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Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881.

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gehabt, dass nicht nur Selene, sondern auch der Schlafgott
Hypnos sich in Endymion verliebt und dass er, um des Anblicks
der schönen Augen seines Geliebten zu geniessen, ihn mit
offenen Augenliedern einschlafen lässt. Sehr schön für den Dich-
ter; in der bildenden Kunst aber ist ein mit offenen Augen
Schlafender von einem Wachenden nicht zu unterscheiden. Und
wenn auch zuzugeben ist, dass auf dem verlorenen Original der
unbekannte Meister die im Schlaf gelösten Glieder besser zu
charakterisieren verstanden haben wird, als die pompejanischen
Maler und die römischen Sarkophagarbeiter68), die das Motiv
copieren, so beweist doch eben der Umstand, dass jede Andeu-
tung des Schlafens zuletzt verloren geht, und die römischen
Arbeiter sich offenbar des ursprünglichen Motives gar nicht mehr
bewusst sind, wie gefährlich es ist, einen poetischen Ausdruck
ohne weiteres bildlich gestalten zu wollen. Übrigens liefert auch
dies Beispiel uns den denkbar besten Beweis für die Anforderungen,
welche die hellenistische Kunst an die Belesenheit des Beschauers
stellte. Auch die Kunst richtet sich, wie die Poesie, an ein aus-
erlesenes Publikum. Eine Fülle erotischer Sagen, wesentlich
solcher, die durch die hellenistische Poesie bekannt und be-
rühmt geworden sind, dringt in die Kunst ein, Daphne, Endy-
mion, Narkissos, auch alte Stoffe im neuen Gewande, wie die
verbrecherische Liebe der Skylla und der Pasiphae. Vor allem
wird auch hier das Situationsbild geliebt, das trauliche Zusammen-
sein der Liebenden, das Liebessehnen der Einsamen, das Klagen
der Verlassenen -- die Töne der alexandrinischen Elegie klingen
uns auch aus dem Bilde entgegen.

Alle diese verschiedenen Strömungen fliessen endlich zusammen
in der römischen Welt; es ist ein buntes Bild, welches die durch
Poesie und Kunst klassisch gewordene griechische Sagenwelt auf

dontos autou katakaluptei tous ophthalmous, all anapeptamenon ton blepharon
koimizei ton eromenon, opos dia pantos apolaue tes tou theorein edones; legei
d outos;
Upnos de khairon ommaton augais anapeptamenois
ossoisin ekoimize kouron.
68) Helbig Nr. 957. 960. Bull. d. Inst. 1869 p. 65. und öfter.

gehabt, daſs nicht nur Selene, sondern auch der Schlafgott
Hypnos sich in Endymion verliebt und daſs er, um des Anblicks
der schönen Augen seines Geliebten zu genieſsen, ihn mit
offenen Augenliedern einschlafen läſst. Sehr schön für den Dich-
ter; in der bildenden Kunst aber ist ein mit offenen Augen
Schlafender von einem Wachenden nicht zu unterscheiden. Und
wenn auch zuzugeben ist, daſs auf dem verlorenen Original der
unbekannte Meister die im Schlaf gelösten Glieder besser zu
charakterisieren verstanden haben wird, als die pompejanischen
Maler und die römischen Sarkophagarbeiter68), die das Motiv
copieren, so beweist doch eben der Umstand, daſs jede Andeu-
tung des Schlafens zuletzt verloren geht, und die römischen
Arbeiter sich offenbar des ursprünglichen Motives gar nicht mehr
bewuſst sind, wie gefährlich es ist, einen poetischen Ausdruck
ohne weiteres bildlich gestalten zu wollen. Übrigens liefert auch
dies Beispiel uns den denkbar besten Beweis für die Anforderungen,
welche die hellenistische Kunst an die Belesenheit des Beschauers
stellte. Auch die Kunst richtet sich, wie die Poesie, an ein aus-
erlesenes Publikum. Eine Fülle erotischer Sagen, wesentlich
solcher, die durch die hellenistische Poesie bekannt und be-
rühmt geworden sind, dringt in die Kunst ein, Daphne, Endy-
mion, Narkissos, auch alte Stoffe im neuen Gewande, wie die
verbrecherische Liebe der Skylla und der Pasiphae. Vor allem
wird auch hier das Situationsbild geliebt, das trauliche Zusammen-
sein der Liebenden, das Liebessehnen der Einsamen, das Klagen
der Verlassenen — die Töne der alexandrinischen Elegie klingen
uns auch aus dem Bilde entgegen.

