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Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881.

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ganz späte Interpolation sind, so lassen sie nur die Auffassung
zu, dass Klytaimnestra aus Scham und Verzweiflung sich selbst
getötet habe. Wie könnte über den Muttermord des Orestes hier
und an den anderen Stellen in solch wahrhaft frivoler Weise
hinweggegangen werden? Steht doch noch ein anderes hiermit
in unverkennbarem Zusammenhang. Bei der Ermordung des Aga-
memnon steht in der Odyssee -- und wir dürfen wohl sagen
überhaupt im Epos -- Klytaimnestra durchaus im Hintergrund.
Aigisthos ist es, der die That vollbringt (g 194. 254--304. d 514
--537. l 409--434); in der offenbar ältesten Fassung in der Tele-
machie ist Klytaimnestra nicht einmal gegenwärtig, ja man kann
zweifeln, ob sie anders als durch Konivenz -- gerade wie ihre
späteste Ausläuferin, die Gertrud im Hamlet -- Teil an der
That hat. Ihr schweres Verbrechen ist der Treubruch gegen
den Gatten, dem sie aber erst nach langem Kampf -- phresi
gar kekhret agathesin -- und, wie der Dichter entschuldigend
hinzusetzt, ote de min moira theon epedese damenai, begeht.
Schuldiger erscheint sie in der Nekyia, wo sie bei der That
gegenwärtig ist und die Kebse ihres Mannes mit eigener Hand
erschlägt. Man sieht, wie ihre Strafe, so ist auch ihre Schuld
im Epos eine kleinere.

Total verändert ist das Bild im Drama; hier ist sie ganz
eigentlich die Mörderin des Gatten -- pros emon kappese, katthane,
kai katathapsomen -- Aigisthos hingegen der Weichling, der die
Ehre des fernen Helden schändet und selbst die Ausführung des Ver-
brechens dem Weibe überlässt; und ganz konsequent trifft die Rache
des Orestes hauptsächlich die Mutter. Kein Besonnener wird diese
ungeheuere Umgestaltung des Mythos wie der Charaktere für eine
Neuerung des Aischylos halten. Umgestaltungen der populären
Sagenversion werden mit einem ganz anderen Aufwand von Mitteln
eingeführt. Euripides giebt uns dafür mehr als ein Beispiel. Im
Agamemnon aber wird die eigentliche Katastrophe nur angedeutet:
erst in den prophetischen Reden der Kassandra, dann in dem
kurzen Resume der Klytaimnestra, -- nirgends wird wirklich
erzählt; so kann der Dichter nur verfahren, wenn er einer
alten, jedem Zuschauer von Kindheit an vertrauten Version folgt.

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ganz späte Interpolation sind, so lassen sie nur die Auffassung
zu, daſs Klytaimnestra aus Scham und Verzweiflung sich selbst
getötet habe. Wie könnte über den Muttermord des Orestes hier
und an den anderen Stellen in solch wahrhaft frivoler Weise
hinweggegangen werden? Steht doch noch ein anderes hiermit
in unverkennbarem Zusammenhang. Bei der Ermordung des Aga-
memnon steht in der Odyssee — und wir dürfen wohl sagen
überhaupt im Epos — Klytaimnestra durchaus im Hintergrund.
Aigisthos ist es, der die That vollbringt (γ 194. 254—304. δ 514
—537. λ 409—434); in der offenbar ältesten Fassung in der Tele-
machie ist Klytaimnestra nicht einmal gegenwärtig, ja man kann
zweifeln, ob sie anders als durch Konivenz — gerade wie ihre
späteste Ausläuferin, die Gertrud im Hamlet — Teil an der
That hat. Ihr schweres Verbrechen ist der Treubruch gegen
den Gatten, dem sie aber erst nach langem Kampf — φρεσὶ
γὰρ κέχρητ̕ ἀγαϑῇσιν — und, wie der Dichter entschuldigend
hinzusetzt, ὅτε δή μιν μοῖρα ϑεῶν ἐπέδησε δαμῆναι, begeht.
Schuldiger erscheint sie in der Nekyia, wo sie bei der That
gegenwärtig ist und die Kebse ihres Mannes mit eigener Hand
erschlägt. Man sieht, wie ihre Strafe, so ist auch ihre Schuld
im Epos eine kleinere.

