B. Das Pflanzenornament in der griechischen Kunst.
kultur geblieben, während die orientalischen Völker trotz der gründ- lichen Durchsetzung mit dem Hellenismus im Wesentlichen konservativ geblieben sind, auch in ihrer Ornamentik.
In Fig. 115 erscheint der Akanthus vollkommen gleichwerthig mit der Palmette, als Palmette selbst verbraucht. Es ist dies eine Ausnahme in unserem Denkmälervorrathe aus der frühesten Zeit des Akanthus, da demselben fast in allen übrigen Fällen eine ganz bestimmte Funktion als Akanthushalbblatt zugewiesen erscheint. In Fig. 113 sind die Haupt- motive abwechselnd Lotusblüthen und flache Palmetten33); der Akan- thus ist auf untergeordnete Stellen verwiesen, und bildet einerseits die Füllung der Gabelranken, wovon schon früher die Rede war, andererseits den Kelch der Lotusblüthen. Diejenigen, die trotz allem bisher Vor- gebrachten an der Vorbildlichkeit der Acanthus spinosa festhalten, werden kaum in der Lage sein, irgend einen Beweggrund zu nennen, der die griechischen Künstler veranlasst haben konnte, gerade den Ranken- und Blüthen-Kelchen die Form des Akanthus zu geben. Wir haben wenigstens für die Rankenkelche eine Erklärung in der Ana- logie mit den zwickelfüllenden Halbpalmetten des flachen Rankenorna- ments der Vasen geboten. Für die akanthisirende Bildung des Kelches der Lotusblüthen hält es schwerer einen unmittelbaren Veranlassungs- grund namhaft zu machen, da seine beiden Blätter auch in der pla- stischen Ausführung ebenso gut glatt belassen werden konnten. Die geschwungene Linie der Kelchblätter eignete sich aber ganz besonders für eine akanthisirende Profilirung, weit mehr als die steife volle Pal- mette. Dies wird auch der Grund sein, warum volle Palmetten in akanthisirender Stilisirung uns in den ersten Stadien der Entwicklung so selten begegnen. Als Akroterien der Grabstelen sind sie zwar mit dem oberen Rande etwas vorgeneigt; dieser Schwung war aber offen- bar ein viel zu sanfter, weshalb man selbst in vorgeschrittener Zeit (4. Jahrh.) die Akroterien-Palmetten in der Regel in der flachen Pro- jektion beliess, und lediglich durch die gesprengte Form derselben dem naturalisirenden Zuge der Zeit Rechnung trug. Ich halte es daher in der That für ganz gut möglich, dass die akanthisirende Bildung der plastischen Palmette nicht an einer vollen Palmette, sondern an einer
33) Der Zapfen dieser letzteren ist plastisch nach Palmettenform geglie- dert, und die einzelnen Blätter des Fächers oben etwas ausladend heraus- gearbeitet: also gleichfalls der strikte Uebergang von der Palmette zum Akanthus, bedingt durch die plastische Form, was auch in der Abbildung Fig. 113 zum Ausdrucke kommt.
B. Das Pflanzenornament in der griechischen Kunst.
kultur geblieben, während die orientalischen Völker trotz der gründ- lichen Durchsetzung mit dem Hellenismus im Wesentlichen konservativ geblieben sind, auch in ihrer Ornamentik.
