und Gemüthsart. Sie muß sich bewußt seyn, daß sie über die Hälfte von unserm, und die mei- sten von ihrem eignen Geschlechte erhaben ist. Das mag sie vielleicht bewegen, einer von Natur geschwinden und ungedultigen Gemüthsart den Zügel schießen zu lassen: allein, wo sie an ihrem Manne ein gefälliges Nachgeben antrifft; und wer wollte bey einem so sichtbaren Vorzuge nicht nachgeben, wenn es nicht mit Hochmuth erzwun- gen wird; so, darf ich sagen, wird sie eine vortreff- liche Frau seyn.
Was Herrn Dolemann betrifft: so versucht er es noch immer mit seinem Quacksalber, und hoffet noch immer. Jch muß gestehen, daß, da der letztere ein Mann von Einsicht und Beur- theilungskraft ist, und nicht übereilt handelt, nicht auf bloße Meynungen bauet, oder gar zu leicht glaubet, ich große Hoffnung habe, so wenig ich auch überhaupt von Quacksalbern und Theriacks- krämern halte, daß er ihm Nutzen schaffen werde, wo es seine Umstände nur zulassen wollen. Mei- ne Gründe sind: weil der Mann ihn ordentlich und beständig besucht; mit seinen eignen Augen auf eine jede Veränderung, auf einen jeden neuen Zufall bey seinem Kranken Achtung giebt; seine Arzneymittel verändert, wie sich die Anzeigen ver- ändern; sich nicht an die Regeln bindet, welche die Väter der Kunst festgesetzet haben, die vor vielen hundert Jahren gelebt, da die Krankheiten und die Ursachen derselben, so wohl als die Him- melsgegenden und die zufälligen Umstände eben
so
und Gemuͤthsart. Sie muß ſich bewußt ſeyn, daß ſie uͤber die Haͤlfte von unſerm, und die mei- ſten von ihrem eignen Geſchlechte erhaben iſt. Das mag ſie vielleicht bewegen, einer von Natur geſchwinden und ungedultigen Gemuͤthsart den Zuͤgel ſchießen zu laſſen: allein, wo ſie an ihrem Manne ein gefaͤlliges Nachgeben antrifft; und wer wollte bey einem ſo ſichtbaren Vorzuge nicht nachgeben, wenn es nicht mit Hochmuth erzwun- gen wird; ſo, darf ich ſagen, wird ſie eine vortreff- liche Frau ſeyn.
Was Herrn Dolemann betrifft: ſo verſucht er es noch immer mit ſeinem Quackſalber, und hoffet noch immer. Jch muß geſtehen, daß, da der letztere ein Mann von Einſicht und Beur- theilungskraft iſt, und nicht uͤbereilt handelt, nicht auf bloße Meynungen bauet, oder gar zu leicht glaubet, ich große Hoffnung habe, ſo wenig ich auch uͤberhaupt von Quackſalbern und Theriacks- kraͤmern halte, daß er ihm Nutzen ſchaffen werde, wo es ſeine Umſtaͤnde nur zulaſſen wollen. Mei- ne Gruͤnde ſind: weil der Mann ihn ordentlich und beſtaͤndig beſucht; mit ſeinen eignen Augen auf eine jede Veraͤnderung, auf einen jeden neuen Zufall bey ſeinem Kranken Achtung giebt; ſeine Arzneymittel veraͤndert, wie ſich die Anzeigen ver- aͤndern; ſich nicht an die Regeln bindet, welche die Vaͤter der Kunſt feſtgeſetzet haben, die vor vielen hundert Jahren gelebt, da die Krankheiten und die Urſachen derſelben, ſo wohl als die Him- melsgegenden und die zufaͤlligen Umſtaͤnde eben
ſo
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0840"n="834"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
und Gemuͤthsart. Sie muß ſich bewußt ſeyn,<lb/>
daß ſie uͤber die Haͤlfte von <hirendition="#fr">unſerm,</hi> und die mei-<lb/>ſten von <hirendition="#fr">ihrem eignen</hi> Geſchlechte erhaben iſt.<lb/>
