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Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.

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A. Altorientalisches.
besitzen wir wenigstens ein Beispiel dafür aus dem Alten Reiche, näm-
lich die Statue der Nofret12), deren Diadem mit Rosetten, und zwar vom
Typus mit stumpf auslaufenden Blättern, verziert ist. Besonders charak-
teristisch ist die Rosette späterhin für die Ornamentik der assyrischen
Kunst geworden.

Ich kann Ludwig v. Sybel13) nicht beipflichten, der darum die
Rosette den Egyptern von den Semiten aus Asien zugebracht sein lässt.
Das Neue thebanische Reich beginnt zu einer Zeit, aus der uns die
Existenz einer Pflanzenornamentik weder von der chaldäischen noch von
irgend einer anderen asiatischen Kunst durch sichergestellte Denkmäler
bezeugt ist. Die Möglichkeit, dass die Chaldäer bereits im 16. und
17. Jahrh. v. Chr. die Rosette ornamental verwendet haben, soll ja
nicht in Abrede gestellt werden. Aber der Umstand allein, dass die
Rosette im Alten Reiche noch nicht öfter nachzuweisen ist und ander-
seits in der späteren mesopotamischen Kunst eine Hauptrolle spielt,
reicht noch nicht aus, um ihren asiatischen Ursprung auch für die
egyptische Kunst zu beweisen. Einer solchen Annahme widerspricht
schon der Charakter der Altegypter, ihr stolz ablehnendes Verhalten
gegen alles Fremde, in ihren Augen Barbarische. Mit der siegreichen
Neuaufrichtung der nationalen Selbständigkeit nach der Vertreibung
der Hyksos scheint eben ein intensiver Kulturaufschwung Hand in Hand
gegangen zu sein, der auch zu gesteigertem Schaffen auf dem Gebiete
der dekorativen Formen angeregt haben mochte. Das ganze Kunstleben
der Egypter in der Zeit der Thutmessiden und Ramessiden zeugt von
einer tief greifenden Neubelebung. Die Erklärung, die Sybel hierfür
hat: eine vorgebliche Befruchtung egyptischer Trockenheit durch asia-
tische Ueberfülle wird insolange unstichhaltig bleiben, als diese vor-
gebliche Ueberfülle in der asiatischen Kunst jener Zeit nicht monu-
mental erwiesen ist.


12) Maspero, Egyptische Kunstgeschichte S. 213 Fig. 191.
13) Kritik des egyptischen Ornaments S. 17. Die nicht zu unterschätzende
Bedeutung dieses im J. 1883 erschienenen Schriftchens beruht darin, dass es
ein ganz vereinzelter Erstlingsversuch gewesen ist, der Wichtigkeit des Stu-
diums der Ornamentik für die Kunstgeschichte des Alterthums gerecht zu
werden. Mit der Tendenz der Schrift, die neuen Erscheinungen in der Kunst
des zweiten thebanischen Reiches auf asiatische Einflüsse zurückzuführen,
kann ich mich in keinem Punkte einverstanden erklären. -- Neuerlich hat
sich auch Goodyear (S. 99 ff.) dagegen ausgesprochen, unter sehr glücklicher
Ausführung seiner, von mir vollständig getheilten Meinung über das Verhält-
niss zwischen altegyptischer und mesopotamischer Kunst.

A. Altorientalisches.
besitzen wir wenigstens ein Beispiel dafür aus dem Alten Reiche, näm-
lich die Statue der Nofret12), deren Diadem mit Rosetten, und zwar vom
Typus mit stumpf auslaufenden Blättern, verziert ist. Besonders charak-
teristisch ist die Rosette späterhin für die Ornamentik der assyrischen
Kunst geworden.

Ich kann Ludwig v. Sybel13) nicht beipflichten, der darum die
Rosette den Egyptern von den Semiten aus Asien zugebracht sein lässt.
Das Neue thebanische Reich beginnt zu einer Zeit, aus der uns die
Existenz einer Pflanzenornamentik weder von der chaldäischen noch von
irgend einer anderen asiatischen Kunst durch sichergestellte Denkmäler
bezeugt ist. Die Möglichkeit, dass die Chaldäer bereits im 16. und
17. Jahrh. v. Chr. die Rosette ornamental verwendet haben, soll ja
nicht in Abrede gestellt werden. Aber der Umstand allein, dass die
Rosette im Alten Reiche noch nicht öfter nachzuweisen ist und ander-
seits in der späteren mesopotamischen Kunst eine Hauptrolle spielt,
reicht noch nicht aus, um ihren asiatischen Ursprung auch für die
egyptische Kunst zu beweisen. Einer solchen Annahme widerspricht
schon der Charakter der Altegypter, ihr stolz ablehnendes Verhalten
gegen alles Fremde, in ihren Augen Barbarische. Mit der siegreichen
Neuaufrichtung der nationalen Selbständigkeit nach der Vertreibung
der Hyksos scheint eben ein intensiver Kulturaufschwung Hand in Hand
gegangen zu sein, der auch zu gesteigertem Schaffen auf dem Gebiete
der dekorativen Formen angeregt haben mochte. Das ganze Kunstleben
der Egypter in der Zeit der Thutmessiden und Ramessiden zeugt von
einer tief greifenden Neubelebung. Die Erklärung, die Sybel hierfür
hat: eine vorgebliche Befruchtung egyptischer Trockenheit durch asia-
tische Ueberfülle wird insolange unstichhaltig bleiben, als diese vor-
gebliche Ueberfülle in der asiatischen Kunst jener Zeit nicht monu-
mental erwiesen ist.


