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Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881.

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töteter Trojaner, hinter dem Palladium sitzt halb versteckt eine
Frau zusammengekauert, mit beiden Händen sich das Haar
raufend. Einen Augenblick mag man zweifeln, ob diese Frau
oder die unter dem Palmenbaum grösseren Anspruch auf die
Benennung Helena hat23); es mag auch Voreingenommenheit
sein, dass die letztere mir in Haltung und Gebärde matronaler
erscheint und also nach meinem Dafürhalten Hekabe zu benennen
ist. Den Ausschlag für die am Palladium sitzende Frau giebt
die Vergleichung der schon oben herangezogenen rotfigurigen
Vasen, die Helena fliehend und Menelaos sie verfolgend darstellen;
als Zielpunkt von Helenas Flucht erscheint sehr häufig ein
Götterbild, und wiederholt, wie auf der Vase des Museum Gre-
gorianum das Bild des Pallas.

Der Tote zu Aias Füssen wird von den meisten Erklärern
für Koroibos gehalten, vielleicht mit Recht. Vergil Aen. II
409--425 kennt ihn als Freier der Kassandra und lässt ihn bei
dem Versuch, seine Braut zu retten, getötet werden. Ersteres
beruht, wie auch Pausanias X 27, 1 lehrt, auf alter poetischer
Erfindung, zu der das Motiv aus N 363 entnommen ist; letzterer
Zug würde zur Vivenziovase stimmen. Bedenken macht nur,
dass niemals auch nicht bei Vergil, Koroibos durch Aias fällt,
was für den Toten der Vivenziovase doch vorauszusetzen ist.

Die Scenenreihe wird links durch die Flucht des Aineias,
also die oben als E bezeichnete Episode, rechts durch die
Auffindung der Aithra durch ihre Enkel Akamas und Demophon,
also eine erst im fünften Jahrhundert bildlich gestaltete Scene, ab-
geschlossen. Abweichend von den gewöhnlichen Darstellungen

23) Diese Deutung ist zuerst von W. Klein A. d. I. 1877 p. 258 ausge-
sprochen, in ganz anderem Zusammenhang und auf Grund einer Argumentation,
von der die oben gegebene in den wesentlichen Punkten unabhängig ist, ein
Umstand, der für die Richtigkeit des gewonnenen Resultates eine gewisse
Gewähr bieten dürfte. Der Kleinschen Liste ist hinzuzufügen ein auf Kythnos
gefundenes, gegenwärtig im Berliner Museum befindliches archaisches Thon-
relief (No. 6283--85), von dem leider nur die untere Hälfte erhalten ist:
Kassandra hat das Palladium umklammert, Helena naht sich eiligen Laufes,
ihr folgt Menelaos; der zwischen den Beinen des letzteren entstehende leere
Raum ist durch eine knieende Frauengestalt ausgefüllt.

töteter Trojaner, hinter dem Palladium sitzt halb versteckt eine
Frau zusammengekauert, mit beiden Händen sich das Haar
raufend. Einen Augenblick mag man zweifeln, ob diese Frau
oder die unter dem Palmenbaum gröſseren Anspruch auf die
Benennung Helena hat23); es mag auch Voreingenommenheit
sein, daſs die letztere mir in Haltung und Gebärde matronaler
erscheint und also nach meinem Dafürhalten Hekabe zu benennen
ist. Den Ausschlag für die am Palladium sitzende Frau giebt
die Vergleichung der schon oben herangezogenen rotfigurigen
Vasen, die Helena fliehend und Menelaos sie verfolgend darstellen;
als Zielpunkt von Helenas Flucht erscheint sehr häufig ein
Götterbild, und wiederholt, wie auf der Vase des Museum Gre-
gorianum das Bild des Pallas.

Der Tote zu Aias Füssen wird von den meisten Erklärern
für Koroibos gehalten, vielleicht mit Recht. Vergil Aen. II
409—425 kennt ihn als Freier der Kassandra und läſst ihn bei
dem Versuch, seine Braut zu retten, getötet werden. Ersteres
beruht, wie auch Pausanias X 27, 1 lehrt, auf alter poetischer
Erfindung, zu der das Motiv aus Ν 363 entnommen ist; letzterer
Zug würde zur Vivenziovase stimmen. Bedenken macht nur,
daſs niemals auch nicht bei Vergil, Koroibos durch Aias fällt,
was für den Toten der Vivenziovase doch vorauszusetzen ist.

