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Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.

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Einleitung.
ausdrückt, scheint der Orient von Anbeginn, seit er sich der höheren
griechischen Kultur und Kunst gefangen gegeben, widerstrebt zu haben.
Die hellenistischen Formen hat er durchgreifend übernommen; an
diesem Satze wird heute wohl Niemand mehr zweifeln, dem es nicht
um ein blosses Justament-Festhalten an liebgewordenen Anschauungen
zu thun ist. Dass es Anhänger dieser letzteren trotz der überzeugen-
den Sprache der Denkmäler heute noch giebt, ist wohl auch vornehm-
lich auf Rechnung der festgewurzelten antihistorischen Tendenz in der
Beurtheilung ornamentaler Kunstformen zu setzen. Aber thatsächlich
begegnen uns an orientalischen Kunstwerken aus der römischen Kaiser-
zeit vielfach die stilisirten Blüthenformen der reifhellenischen und der
alexandrinischen Kunst neben den naturalisirenden Bildungen des
römischen Westens. Das byzantinische Ornament knüpft theilweise
direkt an hellenistische Formen an, die offenbar auf griechischem und
kleinasiatischem Boden auch während der römischen Kaiserzeit fort-
dauernd in Gebrauch geblieben waren. Wegen der grösseren Reihe
von Zwischengliedern nicht so unmittelbar einleuchtend, aber nicht
minder vollgiltig ist dies hinsichtlich der saracenischen Kunst.

Die derb byzantinischen Elemente in der saracenischen Ornamentik
hat man längst richtig auf ihre Herkunft hin erkannt, ja, man kann
sagen, in den vierziger und fünfziger Jahren richtiger als heutzutage,
woran eben wiederum die dazwischen gekommene, unselige technisch-
materielle Entstehungstheorie mit der Schwärmerei für spontan-autoch-
thone Anfänge der unterschiedlichen nationalen Künste Schuld ist.
Dagegen blieb die Arabeske allezeit unangetastetes Sondereigenthum
des Orients, insbesondere der Araber. Und doch lehrt die Geschichte
der Ornamentik im Alterthum, dass der antike Orient das Rankenorna-
ment, das ja der Arabeske zu Grunde liegt, nicht gekannt hat und da-
her dasselbe erst vom hellenischen Westen übernommen haben muss.
Auch konnte man längst bei näherem Zusehen in dem dichten Arabesken-
geschlinge einzelne mehr hervorstechende Motive wahrnehmen, die mit
ihren Volutenkelchen und Blattfächern deutlich den Zusammenhang
mit der alten Palmettenornamentik verrathen. Was aber an der
Arabeske als scheinbar völlig neu und gegenüber der antiken Auf-
fassung des Pflanzenornaments ganz fremdartig erschienen ist, das war
die Eigenthümlichkeit, dass die an den Ranken sitzenden saracenischen

Einleitung.
ausdrückt, scheint der Orient von Anbeginn, seit er sich der höheren
griechischen Kultur und Kunst gefangen gegeben, widerstrebt zu haben.
Die hellenistischen Formen hat er durchgreifend übernommen; an
diesem Satze wird heute wohl Niemand mehr zweifeln, dem es nicht
um ein blosses Justament-Festhalten an liebgewordenen Anschauungen
zu thun ist. Dass es Anhänger dieser letzteren trotz der überzeugen-
den Sprache der Denkmäler heute noch giebt, ist wohl auch vornehm-
lich auf Rechnung der festgewurzelten antihistorischen Tendenz in der
Beurtheilung ornamentaler Kunstformen zu setzen. Aber thatsächlich
begegnen uns an orientalischen Kunstwerken aus der römischen Kaiser-
zeit vielfach die stilisirten Blüthenformen der reifhellenischen und der
alexandrinischen Kunst neben den naturalisirenden Bildungen des
römischen Westens. Das byzantinische Ornament knüpft theilweise
direkt an hellenistische Formen an, die offenbar auf griechischem und
kleinasiatischem Boden auch während der römischen Kaiserzeit fort-
dauernd in Gebrauch geblieben waren. Wegen der grösseren Reihe
von Zwischengliedern nicht so unmittelbar einleuchtend, aber nicht
minder vollgiltig ist dies hinsichtlich der saracenischen Kunst.

