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Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.

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Die Anfänge des Pflanzenornaments etc.
selben -- wie wir annehmen dürfen -- bis zu dem Zeitpunkte ihrer
Berührung mit der egyptischen Kultur kein eigenes vegetabilisches
Schmuckmotiv, so lernten sie nunmehr eines kennen, das sie sich fürder
entweder im Handel erwerben oder selbst kopirend nachbilden konnten.
Aus der eigenen Flora ein Motiv sich mit Mühe heraus zu stilisiren,
daran hat wohl Niemand gedacht, sobald er ein fertiges Motiv von an-
derer Seite her empfing3). Aus dem gleichen Grunde gebrauchen wir
doch heute noch in unserer dekorativen Kunst überwiegend die über-
lieferten antiken Motive, obzwar wir Ornamentzeichner und Entwerfer
besitzen, wie sie das Alterthum gar nicht gekannt hat4).

Die Altegypter haben, so viel wir sehen, zuerst eine monumentale
Kunst ausgebildet, und für die übrigen Völker des Alterthums deren
Geschichte parallel mit derjenigen des pharaonischen Egypten läuft,
beginnt die Kunstgeschichte mit dem Momente, in dem sie in eine nähere
Beziehung zur egyptischen Kunst getreten sind. Dieser Moment lässt
sich zwar nicht in einem Falle genau zeitlich bestimmen; aber die
Thatsache selbst lässt sich kaum mehr bestreiten, angesichts der fun-
damentalen Verbreitung, welche gerade die typischen dekorativen
Formen der egyptischen Kunst bei den übrigen ältesten Kulturvölkern
des Alterthums gefunden haben. Damit ist auch die grundlegende Be-
deutung, die wir den altegyptischen Pflanzenmotiven für alle nach-
folgende Pflanzenornamentik einräumen müssen, genügend charakterisirt.

Aus dem Gesagten folgt aber noch nicht, dass wir alle durch die
altegyptischen Denkmäler überlieferten Darstellungen vegetabilischen
Inhalts in unsere Betrachtung werden einbeziehen müssen. In der
gegenständlichen egyptischen Kunst finden wir vielfach Nachbildungen
von Pflanzen, namentlich von Bäumen (Tell-el-Amarna), denen augen-
scheinlich keine symbolische Bedeutung beigelegt wurde und an die
sich daher auch keine ornamentale Fortbildung geknüpft hat. Ueber-
haupt ist es nicht so sehr die Pflanze als Ganzes, als Baum oder als

3) Man braucht also gar nicht, wie Goodyear thut, einen religiösen Sym-
bolismus, sei es den Sonnenkult oder einen anderen zu Hilfe zu rufen, um
die Verbreitung altegyptischer Kunstmotive in der ganzen frühantiken Welt
zu erklären. Hierzu genügt allein schon der im Menschen allmächtige Trieb
des Nachahmens, Nachbildens, Nachformens.
4) Das bewusste Heranziehen der heimischen Flora zu dekorativen
Zwecken ist ein echt moderner Zug, und charakterisirt in ganz besonderem
Maasse die Art unseres heutigen Kunstschaffens; nichtsdestoweniger be-
herrschen noch heute der Akanthus und die klassischen Blüthenprofile alle
vegetabilische Ornamentik.

Die Anfänge des Pflanzenornaments etc.
selben — wie wir annehmen dürfen — bis zu dem Zeitpunkte ihrer
Berührung mit der egyptischen Kultur kein eigenes vegetabilisches
Schmuckmotiv, so lernten sie nunmehr eines kennen, das sie sich fürder
entweder im Handel erwerben oder selbst kopirend nachbilden konnten.
Aus der eigenen Flora ein Motiv sich mit Mühe heraus zu stilisiren,
daran hat wohl Niemand gedacht, sobald er ein fertiges Motiv von an-
derer Seite her empfing3). Aus dem gleichen Grunde gebrauchen wir
doch heute noch in unserer dekorativen Kunst überwiegend die über-
lieferten antiken Motive, obzwar wir Ornamentzeichner und Entwerfer
besitzen, wie sie das Alterthum gar nicht gekannt hat4).

Die Altegypter haben, so viel wir sehen, zuerst eine monumentale
Kunst ausgebildet, und für die übrigen Völker des Alterthums deren
Geschichte parallel mit derjenigen des pharaonischen Egypten läuft,
beginnt die Kunstgeschichte mit dem Momente, in dem sie in eine nähere
Beziehung zur egyptischen Kunst getreten sind. Dieser Moment lässt
sich zwar nicht in einem Falle genau zeitlich bestimmen; aber die
Thatsache selbst lässt sich kaum mehr bestreiten, angesichts der fun-
damentalen Verbreitung, welche gerade die typischen dekorativen
Formen der egyptischen Kunst bei den übrigen ältesten Kulturvölkern
des Alterthums gefunden haben. Damit ist auch die grundlegende Be-
deutung, die wir den altegyptischen Pflanzenmotiven für alle nach-
folgende Pflanzenornamentik einräumen müssen, genügend charakterisirt.