Das mag ſie vielleicht bewegen, einer von Natur<lb/>
geſchwinden und ungedultigen Gemuͤthsart den<lb/>
Zuͤgel ſchießen zu laſſen: allein, wo ſie an ihrem<lb/>
Manne ein gefaͤlliges Nachgeben antrifft; und<lb/>
wer wollte bey einem ſo ſichtbaren Vorzuge nicht<lb/>
nachgeben, wenn es nicht mit Hochmuth erzwun-<lb/>
gen wird; ſo, darf ich ſagen, wird ſie eine vortreff-<lb/>
liche Frau ſeyn.</p><lb/><p>Was Herrn Dolemann betrifft: ſo verſucht<lb/>
er es noch immer mit ſeinem Quackſalber, und<lb/>
hoffet noch immer. Jch muß geſtehen, daß, da<lb/>
der letztere ein Mann von Einſicht und Beur-<lb/>
theilungskraft iſt, und nicht uͤbereilt handelt, nicht<lb/>
auf bloße Meynungen bauet, oder gar zu leicht<lb/>
glaubet, ich große Hoffnung habe, ſo wenig ich<lb/>
auch uͤberhaupt von Quackſalbern und Theriacks-<lb/>
kraͤmern halte, daß er ihm Nutzen ſchaffen werde,<lb/>
wo es ſeine Umſtaͤnde nur zulaſſen wollen. Mei-<lb/>
ne Gruͤnde ſind: weil der Mann ihn <hirendition="#fr">ordentlich</hi><lb/>
und <hirendition="#fr">beſtaͤndig</hi> beſucht; mit ſeinen eignen Augen<lb/>
auf eine jede Veraͤnderung, auf einen jeden neuen<lb/>
Zufall bey ſeinem Kranken Achtung giebt; ſeine<lb/>
Arzneymittel veraͤndert, wie ſich die Anzeigen ver-<lb/>
aͤndern; ſich nicht an die Regeln bindet, welche<lb/>
die Vaͤter der Kunſt feſtgeſetzet haben, die vor<lb/>
vielen hundert Jahren gelebt, da die Krankheiten<lb/>
und die Urſachen derſelben, ſo wohl als die Him-<lb/>
melsgegenden und die zufaͤlligen Umſtaͤnde eben<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ſo</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[834/0840]
und Gemuͤthsart. Sie muß ſich bewußt ſeyn,
daß ſie uͤber die Haͤlfte von unſerm, und die mei-
ſten von ihrem eignen Geſchlechte erhaben iſt.
Das mag ſie vielleicht bewegen, einer von Natur
geſchwinden und ungedultigen Gemuͤthsart den
Zuͤgel ſchießen zu laſſen: allein, wo ſie an ihrem
Manne ein gefaͤlliges Nachgeben antrifft; und
wer wollte bey einem ſo ſichtbaren Vorzuge nicht
nachgeben, wenn es nicht mit Hochmuth erzwun-
gen wird; ſo, darf ich ſagen, wird ſie eine vortreff-
liche Frau ſeyn.
Was Herrn Dolemann betrifft: ſo verſucht
er es noch immer mit ſeinem Quackſalber, und
hoffet noch immer. Jch muß geſtehen, daß, da
der letztere ein Mann von Einſicht und Beur-
theilungskraft iſt, und nicht uͤbereilt handelt, nicht
auf bloße Meynungen bauet, oder gar zu leicht
glaubet, ich große Hoffnung habe, ſo wenig ich
auch uͤberhaupt von Quackſalbern und Theriacks-
kraͤmern halte, daß er ihm Nutzen ſchaffen werde,
wo es ſeine Umſtaͤnde nur zulaſſen wollen. Mei-
ne Gruͤnde ſind: weil der Mann ihn ordentlich
und beſtaͤndig beſucht; mit ſeinen eignen Augen
auf eine jede Veraͤnderung, auf einen jeden neuen
Zufall bey ſeinem Kranken Achtung giebt; ſeine
Arzneymittel veraͤndert, wie ſich die Anzeigen ver-
aͤndern; ſich nicht an die Regeln bindet, welche
die Vaͤter der Kunſt feſtgeſetzet haben, die vor
vielen hundert Jahren gelebt, da die Krankheiten
und die Urſachen derſelben, ſo wohl als die Him-
melsgegenden und die zufaͤlligen Umſtaͤnde eben
ſo
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 834. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/840>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.