Mythenversion anschloss. Hier also begegnet uns zum ersten Mal eine Erscheinung, die sich noch am ehesten mit unseren moder- nen Klassiker-Illustrationen in Parallele bringen lässt. Sobald die dekorative Wandmalerei und das Relief, das auch in dieser Periode noch sich enger an den Entwickelungsgang der Malerei anschliesst, als moderne Kunsttheoretiker zugeben wollen, der Tafel- malerei auf dies Gebiet zu folgen beginnen, werden sie ganz von selbst dahin getrieben, an Stelle umrahmter Einzelscenen eine Reihe von zeitlich aufeinanderfolgenden, räumlich ohne Abgren- zung in einander überlaufenden Scenen zu setzen; bei dieser gan- zen Neuerung mag übrigens auch die erneute enge Berührung mit dem Orient, in dessen Kunst ein solches chronikartiges Aneinander- reihen von Scenen seit alten Zeiten heimisch war61), wesentlich mitgesprochen haben. Denn wenn man früher geneigt sein musste, dies gerade in römischer Zeit so beliebte Aneinanderreihen von Scenen für eine Neuerung dieser späteren Periode zu halten, so haben uns die Ausgrabungen von Pergamon gelehrt, dass dies Verfahren schon im zweiten Jahrhundert gang und gäbe war, und wer weiss, ob es nicht schon in die Anfänge der hellenistischen Periode, in die Zeit der ersten intimeren Berührung mit dem Orient zurückdatiert werden muss. Wie verhält sich nun der pergamenische Telephos- Fries, das älteste Beispiel von der Vereinigung zeitlich aufein- anderfolgender Scenen, zur Poesie? Hier war dem Künstler die Aufgabe gestellt, die Geschichte des mythischen Gründers von Pergamon in einer Reihenfolge von Scenen zu erzählen, aber in der Poesie fand er wohl einzelne Episoden aus dem Leben seines Helden, so namentlich sein Zusammentreffen mit Achilleus, in Epos und Drama behandelt, aber nirgend eine zusammenhängende Schilderung seiner Schicksale. Wenn nun auch eine syste- matische Durcharbeitung der Friesfragmente bis jetzt vermisst wird, so lässt sich doch so viel erkennen, dass durchaus die von dem Drama geschaffenen Versionen dem Künstler vorgeschwebt haben, und der Inhalt verschiedener Tragödien von ihm wohl oder übel zu einer einheitlichen Geschichte zusammengearbeitet ist;
61) Siehe oben Anm. 12.
Mythenversion anschloſs. Hier also begegnet uns zum ersten Mal eine Erscheinung, die sich noch am ehesten mit unseren moder- nen Klassiker-Illustrationen in Parallele bringen läſst. Sobald die dekorative Wandmalerei und das Relief, das auch in dieser Periode noch sich enger an den Entwickelungsgang der Malerei anschlieſst, als moderne Kunsttheoretiker zugeben wollen, der Tafel- malerei auf dies Gebiet zu folgen beginnen, werden sie ganz von selbst dahin getrieben, an Stelle umrahmter Einzelscenen eine Reihe von zeitlich aufeinanderfolgenden, räumlich ohne Abgren- zung in einander überlaufenden Scenen zu setzen; bei dieser gan- zen Neuerung mag übrigens auch die erneute enge Berührung mit dem Orient, in dessen Kunst ein solches chronikartiges Aneinander- reihen von Scenen seit alten Zeiten heimisch war61), wesentlich mitgesprochen haben. Denn wenn man früher geneigt sein muſste, dies gerade in römischer Zeit so beliebte Aneinanderreihen von Scenen für eine Neuerung dieser späteren Periode zu halten, so haben uns die Ausgrabungen von Pergamon gelehrt, daſs dies Verfahren schon im zweiten Jahrhundert gang und gäbe war, und wer weiſs, ob es nicht schon in die Anfänge der hellenistischen Periode, in die Zeit der ersten intimeren Berührung mit dem Orient zurückdatiert werden muſs. Wie verhält sich nun der pergamenische Telephos- Fries, das älteste Beispiel von der Vereinigung zeitlich aufein- anderfolgender Scenen, zur Poesie? Hier war dem Künstler die Aufgabe gestellt, die Geschichte des mythischen Gründers von Pergamon in einer Reihenfolge von Scenen zu erzählen, aber in der Poesie fand er wohl einzelne Episoden aus dem Leben seines Helden, so namentlich sein Zusammentreffen mit Achilleus, in Epos und Drama behandelt, aber nirgend eine zusammenhängende Schilderung seiner Schicksale. Wenn nun auch eine syste- matische Durcharbeitung der Friesfragmente bis jetzt vermiſst wird, so läſst sich doch so viel erkennen, daſs durchaus die von dem Drama geschaffenen Versionen dem Künstler vorgeschwebt haben, und der Inhalt verschiedener Tragödien von ihm wohl oder übel zu einer einheitlichen Geschichte zusammengearbeitet ist;
61) Siehe oben Anm. 12.
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Mythenversion anschloſs. Hier also begegnet uns zum ersten Mal
eine Erscheinung, die sich noch am ehesten mit unseren moder-
nen Klassiker-Illustrationen in Parallele bringen läſst. Sobald
die dekorative Wandmalerei und das Relief, das auch in dieser
Periode noch sich enger an den Entwickelungsgang der Malerei
anschlieſst, als moderne Kunsttheoretiker zugeben wollen, der Tafel-
malerei auf dies Gebiet zu folgen beginnen, werden sie ganz von
selbst dahin getrieben, an Stelle umrahmter Einzelscenen eine
Reihe von zeitlich aufeinanderfolgenden, räumlich ohne Abgren-
zung in einander überlaufenden Scenen zu setzen; bei dieser gan-
zen Neuerung mag übrigens auch die erneute enge Berührung mit
dem Orient, in dessen Kunst ein solches chronikartiges Aneinander-
reihen von Scenen seit alten Zeiten heimisch war 61), wesentlich
mitgesprochen haben. Denn wenn man früher geneigt sein muſste,
dies gerade in römischer Zeit so beliebte Aneinanderreihen von
Scenen für eine Neuerung dieser späteren Periode zu halten, so haben
uns die Ausgrabungen von Pergamon gelehrt, daſs dies Verfahren
schon im zweiten Jahrhundert gang und gäbe war, und wer weiſs,
ob es nicht schon in die Anfänge der hellenistischen Periode, in die
Zeit der ersten intimeren Berührung mit dem Orient zurückdatiert
werden muſs. Wie verhält sich nun der pergamenische Telephos-
Fries, das älteste Beispiel von der Vereinigung zeitlich aufein-
anderfolgender Scenen, zur Poesie? Hier war dem Künstler die
Aufgabe gestellt, die Geschichte des mythischen Gründers von
Pergamon in einer Reihenfolge von Scenen zu erzählen, aber in
der Poesie fand er wohl einzelne Episoden aus dem Leben seines
Helden, so namentlich sein Zusammentreffen mit Achilleus, in
Epos und Drama behandelt, aber nirgend eine zusammenhängende
Schilderung seiner Schicksale. Wenn nun auch eine syste-
matische Durcharbeitung der Friesfragmente bis jetzt vermiſst
wird, so läſst sich doch so viel erkennen, daſs durchaus die von
dem Drama geschaffenen Versionen dem Künstler vorgeschwebt
haben, und der Inhalt verschiedener Tragödien von ihm wohl oder
übel zu einer einheitlichen Geschichte zusammengearbeitet ist;
61) Siehe oben Anm. 12.
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Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/61>, abgerufen am 04.05.2024.
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