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Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881.

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die Mutter den Auftrag gegeben -- und diesen Zug hat bekanntlich
auch Sophokles, nur dass sie dort nicht Elektra, der sie misstraut,
sondern der von Sophokles als Folie derselben aus Ilias I 145
eingeführten Chrysothemis den Auftrag erteilt. Ein Traum ist es,
der Klytaimnestra ängstigt und sie treibt, den Schatten des
gemordeten Gatten zu versöhnen; aber den Inhalt des Traumes
geben beide Dichter verschieden an. Bei Sophokles träumt ihr,
dass Agamemnon wieder gekommen sei und die Rechte des Gatten
ausgeübt habe, dann habe er sein altes Szepter ergriffen, es in
die Erde gesteckt und ein Baum sei daraus hervorgewachsen, der
das ganze Mykenerland überschattet habe. Der letzte Zug ist,
wie Classen Über die Beziehungen Sophokleischer Stellen zu der
Erzählung des Herodot (in den Verhandlungen der Kieler Philo-
logenversammlung S. 114) bemerkt, der Erzählung des Herodot
vom Traum der Mandane (I 108) nachgebildet; er ist freie auf
den frischen Eindruck des Herodoteischen Werkes berechnete
Erfindung des Dichters und kommt daher für die poetische Tra-
dition nicht in Betracht. Aischylos lässt den Chor in der Parodos
nur andeutungsweise von dem orthothrix phobos domon oneiromantis
sprechen, in dem die Traumdeuter den fortdauernden Groll der
Unterirdischen gegen die Mörder erblicken; den Inhalt des Traumes
erzählen die Frauen erst V. 527--534 dem Orestes: es hatte
Klytaimnestra geträumt, dass sie einen Drachen geboren und an
die Brust gelegt habe, da habe dieser Blut mit der Milch aus
ihrer Brust gesogen. Dies Motiv des Traumes der Klytaimnestra
können wir nun in einer früheren, aber nachepischen Behandlung
nachweisen und damit stossen wir zum ersten Mal auf festen
Boden; es entstammt der Oresteia des Stesichoros: Plutarch de
sera numinis vindicta
c. 10 p. 554 F (= Bergk Poetae lyrici III
fr. 42) hat uns leider nur zwei Verse aus der betreffenden Partie
erhalten, welche an sich betrachtet eine verschiedene Deutung
zulassen und auch in der That erfahren haben:

ta de drakon edokese molein kara bebrotomenos akron,
ek d ara tou basileus Pleisthenidas ephane;

im allein Zusammenhang der Sagenentwickelung betrachtet lassen,

die Mutter den Auftrag gegeben — und diesen Zug hat bekanntlich
auch Sophokles, nur daſs sie dort nicht Elektra, der sie miſstraut,
sondern der von Sophokles als Folie derselben aus Ilias Ι 145
eingeführten Chrysothemis den Auftrag erteilt. Ein Traum ist es,
der Klytaimnestra ängstigt und sie treibt, den Schatten des
gemordeten Gatten zu versöhnen; aber den Inhalt des Traumes
geben beide Dichter verschieden an. Bei Sophokles träumt ihr,
daſs Agamemnon wieder gekommen sei und die Rechte des Gatten
ausgeübt habe, dann habe er sein altes Szepter ergriffen, es in
die Erde gesteckt und ein Baum sei daraus hervorgewachsen, der
das ganze Mykenerland überschattet habe. Der letzte Zug ist,
wie Classen Über die Beziehungen Sophokleischer Stellen zu der
Erzählung des Herodot (in den Verhandlungen der Kieler Philo-
logenversammlung S. 114) bemerkt, der Erzählung des Herodot
vom Traum der Mandane (I 108) nachgebildet; er ist freie auf
den frischen Eindruck des Herodoteischen Werkes berechnete
Erfindung des Dichters und kommt daher für die poetische Tra-
dition nicht in Betracht. Aischylos läſst den Chor in der Parodos
nur andeutungsweise von dem ὀρϑόϑριξ φόβος δόμων ὀνειρόμαντις
sprechen, in dem die Traumdeuter den fortdauernden Groll der
Unterirdischen gegen die Mörder erblicken; den Inhalt des Traumes
erzählen die Frauen erst V. 527—534 dem Orestes: es hatte
Klytaimnestra geträumt, daſs sie einen Drachen geboren und an
die Brust gelegt habe, da habe dieser Blut mit der Milch aus
ihrer Brust gesogen. Dies Motiv des Traumes der Klytaimnestra
können wir nun in einer früheren, aber nachepischen Behandlung
nachweisen und damit stoſsen wir zum ersten Mal auf festen
Boden; es entstammt der Oresteia des Stesichoros: Plutarch de
sera numinis vindicta
c. 10 p. 554 F (= Bergk Poetae lyrici III
fr. 42) hat uns leider nur zwei Verse aus der betreffenden Partie
erhalten, welche an sich betrachtet eine verschiedene Deutung
zulassen und auch in der That erfahren haben:

τᾷ δὲ δράκων ἐδόκησε μολεῖν κάρα βεβροτωμένος ἄκρον,
ἐκ δ̕ ἄρα τοῦ βασιλεὺς Πλεισϑενίδας ἐφάνη·

im allein Zusammenhang der Sagenentwickelung betrachtet lassen,

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[170/0184] die Mutter den Auftrag gegeben — und diesen Zug hat bekanntlich auch Sophokles, nur daſs sie dort nicht Elektra, der sie miſstraut, sondern der von Sophokles als Folie derselben aus Ilias Ι 145 eingeführten Chrysothemis den Auftrag erteilt. Ein Traum ist es, der Klytaimnestra ängstigt und sie treibt, den Schatten des gemordeten Gatten zu versöhnen; aber den Inhalt des Traumes geben beide Dichter verschieden an. Bei Sophokles träumt ihr, daſs Agamemnon wieder gekommen sei und die Rechte des Gatten ausgeübt habe, dann habe er sein altes Szepter ergriffen, es in die Erde gesteckt und ein Baum sei daraus hervorgewachsen, der das ganze Mykenerland überschattet habe. Der letzte Zug ist, wie Classen Über die Beziehungen Sophokleischer Stellen zu der Erzählung des Herodot (in den Verhandlungen der Kieler Philo- logenversammlung S. 114) bemerkt, der Erzählung des Herodot vom Traum der Mandane (I 108) nachgebildet; er ist freie auf den frischen Eindruck des Herodoteischen Werkes berechnete Erfindung des Dichters und kommt daher für die poetische Tra- dition nicht in Betracht. Aischylos läſst den Chor in der Parodos nur andeutungsweise von dem ὀρϑόϑριξ φόβος δόμων ὀνειρόμαντις sprechen, in dem die Traumdeuter den fortdauernden Groll der Unterirdischen gegen die Mörder erblicken; den Inhalt des Traumes erzählen die Frauen erst V. 527—534 dem Orestes: es hatte Klytaimnestra geträumt, daſs sie einen Drachen geboren und an die Brust gelegt habe, da habe dieser Blut mit der Milch aus ihrer Brust gesogen. Dies Motiv des Traumes der Klytaimnestra können wir nun in einer früheren, aber nachepischen Behandlung nachweisen und damit stoſsen wir zum ersten Mal auf festen Boden; es entstammt der Oresteia des Stesichoros: Plutarch de sera numinis vindicta c. 10 p. 554 F (= Bergk Poetae lyrici III fr. 42) hat uns leider nur zwei Verse aus der betreffenden Partie erhalten, welche an sich betrachtet eine verschiedene Deutung zulassen und auch in der That erfahren haben: τᾷ δὲ δράκων ἐδόκησε μολεῖν κάρα βεβροτωμένος ἄκρον, ἐκ δ̕ ἄρα τοῦ βασιλεὺς Πλεισϑενίδας ἐφάνη· im allein Zusammenhang der Sagenentwickelung betrachtet lassen,

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Zitationshilfe: Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 170. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/184>, abgerufen am 28.04.2024.