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Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893.

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4. Rhodisches.
lässigten Motivs, in der rhodischen Kunst könnte man für ein Zeug-
niss assyrischen Einflusses nehmen. Die mykenische Kunst hat aber
das Flechtband anscheinend bereits gekannt (S. 140), zu einer Zeit, aus
welcher uns assyrische Denkmäler mit Flechtbändern mindestens nicht
erhalten geblieben sind. Und was das rhodische Flechtband streng
vom assyrischen unterscheidet, ist die an jenem in der Regel beob-
achtete Zwickelfüllung in den Aussenwinkeln. Am Euphorbosteller
ist dieselbe einfach giebelförmig73), an zwei Berliner Vasen74) kreis-
bis tropfenförmig, an den Sarkophagen aus Klazomenä75) durch Pal-
mettenfächer bestritten. Diese fanatische Zwickelfüllung, die wir schon
an den melischen Vasen beobachtet haben, ist aber der assyrischen
Kunst durchaus fremd. Dagegen findet sich tropfenförmige Zwickel-
füllung in den Aussenzwickeln eines Bogenfrieses schon auf mykenischem
Kunstgebiet, vgl. Myken. Vasen XIX. 136.

Nach dieser Abschweifung kehren wir zu den Blüthenmotiven der
rhodischen Vasen und ihren Verbindungsweisen zurück. Die Spirale,
die als verbindendes oder, infolge der ihr eigenthümlichen Zwickelbil-
dung, provocirendes Motiv für Blüthenformen noch in der melischen
Kunst eine so grosse Rolle gespielt hat, tritt in der rhodischen
Kunst zurück
. Darin spiegelt sich der weitere Verlauf der griechischen
Pflanzenornamentik wieder: in ihrer selbständigen Existenz ist die
Spirale späterhin auf den laufenden Hund beschränkt worden. Wo sie
den Blumen als Kelch dient, hält sie sich länger, aber die Blumen
werden immer mehr das Maassgebende, an Bedeutung Ueberwiegende.
Mit anderen Worten: die Spirale verliert zusehends ihre geome-
trische Bedeutung und wird zur vegetabilischen Ranke
.
Dieser Process, in der mykenischen Kunst angebahnt, erscheint in der
rhodischen zu weiterem Fortschritte gebracht, und darin ruht die
hauptsächliche Bedeutung der rhodischen Klasse für die Ent-
wicklungsgeschichte des Pflanzenornaments
.


73) Salzmann Kameiros 53. Die Schliessung eines Zwickels durch einen
zweischenkligen Giebel ist offenbar die einfachste Lösung des Postulats der
Zwickelfüllung; es ist daher nicht nothwendig die Spitzblätter des Lotus als
hiefür vorbildlich zu Hilfe zu nehmen. Am Schild des Menelaus auf dem-
selben Teller sind zwar die Zwickel zwischen den Doppelvoluten mit je drei
Giebeln gefüllt, hier ist aber in der That ein spitzblättriges Lotusprofil gemeint,
nach Analogie von Fig. 55, 56.
74) Arch. Jahrb. 1886, S. 139, 140.
75) Ant. Denkm. I. 45.

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lässigten Motivs, in der rhodischen Kunst könnte man für ein Zeug-
niss assyrischen Einflusses nehmen. Die mykenische Kunst hat aber
das Flechtband anscheinend bereits gekannt (S. 140), zu einer Zeit, aus
welcher uns assyrische Denkmäler mit Flechtbändern mindestens nicht
erhalten geblieben sind. Und was das rhodische Flechtband streng
vom assyrischen unterscheidet, ist die an jenem in der Regel beob-
achtete Zwickelfüllung in den Aussenwinkeln. Am Euphorbosteller
ist dieselbe einfach giebelförmig73), an zwei Berliner Vasen74) kreis-
bis tropfenförmig, an den Sarkophagen aus Klazomenä75) durch Pal-
mettenfächer bestritten. Diese fanatische Zwickelfüllung, die wir schon
an den melischen Vasen beobachtet haben, ist aber der assyrischen
Kunst durchaus fremd. Dagegen findet sich tropfenförmige Zwickel-
füllung in den Aussenzwickeln eines Bogenfrieses schon auf mykenischem
Kunstgebiet, vgl. Myken. Vasen XIX. 136.

