die Reichsregierung Schritte, um sich den ihr durch die Verfassung zugestandenen Einfluß auf das Eisenbahnwesen zu verschaffen. Dazu war vor allem ein Organ nötig, das die Ausführung der oben angeführten Bestimmungen über das Eisenbahnwesen überwachte. Durch Gesetz vom 27. Juni 1873 wurde das Reichseisenbahnamt ins Leben gerufen, um das Aufsichtsrecht über das Eisenbahnwesen wahrzunehmen, für die Ausführung der gesetzlichen Bestimmungen in dieser Beziehung Sorge zu tragen und auf Abstellung etwa hervortretender Übelstände und Mängel hinzuwirken. Der neuen Behörde wurden "bis zum Erlaß eines Reichseisenbahngesetzes" eine Reihe von Befugnissen beigelegt, um ihren Anordnungen Geltung zu verschaffen. Aber zum Erlaß dieses Gesetzes ist es bis heute nicht gekommen, obgleich nicht weniger als drei Entwürfe in den Jahren 1874, 1875 und 1879 ausgearbeitet, und der letzte sogar dem Bundesrat vorgelegt wurde. Auch Preußen selbst konnte im Reiche mit dem Gedanken einheitlicher Reichseisenbahnen nicht durchdringen, obgleich Fürst Bismarck als Reichskanzler selbst den Ankauf der Eisenbahnen durch das Reich betrieb; zwar wurde die preußische Regierung durch Gesetz vom 4. Juli 1876 ermächtigt, ihre Bahnen dem Reich gegen angemessene Entschädigung zum Kauf anzubieten und alle ihre Eisenbahnrechte an das Reich zu übertragen, aber das Gesetz, das noch heute zu Recht besteht, ist doch nur ein toter Buchstabe geblieben. Inzwischen fand die neue Behörde auch ohne die ihr zugedachte höhere Rolle Aufgaben genug vor. Schon am 11. Mai 1874 wurde das von ihr umgearbeitete Betriebsreglement für die Eisenbahnen Deutschlands erlassen.

Während im Deutschen Reiche die Anschauung von der Notwendigkeit einer scharfen staatlichen Aufsicht immer festere Wurzel faßte und in Süddeutschland das System der reinen Staatsbahnen fast vollkommen durchgeführt war - auch die bayerischen Ostbahnen wurden 1875 verstaatlicht und links des Rheins und südlich des Mains waren nur die hessische Ludwigsbahn und die Pfalzbahn Privatbahnen von Bedeutung - entwickelten sich in den Jahren 1871-1877 in Nord-, Mittel- und Westdeutschland die Privatbahnunternehmungen immer kräftiger, wenngleich in Preußen auch das Staatsbahnwesen teils durch Bau, teils durch Erwerb einzelner Privatbahnen immer mehr erstarkte und in Sachsen, Oldenburg und der rechtsmainischen Provinz des Großherzogtums Hessen das reine Staatsbahnsystem herrschte.

Das Jahr 1877 war für die Geschichte des deutschen Eisenbahnwesens von durchgreifender Bedeutung dadurch, daß in ihm die Einheit im Gütertarifwesen durchgeführt und der deutsche Reformtarif geschaffen wurde, der nach vielfachen Kämpfen von der ersten Generalkonferenz sämtlicher deutscher Eisenbahnverwaltungen am 12. Februar 1877 zu Berlin beschlossen wurde und in allen wesentlichen Punkten noch heute gilt (Näheres s. Gütertarife).

Zur Fortbildung des Reformtarifs und der mit ihm zusammenhängenden Einrichtungen

wie er bald nach dem Friedensschluß im März 1871 einsetzte. Er stellte an die deutschen Eisenbahnen gewaltige Anforderungen, brachte ihnen zwar große Einnahmen, deckte aber auch zugleich große, schwerwiegende Mängel ihrer Ausrüstung auf. Der Überfluß an Geld, die Unternehmungslust, der wachsende Verkehr, alles das erzeugte ein ungesundes Gründungsfieber. Auch im Eisenbahnwesen traten höchst unerfreuliche Auswüchse hervor.

