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Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881.

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schollene Aithiopis, sondern höchstens an die upothesis derselben ge-
wandt haben, in der die Psychostasie nicht erwähnt wird. Ein Schluss
aus dem Schweigen sei es der Alexandriner sei es des Plutarch
auf den Inhalt der Aithiopis ist also unzulässig, und somit steht
der Hypothese, dass auch in der Aithiopis die Psychostasie vor-
gekommen sei und dass diese die letzte poetische Quelle für die
Darstellungen sowohl auf den attischen Vasen, wie auf dem
etruskischen Spiegel sei, wenigstens nichts direkt im Wege.
Ja die Weiterbildung eines in der Ilias vorliegenden Motivs
wäre ganz im Charakter dieses Gedichtes.

Das zweite Monument, das mit einigem Anspruch auf
Wahrscheinlichkeit als Beweis von Aischylos' Einfluss auf die
gleichzeitige Vasenmalerei angeführt werden könnte, ist eine
noch dem fünften Jahrh. angehörige Vase des britischen Mu-
seums (früher Cabinet Durand nr. 68, abgebild. Jahn Arch.
Aufs. T. 2. Overbeck Her. Gall. XIII 9), welche Telephos mit
dem kleinen Orestes auf dem Hausaltar des Agamemnon dar-
stellt. Die späteren Darstellungen dieser Scene auf etruskischen
Urnen, unteritalischen Vasen und dem pergamenischen Fries sind
ausnahmslos von Euripides abhängig; denn wenn sie auch in
richtiger künstlerischer Empfindung die bettelhafte Erscheinung
des Telephos ganz verwischen oder nur leicht andeuten, gerade
wie die des Odysseus beim Freiermord auf einer attischen Vase
nur durch die Exomis angedeutet wird, so behalten sie doch den
eigentlich charakteristischen Zug bei, dass Achilleus gegen den
kleinen Orestes das Schwert zückt. Anders hier, wo Telephos
die Rechte ruhig auf den Speer stützend den kleinen Orestes auf
dem Schoss hält, Agamemnon zwar erstaunt, aber ohne jedes
Zeichen des Schreckens naht, und der Knabe ruhig und freundlich
dem Vater die Arme entgegenstreckt: das ist nun und nimmer
die euripideische Scene. Ist also etwa Aischylos die Quelle? 13)
Der Scholiast zu Aristophanes Acharn. 332 sagt: o Telephos kata

13) Über den Telephos des Euripides und den des Aischylos hat zuletzt
N. Wecklein (Sitzungsber. der bayer. Akad. 1878 S. 198) gesprochen; weder
die Methode noch die Resultate dieser Abhandlung kann ich für richtig er-
achten und habe daher keine Veranlassung, dieselbe zu berücksichtigen.

schollene Aithiopis, sondern höchstens an die ὑπόϑεσις derselben ge-
wandt haben, in der die Psychostasie nicht erwähnt wird. Ein Schluſs
aus dem Schweigen sei es der Alexandriner sei es des Plutarch
auf den Inhalt der Aithiopis ist also unzulässig, und somit steht
der Hypothese, daſs auch in der Aithiopis die Psychostasie vor-
gekommen sei und daſs diese die letzte poetische Quelle für die
Darstellungen sowohl auf den attischen Vasen, wie auf dem
etruskischen Spiegel sei, wenigstens nichts direkt im Wege.
Ja die Weiterbildung eines in der Ilias vorliegenden Motivs
wäre ganz im Charakter dieses Gedichtes.