Nach dieser Abschweifung kehren wir zu den Blüthenmotiven der
rhodischen Vasen und ihren Verbindungsweisen zurück. Die Spirale,
die als verbindendes oder, infolge der ihr eigenthümlichen Zwickelbil-
dung, provocirendes Motiv für Blüthenformen noch in der melischen
Kunst eine so grosse Rolle gespielt hat, tritt in der rhodischen
Kunst zurück
. Darin spiegelt sich der weitere Verlauf der griechischen
Pflanzenornamentik wieder: in ihrer selbständigen Existenz ist die
Spirale späterhin auf den laufenden Hund beschränkt worden. Wo sie
den Blumen als Kelch dient, hält sie sich länger, aber die Blumen
werden immer mehr das Maassgebende, an Bedeutung Ueberwiegende.
Mit anderen Worten: die Spirale verliert zusehends ihre geome-
trische Bedeutung und wird zur vegetabilischen Ranke
.
Dieser Process, in der mykenischen Kunst angebahnt, erscheint in der
rhodischen zu weiterem Fortschritte gebracht, und darin ruht die
hauptsächliche Bedeutung der rhodischen Klasse für die Ent-
wicklungsgeschichte des Pflanzenornaments
.


73) Salzmann Kameiros 53. Die Schliessung eines Zwickels durch einen
zweischenkligen Giebel ist offenbar die einfachste Lösung des Postulats der
Zwickelfüllung; es ist daher nicht nothwendig die Spitzblätter des Lotus als
hiefür vorbildlich zu Hilfe zu nehmen. Am Schild des Menelaus auf dem-
selben Teller sind zwar die Zwickel zwischen den Doppelvoluten mit je drei
Giebeln gefüllt, hier ist aber in der That ein spitzblättriges Lotusprofil gemeint,
nach Analogie von Fig. 55, 56.
74) Arch. Jahrb. 1886, S. 139, 140.
75) Ant. Denkm. I. 45.
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[165/0191] 4. Rhodisches. lässigten Motivs, in der rhodischen Kunst könnte man für ein Zeug- niss assyrischen Einflusses nehmen. Die mykenische Kunst hat aber das Flechtband anscheinend bereits gekannt (S. 140), zu einer Zeit, aus welcher uns assyrische Denkmäler mit Flechtbändern mindestens nicht erhalten geblieben sind. Und was das rhodische Flechtband streng vom assyrischen unterscheidet, ist die an jenem in der Regel beob- achtete Zwickelfüllung in den Aussenwinkeln. Am Euphorbosteller ist dieselbe einfach giebelförmig 73), an zwei Berliner Vasen 74) kreis- bis tropfenförmig, an den Sarkophagen aus Klazomenä 75) durch Pal- mettenfächer bestritten. Diese fanatische Zwickelfüllung, die wir schon an den melischen Vasen beobachtet haben, ist aber der assyrischen Kunst durchaus fremd. Dagegen findet sich tropfenförmige Zwickel- füllung in den Aussenzwickeln eines Bogenfrieses schon auf mykenischem Kunstgebiet, vgl. Myken. Vasen XIX. 136. Nach dieser Abschweifung kehren wir zu den Blüthenmotiven der rhodischen Vasen und ihren Verbindungsweisen zurück. Die Spirale, die als verbindendes oder, infolge der ihr eigenthümlichen Zwickelbil- dung, provocirendes Motiv für Blüthenformen noch in der melischen Kunst eine so grosse Rolle gespielt hat, tritt in der rhodischen Kunst zurück. Darin spiegelt sich der weitere Verlauf der griechischen Pflanzenornamentik wieder: in ihrer selbständigen Existenz ist die Spirale späterhin auf den laufenden Hund beschränkt worden. Wo sie den Blumen als Kelch dient, hält sie sich länger, aber die Blumen werden immer mehr das Maassgebende, an Bedeutung Ueberwiegende. Mit anderen Worten: die Spirale verliert zusehends ihre geome- trische Bedeutung und wird zur vegetabilischen Ranke. Dieser Process, in der mykenischen Kunst angebahnt, erscheint in der rhodischen zu weiterem Fortschritte gebracht, und darin ruht die hauptsächliche Bedeutung der rhodischen Klasse für die Ent- wicklungsgeschichte des Pflanzenornaments. 73) Salzmann Kameiros 53. Die Schliessung eines Zwickels durch einen zweischenkligen Giebel ist offenbar die einfachste Lösung des Postulats der Zwickelfüllung; es ist daher nicht nothwendig die Spitzblätter des Lotus als hiefür vorbildlich zu Hilfe zu nehmen. Am Schild des Menelaus auf dem- selben Teller sind zwar die Zwickel zwischen den Doppelvoluten mit je drei Giebeln gefüllt, hier ist aber in der That ein spitzblättriges Lotusprofil gemeint, nach Analogie von Fig. 55, 56. 74) Arch. Jahrb. 1886, S. 139, 140. 75) Ant. Denkm. I. 45.

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Zitationshilfe: Riegl, Alois: Stilfragen. Berlin, 1893, S. 165. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/riegl_stilfragen_1893/191>, abgerufen am 22.11.2024.