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Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.

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A. Altorientalisches.

Ein zweiter Typus von Lotusblüthe in der Seitenansicht ist der
glockenförmige (Fig. 8), den man bisher ausnamslos auf den Papyrus-
wedel als vermeintliches Vorbild zurückgeführt hat. Der Unterschied
gegenüber dem ersten Typus beruht in dem glockenförmigen Profil
und in dem ursprünglichen Mangel jeglicher Andeutung von Blättern.
Aber selbst wenn wir die beiden Typen ohne Zuhilfenahme eines
äusseren vermittelnden Dritten nebeneinander halten, so werden wir
gewisse Züge entdecken, die beiden gemeinsam sind und eine Brücke
zwischen denselben bilden. Der karniesförmige Schwung, der den seit-
wärtigen Kelchblättern des ersten Typus so überaus häufig gegeben
erscheint (Fig. 7), bereitet bereits vor auf den potenzirten Schwung,
als dessen Resultat die Glockenform erscheint. Und was den Mangel

[Abbildung] Fig. 13.

Lotusblüthe in Profilansicht
mit schematisch gezeichneter Krone.

[Abbildung] Fig. 14.

Glockenförmiges
Lotusblüthen-Kapitäl.

an Blattzeichnung am sogen. Papyrus-Profil betrifft, so braucht nur auf
die erwähnte Abbreviatur des ersten Typus (Fig. 13) hingewiesen zu
werden, um zu zeigen, dass in der altegyptischen Kunst eine Tendenz
vorhanden war, gelegentlich die Details zu unterdrücken, sobald nur
die begrenzenden Grundlinien gezogen waren. Doch werden wir an-
gesichts der Häufigkeit des Papyrus-Profils15) darauf bedacht sein
müssen, über die vorgebrachten allgemeinen Erwägungen hinaus nach
einem bestimmteren äusseren Beweggrund zu suchen, der zur Adoption
des Glockenprofils für die Darstellung der Lotusblüthe in Seitensicht
geführt haben mochte.

Goodyear, dem wir die Aufklärung über die Vorbildlichkeit des
Lotus anstatt des Papyrus für die glockenförmige Blüthe verdanken,

15) Nach Goodyear macht dasselbe seit dem Alten Reiche die Hälfte aller
Lotusdarstellungen in Seitenansicht aus.
A. Altorientalisches.

Ein zweiter Typus von Lotusblüthe in der Seitenansicht ist der
glockenförmige (Fig. 8), den man bisher ausnamslos auf den Papyrus-
wedel als vermeintliches Vorbild zurückgeführt hat. Der Unterschied
gegenüber dem ersten Typus beruht in dem glockenförmigen Profil
und in dem ursprünglichen Mangel jeglicher Andeutung von Blättern.
Aber selbst wenn wir die beiden Typen ohne Zuhilfenahme eines
äusseren vermittelnden Dritten nebeneinander halten, so werden wir
gewisse Züge entdecken, die beiden gemeinsam sind und eine Brücke
zwischen denselben bilden. Der karniesförmige Schwung, der den seit-
wärtigen Kelchblättern des ersten Typus so überaus häufig gegeben
erscheint (Fig. 7), bereitet bereits vor auf den potenzirten Schwung,
als dessen Resultat die Glockenform erscheint. Und was den Mangel

[Abbildung] Fig. 13.

Lotusblüthe in Profilansicht
mit schematisch gezeichneter Krone.

[Abbildung] Fig. 14.

Glockenförmiges
Lotusblüthen-Kapitäl.

an Blattzeichnung am sogen. Papyrus-Profil betrifft, so braucht nur auf
die erwähnte Abbreviatur des ersten Typus (Fig. 13) hingewiesen zu
werden, um zu zeigen, dass in der altegyptischen Kunst eine Tendenz
vorhanden war, gelegentlich die Details zu unterdrücken, sobald nur
die begrenzenden Grundlinien gezogen waren. Doch werden wir an-
gesichts der Häufigkeit des Papyrus-Profils15) darauf bedacht sein
müssen, über die vorgebrachten allgemeinen Erwägungen hinaus nach
einem bestimmteren äusseren Beweggrund zu suchen, der zur Adoption
des Glockenprofils für die Darstellung der Lotusblüthe in Seitensicht
geführt haben mochte.

Goodyear, dem wir die Aufklärung über die Vorbildlichkeit des
Lotus anstatt des Papyrus für die glockenförmige Blüthe verdanken,

15) Nach Goodyear macht dasselbe seit dem Alten Reiche die Hälfte aller
Lotusdarstellungen in Seitenansicht aus.
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[56/0082] A. Altorientalisches. Ein zweiter Typus von Lotusblüthe in der Seitenansicht ist der glockenförmige (Fig. 8), den man bisher ausnamslos auf den Papyrus- wedel als vermeintliches Vorbild zurückgeführt hat. Der Unterschied gegenüber dem ersten Typus beruht in dem glockenförmigen Profil und in dem ursprünglichen Mangel jeglicher Andeutung von Blättern. Aber selbst wenn wir die beiden Typen ohne Zuhilfenahme eines äusseren vermittelnden Dritten nebeneinander halten, so werden wir gewisse Züge entdecken, die beiden gemeinsam sind und eine Brücke zwischen denselben bilden. Der karniesförmige Schwung, der den seit- wärtigen Kelchblättern des ersten Typus so überaus häufig gegeben erscheint (Fig. 7), bereitet bereits vor auf den potenzirten Schwung, als dessen Resultat die Glockenform erscheint. Und was den Mangel [Abbildung Fig. 13. Lotusblüthe in Profilansicht mit schematisch gezeichneter Krone.] [Abbildung Fig. 14. Glockenförmiges Lotusblüthen-Kapitäl.] an Blattzeichnung am sogen. Papyrus-Profil betrifft, so braucht nur auf die erwähnte Abbreviatur des ersten Typus (Fig. 13) hingewiesen zu werden, um zu zeigen, dass in der altegyptischen Kunst eine Tendenz vorhanden war, gelegentlich die Details zu unterdrücken, sobald nur die begrenzenden Grundlinien gezogen waren. Doch werden wir an- gesichts der Häufigkeit des Papyrus-Profils 15) darauf bedacht sein müssen, über die vorgebrachten allgemeinen Erwägungen hinaus nach einem bestimmteren äusseren Beweggrund zu suchen, der zur Adoption des Glockenprofils für die Darstellung der Lotusblüthe in Seitensicht geführt haben mochte. Goodyear, dem wir die Aufklärung über die Vorbildlichkeit des Lotus anstatt des Papyrus für die glockenförmige Blüthe verdanken, 15) Nach Goodyear macht dasselbe seit dem Alten Reiche die Hälfte aller Lotusdarstellungen in Seitenansicht aus.

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Zitationshilfe: Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. 56. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/82>, abgerufen am 27.04.2024.