In Fig. 115 erscheint der Akanthus vollkommen gleichwerthig mit der Palmette, als Palmette selbst verbraucht. Es ist dies eine Ausnahme in unserem Denkmälervorrathe aus der frühesten Zeit des Akanthus, da demselben fast in allen übrigen Fällen eine ganz bestimmte Funktion als Akanthushalbblatt zugewiesen erscheint. In Fig. 113 sind die Haupt- motive abwechselnd Lotusblüthen und flache Palmetten33); der Akan- thus ist auf untergeordnete Stellen verwiesen, und bildet einerseits die Füllung der Gabelranken, wovon schon früher die Rede war, andererseits den Kelch der Lotusblüthen. Diejenigen, die trotz allem bisher Vor- gebrachten an der Vorbildlichkeit der Acanthus spinosa festhalten, werden kaum in der Lage sein, irgend einen Beweggrund zu nennen, der die griechischen Künstler veranlasst haben konnte, gerade den Ranken- und Blüthen-Kelchen die Form des Akanthus zu geben. Wir haben wenigstens für die Rankenkelche eine Erklärung in der Ana- logie mit den zwickelfüllenden Halbpalmetten des flachen Rankenorna- ments der Vasen geboten. Für die akanthisirende Bildung des Kelches der Lotusblüthen hält es schwerer einen unmittelbaren Veranlassungs- grund namhaft zu machen, da seine beiden Blätter auch in der pla- stischen Ausführung ebenso gut glatt belassen werden konnten. Die geschwungene Linie der Kelchblätter eignete sich aber ganz besonders für eine akanthisirende Profilirung, weit mehr als die steife volle Pal- mette. Dies wird auch der Grund sein, warum volle Palmetten in akanthisirender Stilisirung uns in den ersten Stadien der Entwicklung so selten begegnen. Als Akroterien der Grabstelen sind sie zwar mit dem oberen Rande etwas vorgeneigt; dieser Schwung war aber offen- bar ein viel zu sanfter, weshalb man selbst in vorgeschrittener Zeit (4. Jahrh.) die Akroterien-Palmetten in der Regel in der flachen Pro- jektion beliess, und lediglich durch die gesprengte Form derselben dem naturalisirenden Zuge der Zeit Rechnung trug. Ich halte es daher in der That für ganz gut möglich, dass die akanthisirende Bildung der plastischen Palmette nicht an einer vollen Palmette, sondern an einer
33) Der Zapfen dieser letzteren ist plastisch nach Palmettenform geglie- dert, und die einzelnen Blätter des Fächers oben etwas ausladend heraus- gearbeitet: also gleichfalls der strikte Uebergang von der Palmette zum Akanthus, bedingt durch die plastische Form, was auch in der Abbildung Fig. 113 zum Ausdrucke kommt.
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B. Das Pflanzenornament in der griechischen Kunst.
kultur geblieben, während die orientalischen Völker trotz der gründ-
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geblieben sind, auch in ihrer Ornamentik.
In Fig. 115 erscheint der Akanthus vollkommen gleichwerthig mit
der Palmette, als Palmette selbst verbraucht. Es ist dies eine Ausnahme
in unserem Denkmälervorrathe aus der frühesten Zeit des Akanthus, da
demselben fast in allen übrigen Fällen eine ganz bestimmte Funktion
als Akanthushalbblatt zugewiesen erscheint. In Fig. 113 sind die Haupt-
motive abwechselnd Lotusblüthen und flache Palmetten 33); der Akan-
thus ist auf untergeordnete Stellen verwiesen, und bildet einerseits die
Füllung der Gabelranken, wovon schon früher die Rede war, andererseits
den Kelch der Lotusblüthen. Diejenigen, die trotz allem bisher Vor-
gebrachten an der Vorbildlichkeit der Acanthus spinosa festhalten,
werden kaum in der Lage sein, irgend einen Beweggrund zu nennen,
der die griechischen Künstler veranlasst haben konnte, gerade den
Ranken- und Blüthen-Kelchen die Form des Akanthus zu geben. Wir
haben wenigstens für die Rankenkelche eine Erklärung in der Ana-
logie mit den zwickelfüllenden Halbpalmetten des flachen Rankenorna-
ments der Vasen geboten. Für die akanthisirende Bildung des Kelches
der Lotusblüthen hält es schwerer einen unmittelbaren Veranlassungs-
grund namhaft zu machen, da seine beiden Blätter auch in der pla-
stischen Ausführung ebenso gut glatt belassen werden konnten. Die
geschwungene Linie der Kelchblätter eignete sich aber ganz besonders
für eine akanthisirende Profilirung, weit mehr als die steife volle Pal-
mette. Dies wird auch der Grund sein, warum volle Palmetten in
akanthisirender Stilisirung uns in den ersten Stadien der Entwicklung
so selten begegnen. Als Akroterien der Grabstelen sind sie zwar mit
dem oberen Rande etwas vorgeneigt; dieser Schwung war aber offen-
bar ein viel zu sanfter, weshalb man selbst in vorgeschrittener Zeit
(4. Jahrh.) die Akroterien-Palmetten in der Regel in der flachen Pro-
jektion beliess, und lediglich durch die gesprengte Form derselben dem
naturalisirenden Zuge der Zeit Rechnung trug. Ich halte es daher in
der That für ganz gut möglich, dass die akanthisirende Bildung der
plastischen Palmette nicht an einer vollen Palmette, sondern an einer
33) Der Zapfen dieser letzteren ist plastisch nach Palmettenform geglie-
dert, und die einzelnen Blätter des Fächers oben etwas ausladend heraus-
gearbeitet: also gleichfalls der strikte Uebergang von der Palmette zum
Akanthus, bedingt durch die plastische Form, was auch in der Abbildung
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Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. 222. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/248>, abgerufen am 26.06.2024.
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