Die derb byzantinischen Elemente in der saracenischen Ornamentik
hat man längst richtig auf ihre Herkunft hin erkannt, ja, man kann
sagen, in den vierziger und fünfziger Jahren richtiger als heutzutage,
woran eben wiederum die dazwischen gekommene, unselige technisch-
materielle Entstehungstheorie mit der Schwärmerei für spontan-autoch-
thone Anfänge der unterschiedlichen nationalen Künste Schuld ist.
Dagegen blieb die Arabeske allezeit unangetastetes Sondereigenthum
des Orients, insbesondere der Araber. Und doch lehrt die Geschichte
der Ornamentik im Alterthum, dass der antike Orient das Rankenorna-
ment, das ja der Arabeske zu Grunde liegt, nicht gekannt hat und da-
her dasselbe erst vom hellenischen Westen übernommen haben muss.
Auch konnte man längst bei näherem Zusehen in dem dichten Arabesken-
geschlinge einzelne mehr hervorstechende Motive wahrnehmen, die mit
ihren Volutenkelchen und Blattfächern deutlich den Zusammenhang
mit der alten Palmettenornamentik verrathen. Was aber an der
Arabeske als scheinbar völlig neu und gegenüber der antiken Auf-
fassung des Pflanzenornaments ganz fremdartig erschienen ist, das war
die Eigenthümlichkeit, dass die an den Ranken sitzenden saracenischen

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[XVI/0022] Einleitung. ausdrückt, scheint der Orient von Anbeginn, seit er sich der höheren griechischen Kultur und Kunst gefangen gegeben, widerstrebt zu haben. Die hellenistischen Formen hat er durchgreifend übernommen; an diesem Satze wird heute wohl Niemand mehr zweifeln, dem es nicht um ein blosses Justament-Festhalten an liebgewordenen Anschauungen zu thun ist. Dass es Anhänger dieser letzteren trotz der überzeugen- den Sprache der Denkmäler heute noch giebt, ist wohl auch vornehm- lich auf Rechnung der festgewurzelten antihistorischen Tendenz in der Beurtheilung ornamentaler Kunstformen zu setzen. Aber thatsächlich begegnen uns an orientalischen Kunstwerken aus der römischen Kaiser- zeit vielfach die stilisirten Blüthenformen der reifhellenischen und der alexandrinischen Kunst neben den naturalisirenden Bildungen des römischen Westens. Das byzantinische Ornament knüpft theilweise direkt an hellenistische Formen an, die offenbar auf griechischem und kleinasiatischem Boden auch während der römischen Kaiserzeit fort- dauernd in Gebrauch geblieben waren. Wegen der grösseren Reihe von Zwischengliedern nicht so unmittelbar einleuchtend, aber nicht minder vollgiltig ist dies hinsichtlich der saracenischen Kunst. Die derb byzantinischen Elemente in der saracenischen Ornamentik hat man längst richtig auf ihre Herkunft hin erkannt, ja, man kann sagen, in den vierziger und fünfziger Jahren richtiger als heutzutage, woran eben wiederum die dazwischen gekommene, unselige technisch- materielle Entstehungstheorie mit der Schwärmerei für spontan-autoch- thone Anfänge der unterschiedlichen nationalen Künste Schuld ist. Dagegen blieb die Arabeske allezeit unangetastetes Sondereigenthum des Orients, insbesondere der Araber. Und doch lehrt die Geschichte der Ornamentik im Alterthum, dass der antike Orient das Rankenorna- ment, das ja der Arabeske zu Grunde liegt, nicht gekannt hat und da- her dasselbe erst vom hellenischen Westen übernommen haben muss. Auch konnte man längst bei näherem Zusehen in dem dichten Arabesken- geschlinge einzelne mehr hervorstechende Motive wahrnehmen, die mit ihren Volutenkelchen und Blattfächern deutlich den Zusammenhang mit der alten Palmettenornamentik verrathen. Was aber an der Arabeske als scheinbar völlig neu und gegenüber der antiken Auf- fassung des Pflanzenornaments ganz fremdartig erschienen ist, das war die Eigenthümlichkeit, dass die an den Ranken sitzenden saracenischen

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Zitationshilfe: Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. XVI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/22>, abgerufen am 23.11.2024.