Conze hat in den Mon. d. Inst. VI tav. LVII ein aus Melos stammendes dem entwickelten archaischen Stile angehöriges Relief veröffentlicht, welches eine der Eingangsscene der Choephoren ganz verwandte Situation zeigt. Der in tiefe schmerzliche Gedanken versunken am Grabe ihres Vaters sitzenden Elektra ([ - 6 Zeichen fehlen].) sind drei Männer genaht, von denen der erste ihr zuzureden scheint, während die beiden anderen sich in bescheide- ner Entfernung halten; das dabeistehende Ross und der Sack, welchen der dritte von ihnen -- offenbar ein Diener -- an einem Stab über der Schulter trägt, zeigen, dass sie sich auf der Reise befinden. Der erste trägt auf dem Kopf -- ebenso wie der Diener -- den Pileus der alten Form (wie Talthybios auf der Wiener Vase), er hat das Schwert an der Seite und in der linken Hand einen Stab, dessen oberes Ende fehlt; der zweite offenbar jugendlichere hat das Schwert in der linken Hand, den Petasos im Nacken, eine Tänie im Haar und hebt nachdenklich und aufmerksam die rechte Hand an das Kinn, -- es ist offenbar der Vornehmste, ihm gehört auch wohl das Ross. Neben Elektra steht die Kanne mit der Totenspende, hinter ihr wird eine ältliche Frau mit Kopftuch sichtbar -- doch wohl die Amme. Dass nun diese Darstellung nicht auf die Choephoren zurückgeht, folgt nicht sowohl aus den unerheblichen Abweichungen von Aischylos -- solche haben wir schon oft gefunden und werden sie noch gar manchmal finden -- sondern, wie bereits Conze hervorgehoben hat, aus chronologischen Gründen. Der noch sehr altertümliche Stil nötigt uns die Verfertigung dieses Reliefs vor die Aufführung der Oresteia zu setzen. Wollte man nun auch einwenden, dass sich an abgelegenen Orten die Kunst länger auf einer altertümlichen Stufe hält und dass desshalb sehr wohl das Relief geraume Zeit nach 458 gefertigt sein könnte, so bliebe eben die Schwierigkeit, dass an einem so abgelegenen Ort eine vom attischen Drama geschaffene Situation so rasch Eingang finden und selbst in das Kunsthandwerk eindringen konnte. Das Relief ist, wie der dorische Dialekt der Beischriften zeigt, in einer dorischen Gegend gefertigt worden und Nichts hindert uns anzunehmen, dass der Fundort
Conze hat in den Mon. d. Inst. VI tav. LVII ein aus Melos stammendes dem entwickelten archaischen Stile angehöriges Relief veröffentlicht, welches eine der Eingangsscene der Choephoren ganz verwandte Situation zeigt. Der in tiefe schmerzliche Gedanken versunken am Grabe ihres Vaters sitzenden Elektra ([ – 6 Zeichen fehlen].) sind drei Männer genaht, von denen der erste ihr zuzureden scheint, während die beiden anderen sich in bescheide- ner Entfernung halten; das dabeistehende Roſs und der Sack, welchen der dritte von ihnen — offenbar ein Diener — an einem Stab über der Schulter trägt, zeigen, daſs sie sich auf der Reise befinden. Der erste trägt auf dem Kopf — ebenso wie der Diener — den Pileus der alten Form (wie Talthybios auf der Wiener Vase), er hat das Schwert an der Seite und in der linken Hand einen Stab, dessen oberes Ende fehlt; der zweite offenbar jugendlichere hat das Schwert in der linken Hand, den Petasos im Nacken, eine Tänie im Haar und hebt nachdenklich und aufmerksam die rechte Hand an das Kinn, — es ist offenbar der Vornehmste, ihm gehört auch wohl das Roſs. Neben Elektra steht die Kanne mit der Totenspende, hinter ihr wird eine ältliche Frau mit Kopftuch sichtbar — doch wohl die Amme. Daſs nun diese Darstellung nicht auf die Choephoren zurückgeht, folgt nicht sowohl aus den unerheblichen Abweichungen von Aischylos — solche haben wir schon oft gefunden und werden sie noch gar manchmal finden — sondern, wie bereits Conze hervorgehoben hat, aus chronologischen Gründen. Der noch sehr altertümliche Stil nötigt uns die Verfertigung dieses Reliefs vor die Aufführung der Oresteia zu setzen. Wollte man nun auch einwenden, daſs sich an abgelegenen Orten die Kunst länger auf einer altertümlichen Stufe hält und daſs deſshalb sehr wohl das Relief geraume Zeit nach 458 gefertigt sein könnte, so bliebe eben die Schwierigkeit, daſs an einem so abgelegenen Ort eine vom attischen Drama geschaffene Situation so rasch Eingang finden und selbst in das Kunsthandwerk eindringen konnte. Das Relief ist, wie der dorische Dialekt der Beischriften zeigt, in einer dorischen Gegend gefertigt worden und Nichts hindert uns anzunehmen, daſs der Fundort
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Conze hat in den Mon. d. Inst. VI tav. LVII ein aus Melos
stammendes dem entwickelten archaischen Stile angehöriges Relief
veröffentlicht, welches eine der Eingangsscene der Choephoren
ganz verwandte Situation zeigt. Der in tiefe schmerzliche
Gedanken versunken am Grabe ihres Vaters sitzenden Elektra
(______.) sind drei Männer genaht, von denen der erste ihr
zuzureden scheint, während die beiden anderen sich in bescheide-
ner Entfernung halten; das dabeistehende Roſs und der Sack,
welchen der dritte von ihnen — offenbar ein Diener — an
einem Stab über der Schulter trägt, zeigen, daſs sie sich auf
der Reise befinden. Der erste trägt auf dem Kopf — ebenso
wie der Diener — den Pileus der alten Form (wie Talthybios auf
der Wiener Vase), er hat das Schwert an der Seite und in der
linken Hand einen Stab, dessen oberes Ende fehlt; der zweite
offenbar jugendlichere hat das Schwert in der linken Hand, den
Petasos im Nacken, eine Tänie im Haar und hebt nachdenklich
und aufmerksam die rechte Hand an das Kinn, — es ist offenbar
der Vornehmste, ihm gehört auch wohl das Roſs. Neben Elektra
steht die Kanne mit der Totenspende, hinter ihr wird eine
ältliche Frau mit Kopftuch sichtbar — doch wohl die Amme. Daſs
nun diese Darstellung nicht auf die Choephoren zurückgeht, folgt
nicht sowohl aus den unerheblichen Abweichungen von Aischylos
— solche haben wir schon oft gefunden und werden sie noch gar
manchmal finden — sondern, wie bereits Conze hervorgehoben
hat, aus chronologischen Gründen. Der noch sehr altertümliche
Stil nötigt uns die Verfertigung dieses Reliefs vor die Aufführung
der Oresteia zu setzen. Wollte man nun auch einwenden, daſs sich
an abgelegenen Orten die Kunst länger auf einer altertümlichen
Stufe hält und daſs deſshalb sehr wohl das Relief geraume Zeit
nach 458 gefertigt sein könnte, so bliebe eben die Schwierigkeit,
daſs an einem so abgelegenen Ort eine vom attischen Drama
geschaffene Situation so rasch Eingang finden und selbst in das
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Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/181>, abgerufen am 24.11.2024.
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