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Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881.

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erst gesehen hat, darin und nur darin ihre Erklärung, dass er
im Begriff ist den getöteten Troer zu spoliieren; daraus ergiebt
sich aber mit fast unabweisbarer Notwendigkeit der weitere
Schluss, dass dieser Grieche und nicht Neoptolemos es ist, der
den Troer getötet hat. Diese Folgerung auf die Berliner
Amphora angewandt ergiebt weiter, dass die oben nur als
gleichberechtigt hingestellte Deutung des Toten auf Deiphobos
die einzig richtige ist; und aus der Darstellung dieser Am-
phora ergiebt sich wieder für die Vivenziovase, dass der knie-
ende Krieger Menelaos ist. Der dargestellte Vorgang ist also
einfach der, dass Menelaos, während er den von ihm getöteten
Deiphobos spoliieren will, von Andromache mit erhobener Mörser-
keule angegriffen wird. Was aber bewegt Andromache zu ihrem
Eingreifen? Doch wahrlich nicht bloss der Wunsch den gefallenen
Schwager zu rächen; sie will dem Räuber ihres Sohnes nach
und stösst nieder, was ihren Weg hemmt; umsonst, denn Astyanax
liegt bereits getötet auf den Knien des Priamos.

Verlassen wir nun zunächst die Vivenziovase, und wenden
uns zur Brygosschale zurück. Für diese ergeben sich aus dem
Gesagten ohne Weiteres eine Reihe von Folgerungen. Der tötlich
getroffen zurücksinkende Troer, der scheinbar als Andromachos
Bezeichnete, ist Deiphobos, wobei ich dahingestellt lasse, ob
Brygos den Namen zu [ - 8 Zeichen fehlen] verschrieben hatte; der sieg-
reiche Grieche mit der räthselhaften Beischrift [ - 6 Zeichen fehlen] ist Me-
nelaos. Andromache greift hier in einem etwas früheren Zeit-
punkt ein, als auf der Vivenziovase; wie auch in der Reihenfolge
der Episoden der Iliupersis der Vorgang bei Brygos eine frühere
Stelle einnimmt als dort. Während derselbe nämlich dort dem
Tode des Priamos gleichzeitig und also Astyanax schon tot ist,
zeigt bei Brygos erst die zeitlich spätere Darstellung der anderen
Seite den Tod des Priamos, und so finden wir in dieser früher
zu denkenden Scene Astyanax noch lebend und fliehend. Da-
durch ist auch Andromaches That zwar nicht ihrem Wesen,
aber ihrem Zweck nach auf beiden Darstellungen eine verschie-
dene. Auf der Vivenziovase will Andromache dem ihr schon
entrissenen Astyanax noch im letzten Augenblick zu Hilfe eilen;

erst gesehen hat, darin und nur darin ihre Erklärung, daſs er
im Begriff ist den getöteten Troer zu spoliieren; daraus ergiebt
sich aber mit fast unabweisbarer Notwendigkeit der weitere
Schluſs, daſs dieser Grieche und nicht Neoptolemos es ist, der
den Troer getötet hat. Diese Folgerung auf die Berliner
Amphora angewandt ergiebt weiter, daſs die oben nur als
gleichberechtigt hingestellte Deutung des Toten auf Deiphobos
die einzig richtige ist; und aus der Darstellung dieser Am-
phora ergiebt sich wieder für die Vivenziovase, daſs der knie-
ende Krieger Menelaos ist. Der dargestellte Vorgang ist also
einfach der, daſs Menelaos, während er den von ihm getöteten
Deiphobos spoliieren will, von Andromache mit erhobener Mörser-
keule angegriffen wird. Was aber bewegt Andromache zu ihrem
Eingreifen? Doch wahrlich nicht bloſs der Wunsch den gefallenen
Schwager zu rächen; sie will dem Räuber ihres Sohnes nach
und stöſst nieder, was ihren Weg hemmt; umsonst, denn Astyanax
liegt bereits getötet auf den Knien des Priamos.