12) Maspero, Egyptische Kunstgeschichte S. 213 Fig. 191.
13) Kritik des egyptischen Ornaments S. 17. Die nicht zu unterschätzende
Bedeutung dieses im J. 1883 erschienenen Schriftchens beruht darin, dass es
ein ganz vereinzelter Erstlingsversuch gewesen ist, der Wichtigkeit des Stu-
diums der Ornamentik für die Kunstgeschichte des Alterthums gerecht zu
werden. Mit der Tendenz der Schrift, die neuen Erscheinungen in der Kunst
des zweiten thebanischen Reiches auf asiatische Einflüsse zurückzuführen,
kann ich mich in keinem Punkte einverstanden erklären. — Neuerlich hat
sich auch Goodyear (S. 99 ff.) dagegen ausgesprochen, unter sehr glücklicher
Ausführung seiner, von mir vollständig getheilten Meinung über das Verhält-
niss zwischen altegyptischer und mesopotamischer Kunst.
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[54/0080] A. Altorientalisches. besitzen wir wenigstens ein Beispiel dafür aus dem Alten Reiche, näm- lich die Statue der Nofret 12), deren Diadem mit Rosetten, und zwar vom Typus mit stumpf auslaufenden Blättern, verziert ist. Besonders charak- teristisch ist die Rosette späterhin für die Ornamentik der assyrischen Kunst geworden. Ich kann Ludwig v. Sybel 13) nicht beipflichten, der darum die Rosette den Egyptern von den Semiten aus Asien zugebracht sein lässt. Das Neue thebanische Reich beginnt zu einer Zeit, aus der uns die Existenz einer Pflanzenornamentik weder von der chaldäischen noch von irgend einer anderen asiatischen Kunst durch sichergestellte Denkmäler bezeugt ist. Die Möglichkeit, dass die Chaldäer bereits im 16. und 17. Jahrh. v. Chr. die Rosette ornamental verwendet haben, soll ja nicht in Abrede gestellt werden. Aber der Umstand allein, dass die Rosette im Alten Reiche noch nicht öfter nachzuweisen ist und ander- seits in der späteren mesopotamischen Kunst eine Hauptrolle spielt, reicht noch nicht aus, um ihren asiatischen Ursprung auch für die egyptische Kunst zu beweisen. Einer solchen Annahme widerspricht schon der Charakter der Altegypter, ihr stolz ablehnendes Verhalten gegen alles Fremde, in ihren Augen Barbarische. Mit der siegreichen Neuaufrichtung der nationalen Selbständigkeit nach der Vertreibung der Hyksos scheint eben ein intensiver Kulturaufschwung Hand in Hand gegangen zu sein, der auch zu gesteigertem Schaffen auf dem Gebiete der dekorativen Formen angeregt haben mochte. Das ganze Kunstleben der Egypter in der Zeit der Thutmessiden und Ramessiden zeugt von einer tief greifenden Neubelebung. Die Erklärung, die Sybel hierfür hat: eine vorgebliche Befruchtung egyptischer Trockenheit durch asia- tische Ueberfülle wird insolange unstichhaltig bleiben, als diese vor- gebliche Ueberfülle in der asiatischen Kunst jener Zeit nicht monu- mental erwiesen ist. 12) Maspero, Egyptische Kunstgeschichte S. 213 Fig. 191. 13) Kritik des egyptischen Ornaments S. 17. Die nicht zu unterschätzende Bedeutung dieses im J. 1883 erschienenen Schriftchens beruht darin, dass es ein ganz vereinzelter Erstlingsversuch gewesen ist, der Wichtigkeit des Stu- diums der Ornamentik für die Kunstgeschichte des Alterthums gerecht zu werden. Mit der Tendenz der Schrift, die neuen Erscheinungen in der Kunst des zweiten thebanischen Reiches auf asiatische Einflüsse zurückzuführen, kann ich mich in keinem Punkte einverstanden erklären. — Neuerlich hat sich auch Goodyear (S. 99 ff.) dagegen ausgesprochen, unter sehr glücklicher Ausführung seiner, von mir vollständig getheilten Meinung über das Verhält- niss zwischen altegyptischer und mesopotamischer Kunst.

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Zitationshilfe: Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/80>, abgerufen am 27.04.2024.