Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881.

Bild:
<< vorherige Seite

Schemas (B), das Menelaos der Helena mit gezücktem Schwerte
ruhig gegenüberstehend zeigt, finden wir jetzt auf den Vasen
und, nach Michaelis glänzendem Nachweis, auch auf zwei Me-
topen des Parthenon Helena, zuweilen20) wie bei Brygos mit
aufgelöstem Haar, fliehend, und Menelaos sie mit blossem Schwert
verfolgend. Es ist klar, dass diese Situation sich aus der von
Brygos dargestellten sehr einfach entwickeln kann, dass sie nur
einen wenig späteren Moment repräsentiert. Menelaos wird sich
alsbald, wenn er sich der Andromache erwehrt hat, zur Ver-
folgung der fliehenden Helena wenden; und so darf mit hoher
Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass diese Vasen auf
dieselbe poetische Tradition zurückgehen, wie die Brygosschale21).

Noch bleibt die Gruppe des Kämpferpaares links von He-
lena zu benennen, denn dass nicht mitten unter Haupthelden des
troischen Krieges ein paar namenlose Kämpfer dargestellt sein
können, scheint mir für eine Vase dieser Zeit, zumal bei einer
so durchdacht angelegten Komposition, keines Beweises zu be-
dürfen; auch ist ohne weiteres klar, dass der Kampf in einem
gewissen Zusammenhang mit dem des Menelaos und des
Deiphobos stehen muss, und so spitzt sich schliesslich alles zu
der Frage zu: wer war bei dem nächtlichen Kampf in Troja
der Genosse des Menelaos? Die Antwort giebt uns der Sänger
der Phäaken, Demodokos, th 514:

eeiden d os astu dieprathon uies Akhaion
ippothen ekkhumenoi, koilon lokhon ekprolipontes.
allon d alle aeide polin keraizemen aipen,
20) z. B. Museo Gregoriano II 5, 2, Overbeck Her. Gall. XXVI 12.
21) Es ist gewiss richtig, dass diese Darstellungen im Zusammenhang mit
den übrigen im fünften Jahrhundert aufkommenden Liebesverfolgungen be-
trachtet sein wollen (vgl. v. Duhn Commentationes Bonnenses p. 99 s. Löschcke
Über die altspartanische Basis S. 6), aber sie unterscheiden sich von dem
Typus der letzteren durch zwei ganz individuelle Züge: einmal dadurch, dass
als Zielpunkt von Helenas Flucht ein Götterbild erscheint, und dann dadurch,
dass Menelaos das Schwert fallen lässt. Für diese beiden besondern Eigen-
tümlichkeiten würden wir berechtigt sein, ein Vorbild in der Poesie zu suchen,
auch wenn dasselbe nicht direkt überliefert wäre.

Schemas (B), das Menelaos der Helena mit gezücktem Schwerte
ruhig gegenüberstehend zeigt, finden wir jetzt auf den Vasen
und, nach Michaelis glänzendem Nachweis, auch auf zwei Me-
topen des Parthenon Helena, zuweilen20) wie bei Brygos mit
aufgelöstem Haar, fliehend, und Menelaos sie mit bloſsem Schwert
verfolgend. Es ist klar, daſs diese Situation sich aus der von
Brygos dargestellten sehr einfach entwickeln kann, daſs sie nur
einen wenig späteren Moment repräsentiert. Menelaos wird sich
alsbald, wenn er sich der Andromache erwehrt hat, zur Ver-
folgung der fliehenden Helena wenden; und so darf mit hoher
Wahrscheinlichkeit angenommen werden, daſs diese Vasen auf
dieselbe poetische Tradition zurückgehen, wie die Brygosschale21).

Noch bleibt die Gruppe des Kämpferpaares links von He-
lena zu benennen, denn daſs nicht mitten unter Haupthelden des
troischen Krieges ein paar namenlose Kämpfer dargestellt sein
können, scheint mir für eine Vase dieser Zeit, zumal bei einer
so durchdacht angelegten Komposition, keines Beweises zu be-
dürfen; auch ist ohne weiteres klar, daſs der Kampf in einem
gewissen Zusammenhang mit dem des Menelaos und des
Deiphobos stehen muſs, und so spitzt sich schlieſslich alles zu
der Frage zu: wer war bei dem nächtlichen Kampf in Troja
der Genosse des Menelaos? Die Antwort giebt uns der Sänger
der Phäaken, Demodokos, ϑ 514:

ἤειδεν δ̕ ὡς ἄστυ διέπραϑον υἰες Ἀχαιῶν
ἱππόϑεν ἐκχύμενοι, κόϊλον λόχον ἐκπρολιπόντες.
ἄλλον δ̕ ἄλλῃ ἄειδε πόλιν κεραϊζέμεν αἰπήν,
20) z. B. Museo Gregoriano II 5, 2, Overbeck Her. Gall. XXVI 12.
21) Es ist gewiſs richtig, daſs diese Darstellungen im Zusammenhang mit
den übrigen im fünften Jahrhundert aufkommenden Liebesverfolgungen be-
trachtet sein wollen (vgl. v. Duhn Commentationes Bonnenses p. 99 s. Löschcke
Über die altspartanische Basis S. 6), aber sie unterscheiden sich von dem
Typus der letzteren durch zwei ganz individuelle Züge: einmal dadurch, daſs
als Zielpunkt von Helenas Flucht ein Götterbild erscheint, und dann dadurch,
daſs Menelaos das Schwert fallen läſst. Für diese beiden besondern Eigen-
tümlichkeiten würden wir berechtigt sein, ein Vorbild in der Poesie zu suchen,
auch wenn dasselbe nicht direkt überliefert wäre.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0084" n="70"/>
Schemas (B), das Menelaos der Helena mit gezücktem Schwerte<lb/>
ruhig gegenüberstehend zeigt, finden wir jetzt auf den Vasen<lb/>
und, nach Michaelis glänzendem Nachweis, auch auf zwei Me-<lb/>
topen des Parthenon Helena, zuweilen<note place="foot" n="20)">z. B. Museo Gregoriano II 5, 2, Overbeck Her. Gall. XXVI 12.</note> wie bei Brygos mit<lb/>
aufgelöstem Haar, fliehend, und Menelaos sie mit blo&#x017F;sem Schwert<lb/>
verfolgend. Es ist klar, da&#x017F;s diese Situation sich aus der von<lb/>
Brygos dargestellten sehr einfach entwickeln kann, da&#x017F;s sie nur<lb/>
einen wenig späteren Moment repräsentiert. Menelaos wird sich<lb/>
alsbald, wenn er sich der Andromache erwehrt hat, zur Ver-<lb/>
folgung der fliehenden Helena wenden; und so darf mit hoher<lb/>
Wahrscheinlichkeit angenommen werden, da&#x017F;s diese Vasen auf<lb/>
dieselbe poetische Tradition zurückgehen, wie die Brygosschale<note place="foot" n="21)">Es ist gewi&#x017F;s richtig, da&#x017F;s diese Darstellungen im Zusammenhang mit<lb/>
den übrigen im fünften Jahrhundert aufkommenden Liebesverfolgungen be-<lb/>
trachtet sein wollen (vgl. v. Duhn Commentationes Bonnenses p. 99 s. Löschcke<lb/>
Über die altspartanische Basis S. 6), aber sie unterscheiden sich von dem<lb/>
Typus der letzteren durch zwei ganz individuelle Züge: einmal dadurch, da&#x017F;s<lb/>
als Zielpunkt von Helenas Flucht ein Götterbild erscheint, und dann dadurch,<lb/>
da&#x017F;s Menelaos das Schwert fallen lä&#x017F;st. Für diese beiden besondern Eigen-<lb/>
tümlichkeiten würden wir berechtigt sein, ein Vorbild in der Poesie zu suchen,<lb/>
auch wenn dasselbe nicht direkt überliefert wäre.</note>.</p><lb/>
          <p>Noch bleibt die Gruppe des Kämpferpaares links von He-<lb/>
lena zu benennen, denn da&#x017F;s nicht mitten unter Haupthelden des<lb/>
troischen Krieges ein paar namenlose Kämpfer dargestellt sein<lb/>
können, scheint mir für eine Vase dieser Zeit, zumal bei einer<lb/>
so durchdacht angelegten Komposition, keines Beweises zu be-<lb/>
dürfen; auch ist ohne weiteres klar, da&#x017F;s der Kampf in einem<lb/>
gewissen Zusammenhang mit dem des Menelaos und des<lb/>
Deiphobos stehen mu&#x017F;s, und so spitzt sich schlie&#x017F;slich alles zu<lb/>
der Frage zu: wer war bei dem nächtlichen Kampf in Troja<lb/>
der Genosse des Menelaos? Die Antwort giebt uns der Sänger<lb/>
der Phäaken, Demodokos, &#x03D1; 514:</p><lb/>
          <lg type="poem">