Durch die gewaltigen Kriegsleistungen und den dann folgenden Verkehrsaufschwung war das gesamte Material der Bahnen, sowohl das bewegliche, der Fuhrpark, als auch der Oberbau, die Schienen, Schwellen und Weichen, in hohem Maße abgenutzt, ohne daß eine rechtzeitige und gründliche Erneuerung möglich war. Der Betrieb der Bahnen wurde unregelmäßig, der Verkehr konnte nicht rechtzeitig bewältigt werden, ein Unfall folgte dem andern, die Klagen des Publikums wurden immer lebhafter. Namentlich die großen Privatbahnen Mittel- und Westdeutschlands litten unter diesen Verhältnissen, und der Unwille der öffentlichen Meinung richtete sich gegen sie um so schärfer, je besser sich ihre Dividendenerträgnisse gestalteten. Die Mißstimmung gegen das Privatbahnwesen verschärfte sich, als sich das Gründungsfieber jener Zeit auch auf das Eisenbahnwesen warf und eine Reihe von Unternehmen ins Leben rief (es seien hier genannt Halle-Sorau-Guben, die Berliner Nordbahn, die Berlin-Dresdener, die Hannover-Altenbekener Bahn), die zwar an sich meist verkehrspolitisch gesund waren, bei deren Errichtung aber übermäßige Gewinne in die Taschen der Gründer flossen, während der Staat bei der Genehmigung nicht vorsichtig genug gewesen war.

Während diese Verhältnisse in Preußen 1873 zur Einsetzung einer parlamentarischen Untersuchungskommission führten, deren Endgutachten dahin ging, daß man vom gemischten zum reinen Staatsbahnsystem übergehen müsse, tat auch die Reichsregierung Schritte, um sich den ihr durch die Verfassung zugestandenen Einfluß auf das Eisenbahnwesen zu verschaffen. Dazu war vor allem ein Organ nötig, das die Ausführung der oben angeführten Bestimmungen über das Eisenbahnwesen überwachte. Durch Gesetz vom 27. Juni 1873 wurde das Reichseisenbahnamt ins Leben gerufen, um das Aufsichtsrecht über das Eisenbahnwesen wahrzunehmen, für die Ausführung der gesetzlichen Bestimmungen in dieser Beziehung Sorge zu tragen und auf Abstellung etwa hervortretender Übelstände und Mängel hinzuwirken. Der neuen Behörde wurden „bis zum Erlaß eines Reichseisenbahngesetzes“ eine Reihe von Befugnissen beigelegt, um ihren Anordnungen Geltung zu verschaffen. Aber zum Erlaß dieses Gesetzes ist es bis heute nicht gekommen, obgleich nicht weniger als drei Entwürfe in den Jahren 1874, 1875 und 1879 ausgearbeitet, und der letzte sogar dem Bundesrat vorgelegt wurde. Auch Preußen selbst konnte im Reiche mit dem Gedanken einheitlicher Reichseisenbahnen nicht durchdringen, obgleich Fürst Bismarck als Reichskanzler selbst den Ankauf der Eisenbahnen durch das Reich betrieb; zwar wurde die preußische Regierung durch Gesetz vom 4. Juli 1876 ermächtigt, ihre Bahnen dem Reich gegen angemessene Entschädigung zum Kauf anzubieten und alle ihre Eisenbahnrechte an das Reich zu übertragen, aber das Gesetz, das noch heute zu Recht besteht, ist doch nur ein toter Buchstabe geblieben. Inzwischen fand die neue Behörde auch ohne die ihr zugedachte höhere Rolle Aufgaben genug vor. Schon am 11. Mai 1874 wurde das von ihr umgearbeitete Betriebsreglement für die Eisenbahnen Deutschlands erlassen.