Verlassen wir nun zunächst die Vivenziovase, und wenden
uns zur Brygosschale zurück. Für diese ergeben sich aus dem
Gesagten ohne Weiteres eine Reihe von Folgerungen. Der tötlich
getroffen zurücksinkende Troer, der scheinbar als Andromachos
Bezeichnete, ist Deiphobos, wobei ich dahingestellt lasse, ob
Brygos den Namen zu [ – 8 Zeichen fehlen] verschrieben hatte; der sieg-
reiche Grieche mit der räthselhaften Beischrift [ – 6 Zeichen fehlen] ist Me-
nelaos. Andromache greift hier in einem etwas früheren Zeit-
punkt ein, als auf der Vivenziovase; wie auch in der Reihenfolge
der Episoden der Iliupersis der Vorgang bei Brygos eine frühere
Stelle einnimmt als dort. Während derselbe nämlich dort dem
Tode des Priamos gleichzeitig und also Astyanax schon tot ist,
zeigt bei Brygos erst die zeitlich spätere Darstellung der anderen
Seite den Tod des Priamos, und so finden wir in dieser früher
zu denkenden Scene Astyanax noch lebend und fliehend. Da-
durch ist auch Andromaches That zwar nicht ihrem Wesen,
aber ihrem Zweck nach auf beiden Darstellungen eine verschie-
dene. Auf der Vivenziovase will Andromache dem ihr schon
entrissenen Astyanax noch im letzten Augenblick zu Hilfe eilen;

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[68/0082] erst gesehen hat, darin und nur darin ihre Erklärung, daſs er im Begriff ist den getöteten Troer zu spoliieren; daraus ergiebt sich aber mit fast unabweisbarer Notwendigkeit der weitere Schluſs, daſs dieser Grieche und nicht Neoptolemos es ist, der den Troer getötet hat. Diese Folgerung auf die Berliner Amphora angewandt ergiebt weiter, daſs die oben nur als gleichberechtigt hingestellte Deutung des Toten auf Deiphobos die einzig richtige ist; und aus der Darstellung dieser Am- phora ergiebt sich wieder für die Vivenziovase, daſs der knie- ende Krieger Menelaos ist. Der dargestellte Vorgang ist also einfach der, daſs Menelaos, während er den von ihm getöteten Deiphobos spoliieren will, von Andromache mit erhobener Mörser- keule angegriffen wird. Was aber bewegt Andromache zu ihrem Eingreifen? Doch wahrlich nicht bloſs der Wunsch den gefallenen Schwager zu rächen; sie will dem Räuber ihres Sohnes nach und stöſst nieder, was ihren Weg hemmt; umsonst, denn Astyanax liegt bereits getötet auf den Knien des Priamos. Verlassen wir nun zunächst die Vivenziovase, und wenden uns zur Brygosschale zurück. Für diese ergeben sich aus dem Gesagten ohne Weiteres eine Reihe von Folgerungen. Der tötlich getroffen zurücksinkende Troer, der scheinbar als Andromachos Bezeichnete, ist Deiphobos, wobei ich dahingestellt lasse, ob Brygos den Namen zu ________ verschrieben hatte; der sieg- reiche Grieche mit der räthselhaften Beischrift ______ ist Me- nelaos. Andromache greift hier in einem etwas früheren Zeit- punkt ein, als auf der Vivenziovase; wie auch in der Reihenfolge der Episoden der Iliupersis der Vorgang bei Brygos eine frühere Stelle einnimmt als dort. Während derselbe nämlich dort dem Tode des Priamos gleichzeitig und also Astyanax schon tot ist, zeigt bei Brygos erst die zeitlich spätere Darstellung der anderen Seite den Tod des Priamos, und so finden wir in dieser früher zu denkenden Scene Astyanax noch lebend und fliehend. Da- durch ist auch Andromaches That zwar nicht ihrem Wesen, aber ihrem Zweck nach auf beiden Darstellungen eine verschie- dene. Auf der Vivenziovase will Andromache dem ihr schon entrissenen Astyanax noch im letzten Augenblick zu Hilfe eilen;

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Zitationshilfe: Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/82>, abgerufen am 04.12.2024.