Aus dem Gesagten folgt aber noch nicht, dass wir alle durch die
altegyptischen Denkmäler überlieferten Darstellungen vegetabilischen
Inhalts in unsere Betrachtung werden einbeziehen müssen. In der
gegenständlichen egyptischen Kunst finden wir vielfach Nachbildungen
von Pflanzen, namentlich von Bäumen (Tell-el-Amarna), denen augen-
scheinlich keine symbolische Bedeutung beigelegt wurde und an die
sich daher auch keine ornamentale Fortbildung geknüpft hat. Ueber-
haupt ist es nicht so sehr die Pflanze als Ganzes, als Baum oder als

3) Man braucht also gar nicht, wie Goodyear thut, einen religiösen Sym-
bolismus, sei es den Sonnenkult oder einen anderen zu Hilfe zu rufen, um
die Verbreitung altegyptischer Kunstmotive in der ganzen frühantiken Welt
zu erklären. Hierzu genügt allein schon der im Menschen allmächtige Trieb
des Nachahmens, Nachbildens, Nachformens.
4) Das bewusste Heranziehen der heimischen Flora zu dekorativen
Zwecken ist ein echt moderner Zug, und charakterisirt in ganz besonderem
Maasse die Art unseres heutigen Kunstschaffens; nichtsdestoweniger be-
herrschen noch heute der Akanthus und die klassischen Blüthenprofile alle
vegetabilische Ornamentik.
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[45/0071] Die Anfänge des Pflanzenornaments etc. selben — wie wir annehmen dürfen — bis zu dem Zeitpunkte ihrer Berührung mit der egyptischen Kultur kein eigenes vegetabilisches Schmuckmotiv, so lernten sie nunmehr eines kennen, das sie sich fürder entweder im Handel erwerben oder selbst kopirend nachbilden konnten. Aus der eigenen Flora ein Motiv sich mit Mühe heraus zu stilisiren, daran hat wohl Niemand gedacht, sobald er ein fertiges Motiv von an- derer Seite her empfing 3). Aus dem gleichen Grunde gebrauchen wir doch heute noch in unserer dekorativen Kunst überwiegend die über- lieferten antiken Motive, obzwar wir Ornamentzeichner und Entwerfer besitzen, wie sie das Alterthum gar nicht gekannt hat 4). Die Altegypter haben, so viel wir sehen, zuerst eine monumentale Kunst ausgebildet, und für die übrigen Völker des Alterthums deren Geschichte parallel mit derjenigen des pharaonischen Egypten läuft, beginnt die Kunstgeschichte mit dem Momente, in dem sie in eine nähere Beziehung zur egyptischen Kunst getreten sind. Dieser Moment lässt sich zwar nicht in einem Falle genau zeitlich bestimmen; aber die Thatsache selbst lässt sich kaum mehr bestreiten, angesichts der fun- damentalen Verbreitung, welche gerade die typischen dekorativen Formen der egyptischen Kunst bei den übrigen ältesten Kulturvölkern des Alterthums gefunden haben. Damit ist auch die grundlegende Be- deutung, die wir den altegyptischen Pflanzenmotiven für alle nach- folgende Pflanzenornamentik einräumen müssen, genügend charakterisirt. Aus dem Gesagten folgt aber noch nicht, dass wir alle durch die altegyptischen Denkmäler überlieferten Darstellungen vegetabilischen Inhalts in unsere Betrachtung werden einbeziehen müssen. In der gegenständlichen egyptischen Kunst finden wir vielfach Nachbildungen von Pflanzen, namentlich von Bäumen (Tell-el-Amarna), denen augen- scheinlich keine symbolische Bedeutung beigelegt wurde und an die sich daher auch keine ornamentale Fortbildung geknüpft hat. Ueber- haupt ist es nicht so sehr die Pflanze als Ganzes, als Baum oder als 3) Man braucht also gar nicht, wie Goodyear thut, einen religiösen Sym- bolismus, sei es den Sonnenkult oder einen anderen zu Hilfe zu rufen, um die Verbreitung altegyptischer Kunstmotive in der ganzen frühantiken Welt zu erklären. Hierzu genügt allein schon der im Menschen allmächtige Trieb des Nachahmens, Nachbildens, Nachformens. 4) Das bewusste Heranziehen der heimischen Flora zu dekorativen Zwecken ist ein echt moderner Zug, und charakterisirt in ganz besonderem Maasse die Art unseres heutigen Kunstschaffens; nichtsdestoweniger be- herrschen noch heute der Akanthus und die klassischen Blüthenprofile alle vegetabilische Ornamentik.

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Zitationshilfe: Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/71>, abgerufen am 28.04.2024.