Während im Deutschen Reiche die Anschauung von der Notwendigkeit einer scharfen staatlichen Aufsicht immer festere Wurzel faßte und in Süddeutschland das System der reinen Staatsbahnen fast vollkommen durchgeführt war – auch die bayerischen Ostbahnen wurden 1875 verstaatlicht und links des Rheins und südlich des Mains waren nur die hessische Ludwigsbahn und die Pfalzbahn Privatbahnen von Bedeutung – entwickelten sich in den Jahren 1871–1877 in Nord-, Mittel- und Westdeutschland die Privatbahnunternehmungen immer kräftiger, wenngleich in Preußen auch das Staatsbahnwesen teils durch Bau, teils durch Erwerb einzelner Privatbahnen immer mehr erstarkte und in Sachsen, Oldenburg und der rechtsmainischen Provinz des Großherzogtums Hessen das reine Staatsbahnsystem herrschte.

Das Jahr 1877 war für die Geschichte des deutschen Eisenbahnwesens von durchgreifender Bedeutung dadurch, daß in ihm die Einheit im Gütertarifwesen durchgeführt und der deutsche Reformtarif geschaffen wurde, der nach vielfachen Kämpfen von der ersten Generalkonferenz sämtlicher deutscher Eisenbahnverwaltungen am 12. Februar 1877 zu Berlin beschlossen wurde und in allen wesentlichen Punkten noch heute gilt (Näheres s. Gütertarife).

