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Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881.

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an einzig noch in Euripideischer Fassung gekannt und geschätzt,
und kaum giebt es einen Dichter, dessen Sagenbehandlung eine
solche epochemachende Wirkung gehabt hat; sie beherrscht
nicht nur das ganze spätere Altertum, auch die klassische Tra-
gödie der Franzosen und Italiener, auch unsere eigene Sagen-
anschauung steht unter ihrem Bann.

Für die bildende Kunst bereitet das Drama den Sagenstoff
in einer Weise vor, wie keine zweite Dichtungsgattung; auch in
ihm werden ja schon die Vorgänge leibhaftig dem Zuschauer vor
Augen gestellt, auch in ihm wird der Stoff in einzelne charak-
teristische Scenen zerlegt vorgeführt. Diese ungemeinen Vorteile
der dramatischen Sagenform konnten der bildenden Kunst nicht
lange verborgen bleiben, aber es bedurfte Zeit, bis sie sich die-
selbe zu Nutzen machte; die Wirkung war keine augenblickliche,
sondern eine ganz allmähliche. Aus dem fünften Jahrhundert
besitzen wir kein Kunstwerk, welches den Sagenstoff in derjenigen
Form bildlich darstellt, in welcher ihn in derselben Zeit Aischylos,
Sophokles und Euripides auf die attische Bühne brachten. Frei-
lich in einem Punkte bedarf diese Behauptung einer Einschrän-
kung. Das ausgelassene Treiben der nichtsnutzigen Satyrn im
Satyrspiel bot zu so köstlichen Darstellungen Anlass, dass sich
die attischen Künstler diesen dankbaren Stoff unmöglich entgehen
lassen konnten 29); im Übrigen aber ist es bis jetzt nicht geglückt,
wenigstens mit einiger Probabilität, bei Kunstwerken des fünften
Jahrhunderts den Einfluss der Sagengestaltung des Dramas nach-

29) Ich meine vor allem die Satyrvase des Brygos (M. d. I. IX tav. XLVI.
Wiener Vorlegeblätter Ser. VIII 6), auf der wahrscheinlich eine Scene
aus der Iris des Achaios zu erkennen ist; vgl. Matz A. d. I. 1872 p. 300.
Helbig B. d. I. 1872 p. 41. Urlichs D. Vasenmaler Brygos S. 5. Die dort
gleichfalls als Möglichkeit zugelassene Beziehung auf den Inachos des So-
phokles scheint mir wenig wahrscheinlich. Aber auch auf einer Duris-
vase (Wiener Vorlegeblätter Ser. VI 4) lässt der Satyrherold (vgl. Athen
V p. 198 A) die Einwirkung der Bühne erkennen. Ob nicht sowohl in diesem
Herold als auch in dem durch bunten Chiton ausgezeichneten Satyr auf der be-
rühmten Neapler Vase (Heydemann Nr. 3240) der Koryphaios des Satyrchores
zu erkennen ist?

an einzig noch in Euripideischer Fassung gekannt und geschätzt,
und kaum giebt es einen Dichter, dessen Sagenbehandlung eine
solche epochemachende Wirkung gehabt hat; sie beherrscht
nicht nur das ganze spätere Altertum, auch die klassische Tra-
gödie der Franzosen und Italiener, auch unsere eigene Sagen-
anschauung steht unter ihrem Bann.

Für die bildende Kunst bereitet das Drama den Sagenstoff
in einer Weise vor, wie keine zweite Dichtungsgattung; auch in
ihm werden ja schon die Vorgänge leibhaftig dem Zuschauer vor
Augen gestellt, auch in ihm wird der Stoff in einzelne charak-
teristische Scenen zerlegt vorgeführt. Diese ungemeinen Vorteile
der dramatischen Sagenform konnten der bildenden Kunst nicht
lange verborgen bleiben, aber es bedurfte Zeit, bis sie sich die-
selbe zu Nutzen machte; die Wirkung war keine augenblickliche,
sondern eine ganz allmähliche. Aus dem fünften Jahrhundert
besitzen wir kein Kunstwerk, welches den Sagenstoff in derjenigen
Form bildlich darstellt, in welcher ihn in derselben Zeit Aischylos,
Sophokles und Euripides auf die attische Bühne brachten. Frei-
lich in einem Punkte bedarf diese Behauptung einer Einschrän-
kung. Das ausgelassene Treiben der nichtsnutzigen Satyrn im
Satyrspiel bot zu so köstlichen Darstellungen Anlaſs, daſs sich
die attischen Künstler diesen dankbaren Stoff unmöglich entgehen
lassen konnten 29); im Übrigen aber ist es bis jetzt nicht geglückt,
wenigstens mit einiger Probabilität, bei Kunstwerken des fünften
Jahrhunderts den Einfluſs der Sagengestaltung des Dramas nach-

