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Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.

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B. Das Pflanzenornament in der griechischen Kunst.
immerhin noch gebundenen, weil in Streifenform gebannten Motivs im
Sinne des höchst erreichbaren Formal-Schönen. Der Rankenzweig Fig. 81
durchbricht das hergebrachte Schema und weist auf neue fruchtbare
Wege: wer würde da verlangen, dass die Lösung auf den ersten Wurf
gelang?

Einschaltungsweise will ich hier -- dem chronologischen Ent-
wicklungsgange vorgreifend -- eine spätere böotische Vasenornamentik
zum Vergleiche heranziehen, weil sie vielleicht zur Erklärung für die
nachgewiesene öftere Verwendung der fortlaufenden Wellenranke in der
archaisch-böotischen Kunst beitragen könnte. Bei den Ausgrabungen
des Kabirenheiligthums zu Theben hat man nämlich eine Anzahl von
Vasenscherben zu Tage gefördert, die auffälligerweise zu allermeist mit
der fortlaufenden Wellenranke verziert sind (Fig. 82)92). Winnefeld hat
nachgewiesen, dass die betreffenden Vasen einer lokal-böotischen Fa-

[Abbildung] Fig. 82.

Epheuranke von einem späteren böotischen Thongefäss.

brikation angehören und nicht vor dem 4. Jahrhundert entstanden sein
können. Zwischen der Entstehungszeit der altböotischen (nach Böhlau
7. Jahrhundert) und derjenigen der Kabirenvasen liegen allerdings
mehrere Jahrhunderte, in deren Verlaufe die fortlaufende Wellenranke
ein gemeinübliches Bordürenornament der griechischen Kunst geworden
ist. Auffällig ist aber an den Kabirenvasen immerhin die exclusive
Bevorzugung des fortlaufenden Schemas, das überwiegende Vorkommen
der sogenannten Epheublätter, jenes schon in der mykenischen Kunst
verbreiteten vegetabilischen Motivs, das Fehlen der "in anderen Vasen-
gattungen häufigsten Ornamentmotive: Mäander und Palmette, Stab-
ornament, Eierstab und Strahlen" (Winnefeld). Nehmen wir dazu jenen
bestimmten mykenischen Zug, der sich z. B. in den gekrümmten, die
Wellenlinie begleitenden Stengeln der Epheublätter (Fig. 50) ausspricht,
so erscheint es in der That wahrscheinlich, dass diese lokal-böotische
Vasenornamentik hochalterthümliche Traditionen repräsentirt, wie sie

92) Nach Athen. Mitth. 1888, S. 418, Fig. 6.

B. Das Pflanzenornament in der griechischen Kunst.
immerhin noch gebundenen, weil in Streifenform gebannten Motivs im
Sinne des höchst erreichbaren Formal-Schönen. Der Rankenzweig Fig. 81
durchbricht das hergebrachte Schema und weist auf neue fruchtbare
Wege: wer würde da verlangen, dass die Lösung auf den ersten Wurf
gelang?

Einschaltungsweise will ich hier — dem chronologischen Ent-
wicklungsgange vorgreifend — eine spätere böotische Vasenornamentik
zum Vergleiche heranziehen, weil sie vielleicht zur Erklärung für die
nachgewiesene öftere Verwendung der fortlaufenden Wellenranke in der
archaisch-böotischen Kunst beitragen könnte. Bei den Ausgrabungen
des Kabirenheiligthums zu Theben hat man nämlich eine Anzahl von
Vasenscherben zu Tage gefördert, die auffälligerweise zu allermeist mit
der fortlaufenden Wellenranke verziert sind (Fig. 82)92). Winnefeld hat
nachgewiesen, dass die betreffenden Vasen einer lokal-böotischen Fa-

[Abbildung] Fig. 82.