Das zweite Monument, das mit einigem Anspruch auf
Wahrscheinlichkeit als Beweis von Aischylos’ Einfluſs auf die
gleichzeitige Vasenmalerei angeführt werden könnte, ist eine
noch dem fünften Jahrh. angehörige Vase des britischen Mu-
seums (früher Cabinet Durand nr. 68, abgebild. Jahn Arch.
Aufs. T. 2. Overbeck Her. Gall. XIII 9), welche Telephos mit
dem kleinen Orestes auf dem Hausaltar des Agamemnon dar-
stellt. Die späteren Darstellungen dieser Scene auf etruskischen
Urnen, unteritalischen Vasen und dem pergamenischen Fries sind
ausnahmslos von Euripides abhängig; denn wenn sie auch in
richtiger künstlerischer Empfindung die bettelhafte Erscheinung
des Telephos ganz verwischen oder nur leicht andeuten, gerade
wie die des Odysseus beim Freiermord auf einer attischen Vase
nur durch die Exomis angedeutet wird, so behalten sie doch den
eigentlich charakteristischen Zug bei, daſs Achilleus gegen den
kleinen Orestes das Schwert zückt. Anders hier, wo Telephos
die Rechte ruhig auf den Speer stützend den kleinen Orestes auf
dem Schoſs hält, Agamemnon zwar erstaunt, aber ohne jedes
Zeichen des Schreckens naht, und der Knabe ruhig und freundlich
dem Vater die Arme entgegenstreckt: das ist nun und nimmer
die euripideische Scene. Ist also etwa Aischylos die Quelle? 13)
Der Scholiast zu Aristophanes Acharn. 332 sagt: ὁ Τήλεφος κατὰ

13) Über den Telephos des Euripides und den des Aischylos hat zuletzt
N. Wecklein (Sitzungsber. der bayer. Akad. 1878 S. 198) gesprochen; weder
die Methode noch die Resultate dieser Abhandlung kann ich für richtig er-
achten und habe daher keine Veranlassung, dieselbe zu berücksichtigen.
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[146/0160] schollene Aithiopis, sondern höchstens an die ὑπόϑεσις derselben ge- wandt haben, in der die Psychostasie nicht erwähnt wird. Ein Schluſs aus dem Schweigen sei es der Alexandriner sei es des Plutarch auf den Inhalt der Aithiopis ist also unzulässig, und somit steht der Hypothese, daſs auch in der Aithiopis die Psychostasie vor- gekommen sei und daſs diese die letzte poetische Quelle für die Darstellungen sowohl auf den attischen Vasen, wie auf dem etruskischen Spiegel sei, wenigstens nichts direkt im Wege. Ja die Weiterbildung eines in der Ilias vorliegenden Motivs wäre ganz im Charakter dieses Gedichtes. Das zweite Monument, das mit einigem Anspruch auf Wahrscheinlichkeit als Beweis von Aischylos’ Einfluſs auf die gleichzeitige Vasenmalerei angeführt werden könnte, ist eine noch dem fünften Jahrh. angehörige Vase des britischen Mu- seums (früher Cabinet Durand nr. 68, abgebild. Jahn Arch. Aufs. T. 2. Overbeck Her. Gall. XIII 9), welche Telephos mit dem kleinen Orestes auf dem Hausaltar des Agamemnon dar- stellt. Die späteren Darstellungen dieser Scene auf etruskischen Urnen, unteritalischen Vasen und dem pergamenischen Fries sind ausnahmslos von Euripides abhängig; denn wenn sie auch in richtiger künstlerischer Empfindung die bettelhafte Erscheinung des Telephos ganz verwischen oder nur leicht andeuten, gerade wie die des Odysseus beim Freiermord auf einer attischen Vase nur durch die Exomis angedeutet wird, so behalten sie doch den eigentlich charakteristischen Zug bei, daſs Achilleus gegen den kleinen Orestes das Schwert zückt. Anders hier, wo Telephos die Rechte ruhig auf den Speer stützend den kleinen Orestes auf dem Schoſs hält, Agamemnon zwar erstaunt, aber ohne jedes Zeichen des Schreckens naht, und der Knabe ruhig und freundlich dem Vater die Arme entgegenstreckt: das ist nun und nimmer die euripideische Scene. Ist also etwa Aischylos die Quelle? 13) Der Scholiast zu Aristophanes Acharn. 332 sagt: ὁ Τήλεφος κατὰ 13) Über den Telephos des Euripides und den des Aischylos hat zuletzt N. Wecklein (Sitzungsber. der bayer. Akad. 1878 S. 198) gesprochen; weder die Methode noch die Resultate dieser Abhandlung kann ich für richtig er- achten und habe daher keine Veranlassung, dieselbe zu berücksichtigen.

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Zitationshilfe: Robert, Carl: Bild und Lied. Archäologische Beiträge zur Geschichte der griechischen Heldensage. Berlin, 1881, S. 146. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/robert_griechische_1881/160>, abgerufen am 28.04.2024.