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Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881.

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wendet ein, dass der König fehle, dass die Krieger bewaffnet,
nicht Streitende, sondern Streiter seien und endlich, dass zwei
Greise (also ein charakteristisches Moment) sie trennen. Allein,
dass Agamemnon fortgelassen ist und zwei der einschreitenden
Achaier als Greise, also etwa als Nestor und Phoinix charak-
terisiert sind, geht nicht über das Mass der Änderungen hinaus,
die ein phantasievoller Vasenmaler sich überhaupt mit den über-
lieferten Typen gestattet. Bedenklicher könnte die Bewaffnung
scheinen, allein auch auf dem Leydener Krater haben wir Ähnliches
gefunden, und nicht bei jedem Vasenmaler dürfen wir ein so
ausgebildetes Gefühl für das der Situation Angemessene erwarten,
wie bei einem Duris. Dass jedenfalls Kleins eigene Deutung auf
den von Welcker vermuteten "aufgehobenen Zweikampf zwischen
Achilleus und Hektor" jetzt nach Luckenbachs Auseinandersetzung
nicht mehr haltbar ist, wird derselbe wohl selbst zugeben.

Als unmittelbare Fortsetzung dieser Streitscene ist die Dar-
stellung zu fassen, welche zweimal sowohl bei Duris als auf der
zweiten Londoner Schale (Br. Mus. 829, abgeb. Archaeologia
XXXII pl. XI) als Gegenstück mit derselben zusammengestellt
ist; auch dies hat Klein richtig erkannt, allein entschieden irrig
ist seine Auffassung des Vorgangs. Schon der Satz, mit dem
Klein seine Deutung einleitet, dass "die Lösung durch das einzige
nach griechischem Sinne noch übrige Mittel, durch göttliche Ent-
scheidung erfolge" ist höchst befremdlich. Denn kein Dichter
weiss von einer solchen, bei Allen erfolgt die Entscheidung durch
Abstimmung, und das ist ein absolut notwendiger, unveräusser-
licher Zug der Sage, weil durch ihn allein der Hass des Aias gegen
die Atriden und sein späterer Wahnwitz motiviert wird. Doch
fassen wir die Darstellung, zunächst die des Duris, näher ins Auge.
Die Mitte nimmt eine ziemlich niedrige Basis ein, auf welcher links
eine grössere, rechts eine geringere Anzahl kleiner rundlicher Gegen-
stände liegt. Hinter der Basis steht Athena mit erhobener Rechten
auf das Lebhafteste ihre Teilnahme kundgebend. Von beiden Seiten
ist je ein bärtiger Mann zur Basis herangetreten, jeder beugt sich
nieder und scheint je einen jener kleinen rundlichen Gegenstände
auf die Basis legen zu wollen. Hinter dem zur Rechten naht

wendet ein, daſs der König fehle, daſs die Krieger bewaffnet,
nicht Streitende, sondern Streiter seien und endlich, daſs zwei
Greise (also ein charakteristisches Moment) sie trennen. Allein,
daſs Agamemnon fortgelassen ist und zwei der einschreitenden
Achaier als Greise, also etwa als Nestor und Phoinix charak-
terisiert sind, geht nicht über das Maſs der Änderungen hinaus,
die ein phantasievoller Vasenmaler sich überhaupt mit den über-
lieferten Typen gestattet. Bedenklicher könnte die Bewaffnung
scheinen, allein auch auf dem Leydener Krater haben wir Ähnliches
gefunden, und nicht bei jedem Vasenmaler dürfen wir ein so
ausgebildetes Gefühl für das der Situation Angemessene erwarten,
wie bei einem Duris. Daſs jedenfalls Kleins eigene Deutung auf
den von Welcker vermuteten „aufgehobenen Zweikampf zwischen
Achilleus und Hektor“ jetzt nach Luckenbachs Auseinandersetzung
nicht mehr haltbar ist, wird derselbe wohl selbst zugeben.

