Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.9. Das Aufkommen des Akanthus-Ornaments. als nicht auch von philologischer Seite diesbezügliche Untersuchungengepflogen sein werden. Nur in allgemeinen Umrissen möchte ich an- deuten, dass mir wenigstens die Glaubwürdigkeit jener Ueberlieferung schon äusserlich wenig gestützt erscheint. Es sähe den Römern der Vitruvianischen Zeit -- nach Analogie auf so vielen anderen Gebieten -- ganz ähnlich, wenn sie sich auch die Entstehung des Akanthus so- zusagen in rationalistischer Weise zurecht gelegt hätten. Doch scheint in der That die äusserliche Verwandtschaft des ausgebildeten Akanthus- ornaments mit der Acanthus spinosa schon von den Griechen bemerkt worden zu sein. Es würde auch für die ursprüngliche Auffassung der Griechen vom Wesen des Akanthus noch sehr wenig besagen, wenn Theokrit, also ein Dichter des 3. Jahrh. v. Chr., in der viel citirten Stelle Jdyl. I. 55 in der That ein Ornament im Auge hätte, was mit Rücksicht auf seine Bezeichnung des Akanthus als eines feuchten nicht zwingend nöthig erscheint. Vor Allem aber werden wir fragen: welche schwer- wiegende Ursache mochte es gewesen sein, die veranlasst hat, gerade den Akanthus als Ornament in Stein nachzuahmen? Denn so ist der aufkeimende Naturalismus im griechischen Kunstsinn nach der Zeit der Perserkriege nicht zu verstehen, dass man sich zu unmittelbarer Imitation der Naturwesen gedrängt gefühlt haben sollte. Die überlieferten Kunstformen galt es zu beleben, aber nicht lebendige Naturformen in lebloses Material umzusetzen. Es hätte also ein äusserer Anstoss vorhanden gewesen sein müssen, der die Einführung der Akan- thuspflanze in die Zahl der vegetabilischen Kunstformen herbeigeführt hat, -- ein Anstoss etwa gleich demjenigen, der die Egypter veranlasst hat zur Schaffung ihrer Lotustypen. Brückner ist der Einzige, der in offenbarer Erkenntniss der Noth- Ob nun dieser von Brückner angeführte Umstand ein ausreichender 44) Brückner a. a. O. 82.
9. Das Aufkommen des Akanthus-Ornaments. als nicht auch von philologischer Seite diesbezügliche Untersuchungengepflogen sein werden. Nur in allgemeinen Umrissen möchte ich an- deuten, dass mir wenigstens die Glaubwürdigkeit jener Ueberlieferung schon äusserlich wenig gestützt erscheint. Es sähe den Römern der Vitruvianischen Zeit — nach Analogie auf so vielen anderen Gebieten — ganz ähnlich, wenn sie sich auch die Entstehung des Akanthus so- zusagen in rationalistischer Weise zurecht gelegt hätten. Doch scheint in der That die äusserliche Verwandtschaft des ausgebildeten Akanthus- ornaments mit der Acanthus spinosa schon von den Griechen bemerkt worden zu sein. Es würde auch für die ursprüngliche Auffassung der Griechen vom Wesen des Akanthus noch sehr wenig besagen, wenn Theokrit, also ein Dichter des 3. Jahrh. v. Chr., in der viel citirten Stelle Jdyl. I. 55 in der That ein Ornament im Auge hätte, was mit Rücksicht auf seine Bezeichnung des Akanthus als eines feuchten nicht zwingend nöthig erscheint. Vor Allem aber werden wir fragen: welche schwer- wiegende Ursache mochte es gewesen sein, die veranlasst hat, gerade den Akanthus als Ornament in Stein nachzuahmen? Denn so ist der aufkeimende Naturalismus im griechischen Kunstsinn nach der Zeit der Perserkriege nicht zu verstehen, dass man sich zu unmittelbarer Imitation der Naturwesen gedrängt gefühlt haben sollte. Die überlieferten Kunstformen galt es zu beleben, aber nicht lebendige Naturformen in lebloses Material umzusetzen. Es hätte also ein äusserer Anstoss vorhanden gewesen sein müssen, der die Einführung der Akan- thuspflanze in die Zahl der vegetabilischen Kunstformen herbeigeführt hat, — ein Anstoss etwa gleich demjenigen, der die Egypter veranlasst hat zur Schaffung ihrer Lotustypen. Brückner ist der Einzige, der in offenbarer Erkenntniss der Noth- Ob nun dieser von Brückner angeführte Umstand ein ausreichender 44) Brückner a. a. O. 82.
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9. Das Aufkommen des Akanthus-Ornaments.
als nicht auch von philologischer Seite diesbezügliche Untersuchungen
gepflogen sein werden. Nur in allgemeinen Umrissen möchte ich an-
deuten, dass mir wenigstens die Glaubwürdigkeit jener Ueberlieferung
schon äusserlich wenig gestützt erscheint. Es sähe den Römern der
Vitruvianischen Zeit — nach Analogie auf so vielen anderen Gebieten
— ganz ähnlich, wenn sie sich auch die Entstehung des Akanthus so-
zusagen in rationalistischer Weise zurecht gelegt hätten. Doch scheint
in der That die äusserliche Verwandtschaft des ausgebildeten Akanthus-
ornaments mit der Acanthus spinosa schon von den Griechen bemerkt
worden zu sein. Es würde auch für die ursprüngliche Auffassung der
Griechen vom Wesen des Akanthus noch sehr wenig besagen, wenn
Theokrit, also ein Dichter des 3. Jahrh. v. Chr., in der viel citirten Stelle
Jdyl. I. 55 in der That ein Ornament im Auge hätte, was mit Rücksicht
auf seine Bezeichnung des Akanthus als eines feuchten nicht zwingend
nöthig erscheint. Vor Allem aber werden wir fragen: welche schwer-
wiegende Ursache mochte es gewesen sein, die veranlasst hat,
gerade den Akanthus als Ornament in Stein nachzuahmen?
Denn so ist der aufkeimende Naturalismus im griechischen Kunstsinn
nach der Zeit der Perserkriege nicht zu verstehen, dass man sich zu
unmittelbarer Imitation der Naturwesen gedrängt gefühlt haben sollte.
Die überlieferten Kunstformen galt es zu beleben, aber nicht lebendige
Naturformen in lebloses Material umzusetzen. Es hätte also ein äusserer
Anstoss vorhanden gewesen sein müssen, der die Einführung der Akan-
thuspflanze in die Zahl der vegetabilischen Kunstformen herbeigeführt
hat, — ein Anstoss etwa gleich demjenigen, der die Egypter veranlasst
hat zur Schaffung ihrer Lotustypen.
Brückner ist der Einzige, der in offenbarer Erkenntniss der Noth-
wendigkeit eines solchen Nachweises eine bestimmte Erklärung dafür
versucht hat. „Wie heute noch, wucherte um Tempel und Gräber der
Akanthus; für die Gräber bezeugen dies die Darstellungen der weiss-
grundigen Lekythoi (Benndorf II, Griech. und sicil. Vasenb. Taf. 14).
Wenn also die Plastik des 5. Jahrhunderts den alten Palmettenschemata
als belebendes Element den Akanthus hinzufügte, so trat die Stele mit
der Landschaft, die sie umgab, in engere Beziehung; sie verwuchs
geradezu mit ihr 44).“
Ob nun dieser von Brückner angeführte Umstand ein ausreichender
Grund gewesen sein mochte, um daraufhin ein völlig neues, künstlerisch
44) Brückner a. a. O. 82.
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