29) Ich meine vor allem die Satyrvase des Brygos (M. d. I. IX tav. XLVI.
Wiener Vorlegeblätter Ser. VIII 6), auf der wahrscheinlich eine Scene
aus der Iris des Achaios zu erkennen ist; vgl. Matz A. d. I. 1872 p. 300.
Helbig B. d. I. 1872 p. 41. Urlichs D. Vasenmaler Brygos S. 5. Die dort
gleichfalls als Möglichkeit zugelassene Beziehung auf den Inachos des So-
phokles scheint mir wenig wahrscheinlich. Aber auch auf einer Duris-
vase (Wiener Vorlegeblätter Ser. VI 4) läſst der Satyrherold (vgl. Athen
V p. 198 A) die Einwirkung der Bühne erkennen. Ob nicht sowohl in diesem
Herold als auch in dem durch bunten Chiton ausgezeichneten Satyr auf der be-
rühmten Neapler Vase (Heydemann Nr. 3240) der Koryphaios des Satyrchores
zu erkennen ist?
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[28/0042] an einzig noch in Euripideischer Fassung gekannt und geschätzt, und kaum giebt es einen Dichter, dessen Sagenbehandlung eine solche epochemachende Wirkung gehabt hat; sie beherrscht nicht nur das ganze spätere Altertum, auch die klassische Tra- gödie der Franzosen und Italiener, auch unsere eigene Sagen- anschauung steht unter ihrem Bann. Für die bildende Kunst bereitet das Drama den Sagenstoff in einer Weise vor, wie keine zweite Dichtungsgattung; auch in ihm werden ja schon die Vorgänge leibhaftig dem Zuschauer vor Augen gestellt, auch in ihm wird der Stoff in einzelne charak- teristische Scenen zerlegt vorgeführt. Diese ungemeinen Vorteile der dramatischen Sagenform konnten der bildenden Kunst nicht lange verborgen bleiben, aber es bedurfte Zeit, bis sie sich die- selbe zu Nutzen machte; die Wirkung war keine augenblickliche, sondern eine ganz allmähliche. Aus dem fünften Jahrhundert besitzen wir kein Kunstwerk, welches den Sagenstoff in derjenigen Form bildlich darstellt, in welcher ihn in derselben Zeit Aischylos, Sophokles und Euripides auf die attische Bühne brachten. Frei- lich in einem Punkte bedarf diese Behauptung einer Einschrän- kung. Das ausgelassene Treiben der nichtsnutzigen Satyrn im Satyrspiel bot zu so köstlichen Darstellungen Anlaſs, daſs sich die attischen Künstler diesen dankbaren Stoff unmöglich entgehen lassen konnten 29); im Übrigen aber ist es bis jetzt nicht geglückt, wenigstens mit einiger Probabilität, bei Kunstwerken des fünften Jahrhunderts den Einfluſs der Sagengestaltung des Dramas nach- 29) Ich meine vor allem die Satyrvase des Brygos (M. d. I. IX tav. XLVI. Wiener Vorlegeblätter Ser. VIII 6), auf der wahrscheinlich eine Scene aus der Iris des Achaios zu erkennen ist; vgl. Matz A. d. I. 1872 p. 300. Helbig B. d. I. 1872 p. 41. Urlichs D. Vasenmaler Brygos S. 5. Die dort gleichfalls als Möglichkeit zugelassene Beziehung auf den Inachos des So- phokles scheint mir wenig wahrscheinlich. Aber auch auf einer Duris- vase (Wiener Vorlegeblätter Ser. VI 4) läſst der Satyrherold (vgl. Athen V p. 198 A) die Einwirkung der Bühne erkennen. Ob nicht sowohl in diesem Herold als auch in dem durch bunten Chiton ausgezeichneten Satyr auf der be- rühmten Neapler Vase (Heydemann Nr. 3240) der Koryphaios des Satyrchores zu erkennen ist?

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Zitationshilfe: Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 28. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/42>, abgerufen am 23.04.2024.