Total verändert ist das Bild im Drama; hier ist sie ganz
eigentlich die Mörderin des Gatten — πρὸς ἡμῶν κάππεσε, κάτϑανε,
καὶ καταϑάψομεν — Aigisthos hingegen der Weichling, der die
Ehre des fernen Helden schändet und selbst die Ausführung des Ver-
brechens dem Weibe überläſst; und ganz konsequent trifft die Rache
des Orestes hauptsächlich die Mutter. Kein Besonnener wird diese
ungeheuere Umgestaltung des Mythos wie der Charaktere für eine
Neuerung des Aischylos halten. Umgestaltungen der populären
Sagenversion werden mit einem ganz anderen Aufwand von Mitteln
eingeführt. Euripides giebt uns dafür mehr als ein Beispiel. Im
Agamemnon aber wird die eigentliche Katastrophe nur angedeutet:
erst in den prophetischen Reden der Kassandra, dann in dem
kurzen Resumé der Klytaimnestra, — nirgends wird wirklich
erzählt; so kann der Dichter nur verfahren, wenn er einer
alten, jedem Zuschauer von Kindheit an vertrauten Version folgt.

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[163/0177] ganz späte Interpolation sind, so lassen sie nur die Auffassung zu, daſs Klytaimnestra aus Scham und Verzweiflung sich selbst getötet habe. Wie könnte über den Muttermord des Orestes hier und an den anderen Stellen in solch wahrhaft frivoler Weise hinweggegangen werden? Steht doch noch ein anderes hiermit in unverkennbarem Zusammenhang. Bei der Ermordung des Aga- memnon steht in der Odyssee — und wir dürfen wohl sagen überhaupt im Epos — Klytaimnestra durchaus im Hintergrund. Aigisthos ist es, der die That vollbringt (γ 194. 254—304. δ 514 —537. λ 409—434); in der offenbar ältesten Fassung in der Tele- machie ist Klytaimnestra nicht einmal gegenwärtig, ja man kann zweifeln, ob sie anders als durch Konivenz — gerade wie ihre späteste Ausläuferin, die Gertrud im Hamlet — Teil an der That hat. Ihr schweres Verbrechen ist der Treubruch gegen den Gatten, dem sie aber erst nach langem Kampf — φρεσὶ γὰρ κέχρητ̕ ἀγαϑῇσιν — und, wie der Dichter entschuldigend hinzusetzt, ὅτε δή μιν μοῖρα ϑεῶν ἐπέδησε δαμῆναι, begeht. Schuldiger erscheint sie in der Nekyia, wo sie bei der That gegenwärtig ist und die Kebse ihres Mannes mit eigener Hand erschlägt. Man sieht, wie ihre Strafe, so ist auch ihre Schuld im Epos eine kleinere. Total verändert ist das Bild im Drama; hier ist sie ganz eigentlich die Mörderin des Gatten — πρὸς ἡμῶν κάππεσε, κάτϑανε, καὶ καταϑάψομεν — Aigisthos hingegen der Weichling, der die Ehre des fernen Helden schändet und selbst die Ausführung des Ver- brechens dem Weibe überläſst; und ganz konsequent trifft die Rache des Orestes hauptsächlich die Mutter. Kein Besonnener wird diese ungeheuere Umgestaltung des Mythos wie der Charaktere für eine Neuerung des Aischylos halten. Umgestaltungen der populären Sagenversion werden mit einem ganz anderen Aufwand von Mitteln eingeführt. Euripides giebt uns dafür mehr als ein Beispiel. Im Agamemnon aber wird die eigentliche Katastrophe nur angedeutet: erst in den prophetischen Reden der Kassandra, dann in dem kurzen Resumé der Klytaimnestra, — nirgends wird wirklich erzählt; so kann der Dichter nur verfahren, wenn er einer alten, jedem Zuschauer von Kindheit an vertrauten Version folgt. 11*

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Zitationshilfe: Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/177>, abgerufen am 24.11.2024.