Alle diese verschiedenen Strömungen flieſsen endlich zusammen
in der römischen Welt; es ist ein buntes Bild, welches die durch
Poesie und Kunst klassisch gewordene griechische Sagenwelt auf

δοντος αὐτοῦ κατακαλύπτει τοὺς ὀφϑαλμούς, ἀλλ̕ ἀναπεπταμένων τῶν βλεφάρων
κοιμίζει τὸν ἐρώμενον, ὅπως διὰ παντὸς ἀπολαύῃ τῆς τοῦ ϑεωρεῖν ἡδονῆς· λέγει
δ̕ οὕτως·
Ὕπνος δὲ χαίρων ὀμμάτων αὐγαῖς ἀναπεπταμένοις
ὄσσοισιν ἐκοίμιζε κοῦρον.
68) Helbig Nr. 957. 960. Bull. d. Inst. 1869 p. 65. und öfter.
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[50/0064] gehabt, daſs nicht nur Selene, sondern auch der Schlafgott Hypnos sich in Endymion verliebt und daſs er, um des Anblicks der schönen Augen seines Geliebten zu genieſsen, ihn mit offenen Augenliedern einschlafen läſst. Sehr schön für den Dich- ter; in der bildenden Kunst aber ist ein mit offenen Augen Schlafender von einem Wachenden nicht zu unterscheiden. Und wenn auch zuzugeben ist, daſs auf dem verlorenen Original der unbekannte Meister die im Schlaf gelösten Glieder besser zu charakterisieren verstanden haben wird, als die pompejanischen Maler und die römischen Sarkophagarbeiter 68), die das Motiv copieren, so beweist doch eben der Umstand, daſs jede Andeu- tung des Schlafens zuletzt verloren geht, und die römischen Arbeiter sich offenbar des ursprünglichen Motives gar nicht mehr bewuſst sind, wie gefährlich es ist, einen poetischen Ausdruck ohne weiteres bildlich gestalten zu wollen. Übrigens liefert auch dies Beispiel uns den denkbar besten Beweis für die Anforderungen, welche die hellenistische Kunst an die Belesenheit des Beschauers stellte. Auch die Kunst richtet sich, wie die Poesie, an ein aus- erlesenes Publikum. Eine Fülle erotischer Sagen, wesentlich solcher, die durch die hellenistische Poesie bekannt und be- rühmt geworden sind, dringt in die Kunst ein, Daphne, Endy- mion, Narkissos, auch alte Stoffe im neuen Gewande, wie die verbrecherische Liebe der Skylla und der Pasiphae. Vor allem wird auch hier das Situationsbild geliebt, das trauliche Zusammen- sein der Liebenden, das Liebessehnen der Einsamen, das Klagen der Verlassenen — die Töne der alexandrinischen Elegie klingen uns auch aus dem Bilde entgegen. Alle diese verschiedenen Strömungen flieſsen endlich zusammen in der römischen Welt; es ist ein buntes Bild, welches die durch Poesie und Kunst klassisch gewordene griechische Sagenwelt auf 67) 68) Helbig Nr. 957. 960. Bull. d. Inst. 1869 p. 65. und öfter. 67) δοντος αὐτοῦ κατακαλύπτει τοὺς ὀφϑαλμούς, ἀλλ̕ ἀναπεπταμένων τῶν βλεφάρων κοιμίζει τὸν ἐρώμενον, ὅπως διὰ παντὸς ἀπολαύῃ τῆς τοῦ ϑεωρεῖν ἡδονῆς· λέγει δ̕ οὕτως· Ὕπνος δὲ χαίρων ὀμμάτων αὐγαῖς ἀναπεπταμένοις ὄσσοισιν ἐκοίμιζε κοῦρον.

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Zitationshilfe: Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 50. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/64>, abgerufen am 22.11.2024.