Zur Fortbildung des Reformtarifs und der mit ihm zusammenhängenden Einrichtungen

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wie er bald nach dem Friedensschluß im März 1871 einsetzte. Er stellte an die deutschen Eisenbahnen gewaltige Anforderungen, brachte ihnen zwar große Einnahmen, deckte aber auch zugleich große, schwerwiegende Mängel ihrer Ausrüstung auf. Der Überfluß an Geld, die Unternehmungslust, der wachsende Verkehr, alles das erzeugte ein ungesundes Gründungsfieber. Auch im Eisenbahnwesen traten höchst unerfreuliche Auswüchse hervor.</p><lb/>
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[294/0308] wie er bald nach dem Friedensschluß im März 1871 einsetzte. Er stellte an die deutschen Eisenbahnen gewaltige Anforderungen, brachte ihnen zwar große Einnahmen, deckte aber auch zugleich große, schwerwiegende Mängel ihrer Ausrüstung auf. Der Überfluß an Geld, die Unternehmungslust, der wachsende Verkehr, alles das erzeugte ein ungesundes Gründungsfieber. Auch im Eisenbahnwesen traten höchst unerfreuliche Auswüchse hervor. Durch die gewaltigen Kriegsleistungen und den dann folgenden Verkehrsaufschwung war das gesamte Material der Bahnen, sowohl das bewegliche, der Fuhrpark, als auch der Oberbau, die Schienen, Schwellen und Weichen, in hohem Maße abgenutzt, ohne daß eine rechtzeitige und gründliche Erneuerung möglich war. Der Betrieb der Bahnen wurde unregelmäßig, der Verkehr konnte nicht rechtzeitig bewältigt werden, ein Unfall folgte dem andern, die Klagen des Publikums wurden immer lebhafter. Namentlich die großen Privatbahnen Mittel- und Westdeutschlands litten unter diesen Verhältnissen, und der Unwille der öffentlichen Meinung richtete sich gegen sie um so schärfer, je besser sich ihre Dividendenerträgnisse gestalteten. Die Mißstimmung gegen das Privatbahnwesen verschärfte sich, als sich das Gründungsfieber jener Zeit auch auf das Eisenbahnwesen warf und eine Reihe von Unternehmen ins Leben rief (es seien hier genannt Halle-Sorau-Guben, die Berliner Nordbahn, die Berlin-Dresdener, die Hannover-Altenbekener Bahn), die zwar an sich meist verkehrspolitisch gesund waren, bei deren Errichtung aber übermäßige Gewinne in die Taschen der Gründer flossen, während der Staat bei der Genehmigung nicht vorsichtig genug gewesen war. Während diese Verhältnisse in Preußen 1873 zur Einsetzung einer parlamentarischen Untersuchungskommission führten, deren Endgutachten dahin ging, daß man vom gemischten zum reinen Staatsbahnsystem übergehen müsse, tat auch die Reichsregierung Schritte, um sich den ihr durch die Verfassung zugestandenen Einfluß auf das Eisenbahnwesen zu verschaffen. Dazu war vor allem ein Organ nötig, das die Ausführung der oben angeführten Bestimmungen über das Eisenbahnwesen überwachte. Durch Gesetz vom 27. Juni 1873 wurde das Reichseisenbahnamt ins Leben gerufen, um das Aufsichtsrecht über das Eisenbahnwesen wahrzunehmen, für die Ausführung der gesetzlichen Bestimmungen in dieser Beziehung Sorge zu tragen und auf Abstellung etwa hervortretender Übelstände und Mängel hinzuwirken. Der neuen Behörde wurden „bis zum Erlaß eines Reichseisenbahngesetzes“ eine Reihe von Befugnissen beigelegt, um ihren Anordnungen Geltung zu verschaffen. Aber zum Erlaß dieses Gesetzes ist es bis heute nicht gekommen, obgleich nicht weniger als drei Entwürfe in den Jahren 1874, 1875 und 1879 ausgearbeitet, und der letzte sogar dem Bundesrat vorgelegt wurde. Auch Preußen selbst konnte im Reiche mit dem Gedanken einheitlicher Reichseisenbahnen nicht durchdringen, obgleich Fürst Bismarck als Reichskanzler selbst den Ankauf der Eisenbahnen durch das Reich betrieb; zwar wurde die preußische Regierung durch Gesetz vom 4. Juli 1876 ermächtigt, ihre Bahnen dem Reich gegen angemessene Entschädigung zum Kauf anzubieten und alle ihre Eisenbahnrechte an das Reich zu übertragen, aber das Gesetz, das noch heute zu Recht besteht, ist doch nur ein toter Buchstabe geblieben. Inzwischen fand die neue Behörde auch ohne die ihr zugedachte höhere Rolle Aufgaben genug vor. Schon am 11. Mai 1874 wurde das von ihr umgearbeitete Betriebsreglement für die Eisenbahnen Deutschlands erlassen. Während im Deutschen Reiche die Anschauung von der Notwendigkeit einer scharfen staatlichen Aufsicht immer festere Wurzel faßte und in Süddeutschland das System der reinen Staatsbahnen fast vollkommen durchgeführt war – auch die bayerischen Ostbahnen wurden 1875 verstaatlicht und links des Rheins und südlich des Mains waren nur die hessische Ludwigsbahn und die Pfalzbahn Privatbahnen von Bedeutung – entwickelten sich in den Jahren 1871–1877 in Nord-, Mittel- und Westdeutschland die Privatbahnunternehmungen immer kräftiger, wenngleich in Preußen auch das Staatsbahnwesen teils durch Bau, teils durch Erwerb einzelner Privatbahnen immer mehr erstarkte und in Sachsen, Oldenburg und der rechtsmainischen Provinz des Großherzogtums Hessen das reine Staatsbahnsystem herrschte. Das Jahr 1877 war für die Geschichte des deutschen Eisenbahnwesens von durchgreifender Bedeutung dadurch, daß in ihm die Einheit im Gütertarifwesen durchgeführt und der deutsche Reformtarif geschaffen wurde, der nach vielfachen Kämpfen von der ersten Generalkonferenz sämtlicher deutscher Eisenbahnverwaltungen am 12. Februar 1877 zu Berlin beschlossen wurde und in allen wesentlichen Punkten noch heute gilt (Näheres s. Gütertarife). Zur Fortbildung des Reformtarifs und der mit ihm zusammenhängenden Einrichtungen

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Zitationshilfe: Röll, [Victor] von (Hrsg.): Enzyklopädie des Eisenbahnwesens. 2. Aufl. Bd. 3. Berlin, Wien, 1912, S. 294. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/roell_eisenbahnwesen03_1912/308>, abgerufen am 22.11.2024.