Als unmittelbare Fortsetzung dieser Streitscene ist die Dar-
stellung zu fassen, welche zweimal sowohl bei Duris als auf der
zweiten Londoner Schale (Br. Mus. 829, abgeb. Archaeologia
XXXII pl. XI) als Gegenstück mit derselben zusammengestellt
ist; auch dies hat Klein richtig erkannt, allein entschieden irrig
ist seine Auffassung des Vorgangs. Schon der Satz, mit dem
Klein seine Deutung einleitet, daſs „die Lösung durch das einzige
nach griechischem Sinne noch übrige Mittel, durch göttliche Ent-
scheidung erfolge“ ist höchst befremdlich. Denn kein Dichter
weiſs von einer solchen, bei Allen erfolgt die Entscheidung durch
Abstimmung, und das ist ein absolut notwendiger, unveräuſser-
licher Zug der Sage, weil durch ihn allein der Haſs des Aias gegen
die Atriden und sein späterer Wahnwitz motiviert wird. Doch
fassen wir die Darstellung, zunächst die des Duris, näher ins Auge.
Die Mitte nimmt eine ziemlich niedrige Basis ein, auf welcher links
eine gröſsere, rechts eine geringere Anzahl kleiner rundlicher Gegen-
stände liegt. Hinter der Basis steht Athena mit erhobener Rechten
auf das Lebhafteste ihre Teilnahme kundgebend. Von beiden Seiten
ist je ein bärtiger Mann zur Basis herangetreten, jeder beugt sich
nieder und scheint je einen jener kleinen rundlichen Gegenstände
auf die Basis legen zu wollen. Hinter dem zur Rechten naht

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[218/0232] wendet ein, daſs der König fehle, daſs die Krieger bewaffnet, nicht Streitende, sondern Streiter seien und endlich, daſs zwei Greise (also ein charakteristisches Moment) sie trennen. Allein, daſs Agamemnon fortgelassen ist und zwei der einschreitenden Achaier als Greise, also etwa als Nestor und Phoinix charak- terisiert sind, geht nicht über das Maſs der Änderungen hinaus, die ein phantasievoller Vasenmaler sich überhaupt mit den über- lieferten Typen gestattet. Bedenklicher könnte die Bewaffnung scheinen, allein auch auf dem Leydener Krater haben wir Ähnliches gefunden, und nicht bei jedem Vasenmaler dürfen wir ein so ausgebildetes Gefühl für das der Situation Angemessene erwarten, wie bei einem Duris. Daſs jedenfalls Kleins eigene Deutung auf den von Welcker vermuteten „aufgehobenen Zweikampf zwischen Achilleus und Hektor“ jetzt nach Luckenbachs Auseinandersetzung nicht mehr haltbar ist, wird derselbe wohl selbst zugeben. Als unmittelbare Fortsetzung dieser Streitscene ist die Dar- stellung zu fassen, welche zweimal sowohl bei Duris als auf der zweiten Londoner Schale (Br. Mus. 829, abgeb. Archaeologia XXXII pl. XI) als Gegenstück mit derselben zusammengestellt ist; auch dies hat Klein richtig erkannt, allein entschieden irrig ist seine Auffassung des Vorgangs. Schon der Satz, mit dem Klein seine Deutung einleitet, daſs „die Lösung durch das einzige nach griechischem Sinne noch übrige Mittel, durch göttliche Ent- scheidung erfolge“ ist höchst befremdlich. Denn kein Dichter weiſs von einer solchen, bei Allen erfolgt die Entscheidung durch Abstimmung, und das ist ein absolut notwendiger, unveräuſser- licher Zug der Sage, weil durch ihn allein der Haſs des Aias gegen die Atriden und sein späterer Wahnwitz motiviert wird. Doch fassen wir die Darstellung, zunächst die des Duris, näher ins Auge. Die Mitte nimmt eine ziemlich niedrige Basis ein, auf welcher links eine gröſsere, rechts eine geringere Anzahl kleiner rundlicher Gegen- stände liegt. Hinter der Basis steht Athena mit erhobener Rechten auf das Lebhafteste ihre Teilnahme kundgebend. Von beiden Seiten ist je ein bärtiger Mann zur Basis herangetreten, jeder beugt sich nieder und scheint je einen jener kleinen rundlichen Gegenstände auf die Basis legen zu wollen. Hinter dem zur Rechten naht

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Zitationshilfe: Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/232>, abgerufen am 03.05.2024.