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Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881.

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schwelgende Kunst, die keine Schranke fesselt und kein Gesetz
bindet, zu dem Versuch, Vorgänge, die nur für die Poesie, nicht
aber für die Kunst darstellbar sind, bildlich zu gestalten, so z. B.
Verwandlungsscenen. Ein charakteristisches Beispiel dafür ist
des Peleus Werbung um Thetis. Scheu und flüchtig, wie alle
Meermädchen, jede Gestalt anzunehmen fähig, wie alle Wassergott-
heiten, sucht sich Thetis der Umarmung des Sterblichen zu ent-
ziehen, indem sie in stets wechselnder Gestalt ihn bedroht, als
Feuer ihn umlodert, als Schlange sich um seine Glieder schlingt,
als Löwe oder Panther auf ihn eindringt: so berichtete die Sage,
so sang das Volkslied. Das Bild fasst alle diese verschiedenen
Momente in einen zusammen. Thetis in menschlicher Gestalt
wird von Peleus um die Hüften gepackt und festgehalten, aber
gleichzeitig sind alle Gestalten, welche Thetis der Reihe nach
annimmt, angegeben und nicht ohne Geschick künstlerisch ver-
wertet. Flammen schlagen hinter den Schultern der Thetis empor,
Schlangen umwinden die Hände und Füsse des Peleus und züngeln
gierig nach seinem Gesicht, ein Löwe ist ihm auf den Rücken
gesprungen und hat die Zähne in seine Schulter eingeschlagen 20).

nische Sagenstoff schliesslich im Epos gefunden hat, sehr wesentlich einge-
wirkt zu haben scheint, wie namentlich die Manto-Episode zeigt (schol.
Apoll. A 308). Unter diesen Umständen wird man denn bei einem kolopho-
nischen Dichter gerade am ehesten die Version der Thebais zu erwarten be-
rechtigt sein. Dass die Vasen, die auf Tydeus und Ismene am Brunnen ge-
deutet sind, in Wahrheit Achill und Polyxena darstellen, ist längst richtig
gesehen.
20) Sollte es nicht mit Panther und Schlange, die wir in den Darstel-
lungen der Gigantomachie neben Dionysos erblicken, ursprünglich eine ähn-
liche Bewandtnis haben? Man nimmt gewöhnlich an, dass es die heiligen
Tiere des Dionysos seien, die für ihn kämpfen, allein wie kommt es, dass
die Tiere der übrigen Götter, vor allem der Adler des Zeus, nicht auch schon in
früherer Zeit, sondern erst auf dem pergamenischen Altar in den Kampf ein-
greifen? Andererseits ist es bekannt genug, welche grosse Rolle in den ver-
schiedenen Dionysos-Mythen gerade die Verwandlung spielt. Im homerischen
Hymnus verwandelt er sich beim Abenteuer mit den tyrrhenischen Seeräubern
in einen Löwen (hymn. hom. VII 44); und dass er im Gigantenkampf den
Rhoitos leonis unguibus terribilique mala niederwarf, wusste noch Horaz
(carm. II 19, 23). So scheint mir, dass auf den älteren Darstellungen Panther

schwelgende Kunst, die keine Schranke fesselt und kein Gesetz
bindet, zu dem Versuch, Vorgänge, die nur für die Poesie, nicht
aber für die Kunst darstellbar sind, bildlich zu gestalten, so z. B.
Verwandlungsscenen. Ein charakteristisches Beispiel dafür ist
des Peleus Werbung um Thetis. Scheu und flüchtig, wie alle
Meermädchen, jede Gestalt anzunehmen fähig, wie alle Wassergott-
heiten, sucht sich Thetis der Umarmung des Sterblichen zu ent-
ziehen, indem sie in stets wechselnder Gestalt ihn bedroht, als
Feuer ihn umlodert, als Schlange sich um seine Glieder schlingt,
als Löwe oder Panther auf ihn eindringt: so berichtete die Sage,
so sang das Volkslied. Das Bild faſst alle diese verschiedenen
Momente in einen zusammen. Thetis in menschlicher Gestalt
wird von Peleus um die Hüften gepackt und festgehalten, aber
gleichzeitig sind alle Gestalten, welche Thetis der Reihe nach
annimmt, angegeben und nicht ohne Geschick künstlerisch ver-
wertet. Flammen schlagen hinter den Schultern der Thetis empor,
Schlangen umwinden die Hände und Füſse des Peleus und züngeln
gierig nach seinem Gesicht, ein Löwe ist ihm auf den Rücken
gesprungen und hat die Zähne in seine Schulter eingeschlagen 20).