Epheuranke von einem späteren böotischen Thongefäss.

brikation angehören und nicht vor dem 4. Jahrhundert entstanden sein
können. Zwischen der Entstehungszeit der altböotischen (nach Böhlau
7. Jahrhundert) und derjenigen der Kabirenvasen liegen allerdings
mehrere Jahrhunderte, in deren Verlaufe die fortlaufende Wellenranke
ein gemeinübliches Bordürenornament der griechischen Kunst geworden
ist. Auffällig ist aber an den Kabirenvasen immerhin die exclusive
Bevorzugung des fortlaufenden Schemas, das überwiegende Vorkommen
der sogenannten Epheublätter, jenes schon in der mykenischen Kunst
verbreiteten vegetabilischen Motivs, das Fehlen der „in anderen Vasen-
gattungen häufigsten Ornamentmotive: Mäander und Palmette, Stab-
ornament, Eierstab und Strahlen“ (Winnefeld). Nehmen wir dazu jenen
bestimmten mykenischen Zug, der sich z. B. in den gekrümmten, die
Wellenlinie begleitenden Stengeln der Epheublätter (Fig. 50) ausspricht,
so erscheint es in der That wahrscheinlich, dass diese lokal-böotische
Vasenornamentik hochalterthümliche Traditionen repräsentirt, wie sie

92) Nach Athen. Mitth. 1888, S. 418, Fig. 6.
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[176/0202] B. Das Pflanzenornament in der griechischen Kunst. immerhin noch gebundenen, weil in Streifenform gebannten Motivs im Sinne des höchst erreichbaren Formal-Schönen. Der Rankenzweig Fig. 81 durchbricht das hergebrachte Schema und weist auf neue fruchtbare Wege: wer würde da verlangen, dass die Lösung auf den ersten Wurf gelang? Einschaltungsweise will ich hier — dem chronologischen Ent- wicklungsgange vorgreifend — eine spätere böotische Vasenornamentik zum Vergleiche heranziehen, weil sie vielleicht zur Erklärung für die nachgewiesene öftere Verwendung der fortlaufenden Wellenranke in der archaisch-böotischen Kunst beitragen könnte. Bei den Ausgrabungen des Kabirenheiligthums zu Theben hat man nämlich eine Anzahl von Vasenscherben zu Tage gefördert, die auffälligerweise zu allermeist mit der fortlaufenden Wellenranke verziert sind (Fig. 82) 92). Winnefeld hat nachgewiesen, dass die betreffenden Vasen einer lokal-böotischen Fa- [Abbildung Fig. 82. Epheuranke von einem späteren böotischen Thongefäss.] brikation angehören und nicht vor dem 4. Jahrhundert entstanden sein können. Zwischen der Entstehungszeit der altböotischen (nach Böhlau 7. Jahrhundert) und derjenigen der Kabirenvasen liegen allerdings mehrere Jahrhunderte, in deren Verlaufe die fortlaufende Wellenranke ein gemeinübliches Bordürenornament der griechischen Kunst geworden ist. Auffällig ist aber an den Kabirenvasen immerhin die exclusive Bevorzugung des fortlaufenden Schemas, das überwiegende Vorkommen der sogenannten Epheublätter, jenes schon in der mykenischen Kunst verbreiteten vegetabilischen Motivs, das Fehlen der „in anderen Vasen- gattungen häufigsten Ornamentmotive: Mäander und Palmette, Stab- ornament, Eierstab und Strahlen“ (Winnefeld). Nehmen wir dazu jenen bestimmten mykenischen Zug, der sich z. B. in den gekrümmten, die Wellenlinie begleitenden Stengeln der Epheublätter (Fig. 50) ausspricht, so erscheint es in der That wahrscheinlich, dass diese lokal-böotische Vasenornamentik hochalterthümliche Traditionen repräsentirt, wie sie 92) Nach Athen. Mitth. 1888, S. 418, Fig. 6.

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Zitationshilfe: Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. 176. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/202>, abgerufen am 24.11.2024.