Die Scenenreihe wird links durch die Flucht des Aineias,
also die oben als E bezeichnete Episode, rechts durch die
Auffindung der Aithra durch ihre Enkel Akamas und Demophon,
also eine erst im fünften Jahrhundert bildlich gestaltete Scene, ab-
geschlossen. Abweichend von den gewöhnlichen Darstellungen

23) Diese Deutung ist zuerst von W. Klein A. d. I. 1877 p. 258 ausge-
sprochen, in ganz anderem Zusammenhang und auf Grund einer Argumentation,
von der die oben gegebene in den wesentlichen Punkten unabhängig ist, ein
Umstand, der für die Richtigkeit des gewonnenen Resultates eine gewisse
Gewähr bieten dürfte. Der Kleinschen Liste ist hinzuzufügen ein auf Kythnos
gefundenes, gegenwärtig im Berliner Museum befindliches archaisches Thon-
relief (No. 6283—85), von dem leider nur die untere Hälfte erhalten ist:
Kassandra hat das Palladium umklammert, Helena naht sich eiligen Laufes,
ihr folgt Menelaos; der zwischen den Beinen des letzteren entstehende leere
Raum ist durch eine knieende Frauengestalt ausgefüllt.
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[72/0086] töteter Trojaner, hinter dem Palladium sitzt halb versteckt eine Frau zusammengekauert, mit beiden Händen sich das Haar raufend. Einen Augenblick mag man zweifeln, ob diese Frau oder die unter dem Palmenbaum gröſseren Anspruch auf die Benennung Helena hat 23); es mag auch Voreingenommenheit sein, daſs die letztere mir in Haltung und Gebärde matronaler erscheint und also nach meinem Dafürhalten Hekabe zu benennen ist. Den Ausschlag für die am Palladium sitzende Frau giebt die Vergleichung der schon oben herangezogenen rotfigurigen Vasen, die Helena fliehend und Menelaos sie verfolgend darstellen; als Zielpunkt von Helenas Flucht erscheint sehr häufig ein Götterbild, und wiederholt, wie auf der Vase des Museum Gre- gorianum das Bild des Pallas. Der Tote zu Aias Füssen wird von den meisten Erklärern für Koroibos gehalten, vielleicht mit Recht. Vergil Aen. II 409—425 kennt ihn als Freier der Kassandra und läſst ihn bei dem Versuch, seine Braut zu retten, getötet werden. Ersteres beruht, wie auch Pausanias X 27, 1 lehrt, auf alter poetischer Erfindung, zu der das Motiv aus Ν 363 entnommen ist; letzterer Zug würde zur Vivenziovase stimmen. Bedenken macht nur, daſs niemals auch nicht bei Vergil, Koroibos durch Aias fällt, was für den Toten der Vivenziovase doch vorauszusetzen ist. Die Scenenreihe wird links durch die Flucht des Aineias, also die oben als E bezeichnete Episode, rechts durch die Auffindung der Aithra durch ihre Enkel Akamas und Demophon, also eine erst im fünften Jahrhundert bildlich gestaltete Scene, ab- geschlossen. Abweichend von den gewöhnlichen Darstellungen 23) Diese Deutung ist zuerst von W. Klein A. d. I. 1877 p. 258 ausge- sprochen, in ganz anderem Zusammenhang und auf Grund einer Argumentation, von der die oben gegebene in den wesentlichen Punkten unabhängig ist, ein Umstand, der für die Richtigkeit des gewonnenen Resultates eine gewisse Gewähr bieten dürfte. Der Kleinschen Liste ist hinzuzufügen ein auf Kythnos gefundenes, gegenwärtig im Berliner Museum befindliches archaisches Thon- relief (No. 6283—85), von dem leider nur die untere Hälfte erhalten ist: Kassandra hat das Palladium umklammert, Helena naht sich eiligen Laufes, ihr folgt Menelaos; der zwischen den Beinen des letzteren entstehende leere Raum ist durch eine knieende Frauengestalt ausgefüllt.

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Zitationshilfe: Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/86>, abgerufen am 04.12.2024.