nische Sagenstoff schlieſslich im Epos gefunden hat, sehr wesentlich einge-
wirkt zu haben scheint, wie namentlich die Manto-Episode zeigt (schol.
Apoll. Α 308). Unter diesen Umständen wird man denn bei einem kolopho-
nischen Dichter gerade am ehesten die Version der Thebais zu erwarten be-
rechtigt sein. Daſs die Vasen, die auf Tydeus und Ismene am Brunnen ge-
deutet sind, in Wahrheit Achill und Polyxena darstellen, ist längst richtig
gesehen.
20) Sollte es nicht mit Panther und Schlange, die wir in den Darstel-
lungen der Gigantomachie neben Dionysos erblicken, ursprünglich eine ähn-
liche Bewandtnis haben? Man nimmt gewöhnlich an, daſs es die heiligen
Tiere des Dionysos seien, die für ihn kämpfen, allein wie kommt es, daſs
die Tiere der übrigen Götter, vor allem der Adler des Zeus, nicht auch schon in
früherer Zeit, sondern erst auf dem pergamenischen Altar in den Kampf ein-
greifen? Andererseits ist es bekannt genug, welche groſse Rolle in den ver-
schiedenen Dionysos-Mythen gerade die Verwandlung spielt. Im homerischen
Hymnus verwandelt er sich beim Abenteuer mit den tyrrhenischen Seeräubern
in einen Löwen (hymn. hom. VII 44); und daſs er im Gigantenkampf den
Rhoitos leonis unguibus terribilique mala niederwarf, wuſste noch Horaz
(carm. II 19, 23). So scheint mir, daſs auf den älteren Darstellungen Panther
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[22/0036] schwelgende Kunst, die keine Schranke fesselt und kein Gesetz bindet, zu dem Versuch, Vorgänge, die nur für die Poesie, nicht aber für die Kunst darstellbar sind, bildlich zu gestalten, so z. B. Verwandlungsscenen. Ein charakteristisches Beispiel dafür ist des Peleus Werbung um Thetis. Scheu und flüchtig, wie alle Meermädchen, jede Gestalt anzunehmen fähig, wie alle Wassergott- heiten, sucht sich Thetis der Umarmung des Sterblichen zu ent- ziehen, indem sie in stets wechselnder Gestalt ihn bedroht, als Feuer ihn umlodert, als Schlange sich um seine Glieder schlingt, als Löwe oder Panther auf ihn eindringt: so berichtete die Sage, so sang das Volkslied. Das Bild faſst alle diese verschiedenen Momente in einen zusammen. Thetis in menschlicher Gestalt wird von Peleus um die Hüften gepackt und festgehalten, aber gleichzeitig sind alle Gestalten, welche Thetis der Reihe nach annimmt, angegeben und nicht ohne Geschick künstlerisch ver- wertet. Flammen schlagen hinter den Schultern der Thetis empor, Schlangen umwinden die Hände und Füſse des Peleus und züngeln gierig nach seinem Gesicht, ein Löwe ist ihm auf den Rücken gesprungen und hat die Zähne in seine Schulter eingeschlagen 20). 19) 20) Sollte es nicht mit Panther und Schlange, die wir in den Darstel- lungen der Gigantomachie neben Dionysos erblicken, ursprünglich eine ähn- liche Bewandtnis haben? Man nimmt gewöhnlich an, daſs es die heiligen Tiere des Dionysos seien, die für ihn kämpfen, allein wie kommt es, daſs die Tiere der übrigen Götter, vor allem der Adler des Zeus, nicht auch schon in früherer Zeit, sondern erst auf dem pergamenischen Altar in den Kampf ein- greifen? Andererseits ist es bekannt genug, welche groſse Rolle in den ver- schiedenen Dionysos-Mythen gerade die Verwandlung spielt. Im homerischen Hymnus verwandelt er sich beim Abenteuer mit den tyrrhenischen Seeräubern in einen Löwen (hymn. hom. VII 44); und daſs er im Gigantenkampf den Rhoitos leonis unguibus terribilique mala niederwarf, wuſste noch Horaz (carm. II 19, 23). So scheint mir, daſs auf den älteren Darstellungen Panther 19) nische Sagenstoff schlieſslich im Epos gefunden hat, sehr wesentlich einge- wirkt zu haben scheint, wie namentlich die Manto-Episode zeigt (schol. Apoll. Α 308). Unter diesen Umständen wird man denn bei einem kolopho- nischen Dichter gerade am ehesten die Version der Thebais zu erwarten be- rechtigt sein. Daſs die Vasen, die auf Tydeus und Ismene am Brunnen ge- deutet sind, in Wahrheit Achill und Polyxena darstellen, ist längst richtig gesehen.

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Zitationshilfe: Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/36>, abgerufen am 24.04.2024.