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Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881.

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Die letzten Worte des Nicolaos-Excerpts sind, wie C. Müller richtig
bemerkt, aus Hellanikos (schol. Eur. Orestes 1643. F H G. I p. 56
fr. 82, vgl. Kirchhoff im Hermes VIII S. 184) geflossen. Dass
auch die vorhergehende Erzählung ganz oder teilweise aus
Hellanikos stammt, lässt sich nicht behaupten, aber auch nicht
von vornherein abweisen. Für das Alter der Tradition von
Talthybios haben wir, ausser unseren Vasen, wenigstens ein in-
direktes Zeugnis in der Elektra des Sophokles sowohl wie der des
Euripides. Der paidagogos des einen, der presbus des anderen
sind augenscheinlich die Weiterbildungen des in einer früheren
poetischen Behandlung vorkommenden Talthybios. Dass sie
namenlos sind, beruht auf dem von Wilamowitz An. Eurip. p. 185
beobachteten und begründeten Gesetz, ut paucae tantum per-
sonae inducantur remota omni supervacanea turba, secundi vero
ordinis personae nomine certe careant
. Deshalb wird auch bei
dem Pädagogen vermieden, auf sein Verhältnis zu Agamemnon
irgendwie hinzudeuten; geschähe es, so würde er zu sehr hervor-
treten, statt des namenlosen Alten würde dann der Beschauer eine
bekannte Gestalt der Heroensage, den Talthybios, sehen, und dies
gerade soll vermieden werden. Aber sonst spielt der Paidagogos
des Sophokles in seinem Verhältnis zu Orestes genau dieselbe Rolle,
wie der Talthybios bei Nicolaos. Er hat den Knaben, dem auch
der Tod drohte, gerettet, er der einzig treue im Hause des
Agamemnon (V. 1351--1356), er hat ihn nach Phokis geflüchtet,
dort auferzogen und führt ihn nun als Rächer des Vaters zurück
(V. 11--14). Es ist evident, dass dies auch die Voraussetzung
für die Darstellung der Vasen ist. Auch nach der dort befolgten
Version ist augenscheinlich Talthybios nicht im Hause geblieben,
sondern erst mit Orestes zurückgekehrt. Und noch ein Be-
rührungspunkt findet sich zwischen Sophokles und den Vasen.
Wie in der Elektra der Pädagog v. 1327 f. Wache steht und die
Beratung der Geschwister vor plötzlichem Überfall schützt, so
hat er auch hier Wache gehalten, während Orestes ins Gemach
des Aigisthos eindringt: nur so erklärt es sich, dass er im Augen-
blick der Gefahr sofort zur Hilfe bereit ist. Man sieht, wie
viele Züge dieser alten poetischen Version Sophokles bewahrt

Die letzten Worte des Nicolaos-Excerpts sind, wie C. Müller richtig
bemerkt, aus Hellanikos (schol. Eur. Orestes 1643. F H G. I p. 56
fr. 82, vgl. Kirchhoff im Hermes VIII S. 184) geflossen. Daſs
auch die vorhergehende Erzählung ganz oder teilweise aus
Hellanikos stammt, läſst sich nicht behaupten, aber auch nicht
von vornherein abweisen. Für das Alter der Tradition von
Talthybios haben wir, auſser unseren Vasen, wenigstens ein in-
direktes Zeugnis in der Elektra des Sophokles sowohl wie der des
Euripides. Der παιδαγωγός des einen, der πρέσβυς des anderen
sind augenscheinlich die Weiterbildungen des in einer früheren
poetischen Behandlung vorkommenden Talthybios. Daſs sie
namenlos sind, beruht auf dem von Wilamowitz An. Eurip. p. 185
beobachteten und begründeten Gesetz, ut paucae tantum per-
sonae inducantur remota omni supervacanea turba, secundi vero
ordinis personae nomine certe careant
. Deshalb wird auch bei
dem Pädagogen vermieden, auf sein Verhältnis zu Agamemnon
irgendwie hinzudeuten; geschähe es, so würde er zu sehr hervor-
treten, statt des namenlosen Alten würde dann der Beschauer eine
bekannte Gestalt der Heroensage, den Talthybios, sehen, und dies
gerade soll vermieden werden. Aber sonst spielt der Paidagogos
des Sophokles in seinem Verhältnis zu Orestes genau dieselbe Rolle,
wie der Talthybios bei Nicolaos. Er hat den Knaben, dem auch
der Tod drohte, gerettet, er der einzig treue im Hause des
Agamemnon (V. 1351—1356), er hat ihn nach Phokis geflüchtet,
dort auferzogen und führt ihn nun als Rächer des Vaters zurück
(V. 11—14). Es ist evident, daſs dies auch die Voraussetzung
für die Darstellung der Vasen ist. Auch nach der dort befolgten
Version ist augenscheinlich Talthybios nicht im Hause geblieben,
sondern erst mit Orestes zurückgekehrt. Und noch ein Be-
rührungspunkt findet sich zwischen Sophokles und den Vasen.
Wie in der Elektra der Pädagog v. 1327 f. Wache steht und die
Beratung der Geschwister vor plötzlichem Überfall schützt, so
hat er auch hier Wache gehalten, während Orestes ins Gemach
des Aigisthos eindringt: nur so erklärt es sich, daſs er im Augen-
blick der Gefahr sofort zur Hilfe bereit ist. Man sieht, wie
viele Züge dieser alten poetischen Version Sophokles bewahrt

