dränget sind, unter seinen Landesleuten von dem höchsten Range bis zu dem niedrigsten Pöbel mit Fleiß unterhalten worden.
Bei dieser allgemeinen Verderbniß, da selbst die Canzeln ein grosses Theil ihres Gewichts verlohren haben, und die Geistlichkeit als ein Stand betrachtet wird, der aus lauter eigen- nützigen Leuten bestehet, glaubte der Verfasser es bei seinem eignen Herzen verantworten zu können, wenn er, der Erfolg möchte seyn, wel- cher er wollte, zu der so nöthigen Verbesserung der Sitten sein Schärflein mit beitrüge. Zu- gleich überredete er sich, wenn es ihm in ei- nem Jahrhundert, welches der Lustbarkeit und dem Zeitvertreibe Preis gegeben ist, glückte, sich gleichsam einzustehlen, und die wichtigen Leh- ren des Christenthums unter der Verkleidung eines Zeitvertreibers nach der Mode einzuschär- fen, daß er vielleicht seine Absicht erreichen wür- de. Er dachte dabei an die Worte des Dich- ters:
Vielleicht rührt ein Gedicht den, der die Predigt scheuet, Daß er die Lust bezwingt, und ihn die Bosheit reuet.
Demnach entschloß er sich, einen Weg zu be- treten, wo er keinen Vorgänger hat. Die meisten Tragischen Dichter, dachte er, haben ihre Helden eben so selten zu wahren Gegenstän- den des Mitleidens gemacht, als die Charack- tere der Comischen Dichter würdig sind, nach-
geahmt
Zusätze zur Cl. Y
draͤnget ſind, unter ſeinen Landesleuten von dem hoͤchſten Range bis zu dem niedrigſten Poͤbel mit Fleiß unterhalten worden.
Bei dieſer allgemeinen Verderbniß, da ſelbſt die Canzeln ein groſſes Theil ihres Gewichts verlohren haben, und die Geiſtlichkeit als ein Stand betrachtet wird, der aus lauter eigen- nuͤtzigen Leuten beſtehet, glaubte der Verfaſſer es bei ſeinem eignen Herzen verantworten zu koͤnnen, wenn er, der Erfolg moͤchte ſeyn, wel- cher er wollte, zu der ſo noͤthigen Verbeſſerung der Sitten ſein Schaͤrflein mit beitruͤge. Zu- gleich uͤberredete er ſich, wenn es ihm in ei- nem Jahrhundert, welches der Luſtbarkeit und dem Zeitvertreibe Preis gegeben iſt, gluͤckte, ſich gleichſam einzuſtehlen, und die wichtigen Leh- ren des Chriſtenthums unter der Verkleidung eines Zeitvertreibers nach der Mode einzuſchaͤr- fen, daß er vielleicht ſeine Abſicht erreichen wuͤr- de. Er dachte dabei an die Worte des Dich- ters:
Vielleicht ruͤhrt ein Gedicht den, der die Predigt ſcheuet, Daß er die Luſt bezwingt, und ihn die Bosheit reuet.
Demnach entſchloß er ſich, einen Weg zu be- treten, wo er keinen Vorgaͤnger hat. Die meiſten Tragiſchen Dichter, dachte er, haben ihre Helden eben ſo ſelten zu wahren Gegenſtaͤn- den des Mitleidens gemacht, als die Charack- tere der Comiſchen Dichter wuͤrdig ſind, nach-
geahmt
Zuſaͤtze zur Cl. Y
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draͤnget ſind, unter ſeinen Landesleuten von
dem hoͤchſten Range bis zu dem niedrigſten
Poͤbel mit Fleiß unterhalten worden.
Bei dieſer allgemeinen Verderbniß, da ſelbſt
die Canzeln ein groſſes Theil ihres Gewichts
verlohren haben, und die Geiſtlichkeit als ein
Stand betrachtet wird, der aus lauter eigen-
nuͤtzigen Leuten beſtehet, glaubte der Verfaſſer
es bei ſeinem eignen Herzen verantworten zu
koͤnnen, wenn er, der Erfolg moͤchte ſeyn, wel-
cher er wollte, zu der ſo noͤthigen Verbeſſerung
der Sitten ſein Schaͤrflein mit beitruͤge. Zu-
gleich uͤberredete er ſich, wenn es ihm in ei-
nem Jahrhundert, welches der Luſtbarkeit und
dem Zeitvertreibe Preis gegeben iſt, gluͤckte, ſich
gleichſam einzuſtehlen, und die wichtigen Leh-
ren des Chriſtenthums unter der Verkleidung
eines Zeitvertreibers nach der Mode einzuſchaͤr-
fen, daß er vielleicht ſeine Abſicht erreichen wuͤr-
de. Er dachte dabei an die Worte des Dich-
ters:
Vielleicht ruͤhrt ein Gedicht den, der die
Predigt ſcheuet,
Daß er die Luſt bezwingt, und ihn die
Bosheit reuet.
Demnach entſchloß er ſich, einen Weg zu be-
treten, wo er keinen Vorgaͤnger hat. Die
meiſten Tragiſchen Dichter, dachte er, haben
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 8. Göttingen, 1753, S. 337. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa08_1753/345>, abgerufen am 16.02.2025.
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