Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.B. Das Pflanzenornament in der griechischen Kunst. Zeit seines nachweisbar ersten Auftretens; die Erfindung war übrigenseine so gefällige, dass sie für alle Folgezeit beibehalten wurde und in allen Renaissancen der Antike eine Rolle gespielt hat. Das mittlere Blatt stellt sich dar als der reine, abwärts gekehrte Palmetten- fächer, der mit dem Blatte der Acanthus spinosa (Fig. 112) gar nichts gemein hat. Die seitlichen Blätter sind dagegen nicht halbe Akan- thus-Palmetten, wie man erwarten möchte, sondern in perspektivischer Verkürzung gebildete ganze Akanthus-Palmetten. Hier findet sich auch der deutliche Uebergang von Blatt zu Blatt mittels der rundlichen "Pfeifen", wie sie am späteren entwickelteren Akanthusblatt (Fig. 111) den Uebergang zwischen den einzelnen ausspringenden Gliedern ver- mitteln. Dass hierauf die Gliederung der Acanthus spinosa einen Ein- fluss gehabt haben könnte, wird man schwerlich behaupten wollen: der perspektivische Kelch in Fig. 116 trägt doch sonst nichts zur Schau, was mit der Acanthus spinosa mehr Verwandtschaft zeigen würde, als Fig. 113--115, und darf als reines Produkt künstlerischer Erfindung, allerdings unter Neigung zu grösserer Annäherung an die natürlichen lebendigen Pflanzenformen im Allgemeinen, bezeichnet werden. Wir haben bis jetzt bloss die ältesten Akanthus-Beispiele vom B. Das Pflanzenornament in der griechischen Kunst. Zeit seines nachweisbar ersten Auftretens; die Erfindung war übrigenseine so gefällige, dass sie für alle Folgezeit beibehalten wurde und in allen Renaissancen der Antike eine Rolle gespielt hat. Das mittlere Blatt stellt sich dar als der reine, abwärts gekehrte Palmetten- fächer, der mit dem Blatte der Acanthus spinosa (Fig. 112) gar nichts gemein hat. Die seitlichen Blätter sind dagegen nicht halbe Akan- thus-Palmetten, wie man erwarten möchte, sondern in perspektivischer Verkürzung gebildete ganze Akanthus-Palmetten. Hier findet sich auch der deutliche Uebergang von Blatt zu Blatt mittels der rundlichen „Pfeifen“, wie sie am späteren entwickelteren Akanthusblatt (Fig. 111) den Uebergang zwischen den einzelnen ausspringenden Gliedern ver- mitteln. Dass hierauf die Gliederung der Acanthus spinosa einen Ein- fluss gehabt haben könnte, wird man schwerlich behaupten wollen: der perspektivische Kelch in Fig. 116 trägt doch sonst nichts zur Schau, was mit der Acanthus spinosa mehr Verwandtschaft zeigen würde, als Fig. 113—115, und darf als reines Produkt künstlerischer Erfindung, allerdings unter Neigung zu grösserer Annäherung an die natürlichen lebendigen Pflanzenformen im Allgemeinen, bezeichnet werden. 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Jahrh. heranzuziehen und an denselben die Stichhaltigkeit der<lb/> versuchten Ableitung des Akanthusornaments von der plastischen Pal-<lb/> mette zu erproben. Dies gilt namentlich von jenem Denkmal, das<lb/> bisher fast einstimmig als das älteste Beispiel eines korinthischen Kapi-<lb/> täls und vielfach auch als Ausgangspunkt für die Entwicklung des<lb/> Akanthus angesehen worden ist: das <hi rendition="#g">Kapitäl von Phigalia</hi>. Dieser<lb/> seiner Bedeutung hätte es — möchte es scheinen — entsprochen, das-<lb/> selbe anstatt der Beispiele vom Erechtheion an die Spitze der ganzen<lb/> Untersuchung zu stellen. Diese Unterlassung glaube ich aber mit gutem<lb/> Grunde rechtfertigen zu können. Das korinthische Kapitäl von Phigalia<lb/> ist keineswegs eine so bekannte Grösse, dass man mit ihr so sicher<lb/> rechnen könnte, wie es allerdings gewöhnlich zu geschehen pflegt.<lb/> Das Original ist heute anscheinend verschollen, zu Grunde gegangen.<lb/> Zur Zeit da es nachweislich noch existirte, befand es sich bereits in<lb/> sehr zerstörtem Zustande. Nicht einmal ein Gipsabguss davon scheint<lb/> bewahrt worden zu sein. Wir sind daher für seine Beurtheilung auf<lb/> die zeichnerischen Reproduktionen angewiesen. Da fällt schon auf,<lb/> dass die Abbildungen in den verschiedenen Handbüchern sehr beträcht-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [224/0250]