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[165/0179] Die letzten Worte des Nicolaos-Excerpts sind, wie C. Müller richtig bemerkt, aus Hellanikos (schol. Eur. Orestes 1643. F H G. I p. 56 fr. 82, vgl. Kirchhoff im Hermes VIII S. 184) geflossen. Daſs auch die vorhergehende Erzählung ganz oder teilweise aus Hellanikos stammt, läſst sich nicht behaupten, aber auch nicht von vornherein abweisen. Für das Alter der Tradition von Talthybios haben wir, auſser unseren Vasen, wenigstens ein in- direktes Zeugnis in der Elektra des Sophokles sowohl wie der des Euripides. Der παιδαγωγός des einen, der πρέσβυς des anderen sind augenscheinlich die Weiterbildungen des in einer früheren poetischen Behandlung vorkommenden Talthybios. Daſs sie namenlos sind, beruht auf dem von Wilamowitz An. Eurip. p. 185 beobachteten und begründeten Gesetz, ut paucae tantum per- sonae inducantur remota omni supervacanea turba, secundi vero ordinis personae nomine certe careant. Deshalb wird auch bei dem Pädagogen vermieden, auf sein Verhältnis zu Agamemnon irgendwie hinzudeuten; geschähe es, so würde er zu sehr hervor- treten, statt des namenlosen Alten würde dann der Beschauer eine bekannte Gestalt der Heroensage, den Talthybios, sehen, und dies gerade soll vermieden werden. Aber sonst spielt der Paidagogos des Sophokles in seinem Verhältnis zu Orestes genau dieselbe Rolle, wie der Talthybios bei Nicolaos. Er hat den Knaben, dem auch der Tod drohte, gerettet, er der einzig treue im Hause des Agamemnon (V. 1351—1356), er hat ihn nach Phokis geflüchtet, dort auferzogen und führt ihn nun als Rächer des Vaters zurück (V. 11—14). Es ist evident, daſs dies auch die Voraussetzung für die Darstellung der Vasen ist. Auch nach der dort befolgten Version ist augenscheinlich Talthybios nicht im Hause geblieben, sondern erst mit Orestes zurückgekehrt. Und noch ein Be- rührungspunkt findet sich zwischen Sophokles und den Vasen. Wie in der Elektra der Pädagog v. 1327 f. Wache steht und die Beratung der Geschwister vor plötzlichem Überfall schützt, so hat er auch hier Wache gehalten, während Orestes ins Gemach des Aigisthos eindringt: nur so erklärt es sich, daſs er im Augen- blick der Gefahr sofort zur Hilfe bereit ist. Man sieht, wie viele Züge dieser alten poetischen Version Sophokles bewahrt

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Zitationshilfe: Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/179>, abgerufen am 27.04.2024.