            <l>&#x1F24;&#x03B5;&#x03B9;&#x03B4;&#x03B5;&#x03BD; &#x03B4;&#x0315; &#x1F61;&#x03C2; &#x1F04;&#x03C3;&#x03C4;&#x03C5; &#x03B4;&#x03B9;&#x03AD;&#x03C0;&#x03C1;&#x03B1;&#x03D1;&#x03BF;&#x03BD; &#x03C5;&#x1F30;&#x03B5;&#x03C2; &#x1F08;&#x03C7;&#x03B1;&#x03B9;&#x1FF6;&#x03BD;</l><lb/>
            <l>&#x1F31;&#x03C0;&#x03C0;&#x03CC;&#x03D1;&#x03B5;&#x03BD; &#x1F10;&#x03BA;&#x03C7;&#x03CD;&#x03BC;&#x03B5;&#x03BD;&#x03BF;&#x03B9;, &#x03BA;&#x03CC;&#x03CA;&#x03BB;&#x03BF;&#x03BD; &#x03BB;&#x03CC;&#x03C7;&#x03BF;&#x03BD; &#x1F10;&#x03BA;&#x03C0;&#x03C1;&#x03BF;&#x03BB;&#x03B9;&#x03C0;&#x03CC;&#x03BD;&#x03C4;&#x03B5;&#x03C2;.</l><lb/>
            <l>&#x1F04;&#x03BB;&#x03BB;&#x03BF;&#x03BD; &#x03B4;&#x0315; &#x1F04;&#x03BB;&#x03BB;&#x1FC3; &#x1F04;&#x03B5;&#x03B9;&#x03B4;&#x03B5; &#x03C0;&#x03CC;&#x03BB;&#x03B9;&#x03BD; &#x03BA;&#x03B5;&#x03C1;&#x03B1;&#x03CA;&#x03B6;&#x03AD;&#x03BC;&#x03B5;&#x03BD; &#x03B1;&#x1F30;&#x03C0;&#x03AE;&#x03BD;,</l><lb/>
          </lg>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[70/0084] Schemas (B), das Menelaos der Helena mit gezücktem Schwerte ruhig gegenüberstehend zeigt, finden wir jetzt auf den Vasen und, nach Michaelis glänzendem Nachweis, auch auf zwei Me- topen des Parthenon Helena, zuweilen 20) wie bei Brygos mit aufgelöstem Haar, fliehend, und Menelaos sie mit bloſsem Schwert verfolgend. Es ist klar, daſs diese Situation sich aus der von Brygos dargestellten sehr einfach entwickeln kann, daſs sie nur einen wenig späteren Moment repräsentiert. Menelaos wird sich alsbald, wenn er sich der Andromache erwehrt hat, zur Ver- folgung der fliehenden Helena wenden; und so darf mit hoher Wahrscheinlichkeit angenommen werden, daſs diese Vasen auf dieselbe poetische Tradition zurückgehen, wie die Brygosschale 21). Noch bleibt die Gruppe des Kämpferpaares links von He- lena zu benennen, denn daſs nicht mitten unter Haupthelden des troischen Krieges ein paar namenlose Kämpfer dargestellt sein können, scheint mir für eine Vase dieser Zeit, zumal bei einer so durchdacht angelegten Komposition, keines Beweises zu be- dürfen; auch ist ohne weiteres klar, daſs der Kampf in einem gewissen Zusammenhang mit dem des Menelaos und des Deiphobos stehen muſs, und so spitzt sich schlieſslich alles zu der Frage zu: wer war bei dem nächtlichen Kampf in Troja der Genosse des Menelaos? Die Antwort giebt uns der Sänger der Phäaken, Demodokos, ϑ 514: ἤειδεν δ̕ ὡς ἄστυ διέπραϑον υἰες Ἀχαιῶν ἱππόϑεν ἐκχύμενοι, κόϊλον λόχον ἐκπρολιπόντες. ἄλλον δ̕ ἄλλῃ ἄειδε πόλιν κεραϊζέμεν αἰπήν, 20) z. B. Museo Gregoriano II 5, 2, Overbeck Her. Gall. XXVI 12. 21) Es ist gewiſs richtig, daſs diese Darstellungen im Zusammenhang mit den übrigen im fünften Jahrhundert aufkommenden Liebesverfolgungen be- trachtet sein wollen (vgl. v. Duhn Commentationes Bonnenses p. 99 s. Löschcke Über die altspartanische Basis S. 6), aber sie unterscheiden sich von dem Typus der letzteren durch zwei ganz individuelle Züge: einmal dadurch, daſs als Zielpunkt von Helenas Flucht ein Götterbild erscheint, und dann dadurch, daſs Menelaos das Schwert fallen läſst. Für diese beiden besondern Eigen- tümlichkeiten würden wir berechtigt sein, ein Vorbild in der Poesie zu suchen, auch wenn dasselbe nicht direkt überliefert wäre.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/84
Zitationshilfe: Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 70. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/84>, abgerufen am 03.05.2024.