B. Das Pflanzenornament in der griechischen Kunst.
Zeit seines nachweisbar ersten Auftretens; die Erfindung war übrigens
eine so gefällige, dass sie für alle Folgezeit beibehalten wurde und in
allen Renaissancen der Antike eine Rolle gespielt hat. Das mittlere
Blatt stellt sich dar als der reine, abwärts gekehrte Palmetten-
fächer, der mit dem Blatte der Acanthus spinosa (Fig. 112) gar nichts
gemein hat. Die seitlichen Blätter sind dagegen nicht halbe Akan-
thus-Palmetten, wie man erwarten möchte, sondern in perspektivischer
Verkürzung gebildete ganze Akanthus-Palmetten. Hier findet sich auch
der deutliche Uebergang von Blatt zu Blatt mittels der rundlichen
„Pfeifen“, wie sie am späteren entwickelteren Akanthusblatt (Fig. 111)
den Uebergang zwischen den einzelnen ausspringenden Gliedern ver-
mitteln. Dass hierauf die Gliederung der Acanthus spinosa einen Ein-
fluss gehabt haben könnte, wird man schwerlich behaupten wollen:
der perspektivische Kelch in Fig. 116 trägt doch sonst nichts zur Schau,
was mit der Acanthus spinosa mehr Verwandtschaft zeigen würde, als
Fig. 113—115, und darf als reines Produkt künstlerischer Erfindung,
allerdings unter Neigung zu grösserer Annäherung an die natürlichen
lebendigen Pflanzenformen im Allgemeinen, bezeichnet werden.
Wir haben bis jetzt bloss die ältesten Akanthus-Beispiele vom
Erechtheion (und zwei Grabstelen S. 223) in Erörterung gezogen; es
obliegt uns nun, darüber hinausgehend anderweitige Denkmäler aus
dem 5. Jahrh. heranzuziehen und an denselben die Stichhaltigkeit der
versuchten Ableitung des Akanthusornaments von der plastischen Pal-
mette zu erproben. Dies gilt namentlich von jenem Denkmal, das
bisher fast einstimmig als das älteste Beispiel eines korinthischen Kapi-
täls und vielfach auch als Ausgangspunkt für die Entwicklung des
Akanthus angesehen worden ist: das Kapitäl von Phigalia. Dieser
seiner Bedeutung hätte es — möchte es scheinen — entsprochen, das-
selbe anstatt der Beispiele vom Erechtheion an die Spitze der ganzen
Untersuchung zu stellen. Diese Unterlassung glaube ich aber mit gutem
Grunde rechtfertigen zu können. Das korinthische Kapitäl von Phigalia
ist keineswegs eine so bekannte Grösse, dass man mit ihr so sicher
rechnen könnte, wie es allerdings gewöhnlich zu geschehen pflegt.
Das Original ist heute anscheinend verschollen, zu Grunde gegangen.
Zur Zeit da es nachweislich noch existirte, befand es sich bereits in
sehr zerstörtem Zustande. Nicht einmal ein Gipsabguss davon scheint
bewahrt worden zu sein. Wir sind daher für seine Beurtheilung auf
die zeichnerischen Reproduktionen angewiesen. Da fällt schon auf,
dass die Abbildungen in den verschiedenen Handbüchern sehr beträcht-
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