Ein Bedienter kam herein, um uns dasjeni- ge zu hinterbringen, was uns das rumpelnde schwe- re Getöse von demselben auf dem innern gepflaster- ten Hofe schon vorher gemeldet hatte.
Er sprach nicht. Er konnte nicht sprechen. Er sahe uns an, bückte sich und ging weg.
Jch trat hinaus. Sonst konnte damals nie- mand einen Fuß aus der Stelle setzen. Jedoch folgte mir ihr Bruder bald nach.
Als ich an die Thür kam, fand ich einen sehr rührenden Anblick.
Sie haben gehört, mein Herr, wie allgemein die Liebe gegen mein Base gewesen war. Von den Armen und Mittelleuten insonderheit ist wohl kein junges Frauenzimmer jemals so sehr geliebet worden. Und das nicht ohne Ursache: denn sie war die gemeinschaftlichere Beschützerinn aller ehr- lichen Armen in ihrer Nachbarschaft.
Es ist uns natürlich bey einer jeden empfind- lichen und aufrichtigen Traurigkeit, alle diejenigen, welche wir kennen, an dem, was uns selbst so na- he gehet, Theil haben zu lassen. Die Bedienten von der Familie, scheint es, hatten ihren Freun- den, und diese wieder den ihrigen erzählt, daß, ob man gleich ihre liebe Fräulein in ihrem Leben nicht hatte aufnehmen noch ansehen wollen, man dennoch erlaubt hatte, ihren Leichnam nach Hause zu bringen. Die Zeit war so eingeschrän- ket, daß diejenigen, welche wußten, wann sie ge- storben war, leichtlich die Zeit ungefähr errathen mußten, da der Leichenwagen kommen würde.
Ein
Ein Bedienter kam herein, um uns dasjeni- ge zu hinterbringen, was uns das rumpelnde ſchwe- re Getoͤſe von demſelben auf dem innern gepflaſter- ten Hofe ſchon vorher gemeldet hatte.
Er ſprach nicht. Er konnte nicht ſprechen. Er ſahe uns an, buͤckte ſich und ging weg.
Jch trat hinaus. Sonſt konnte damals nie- mand einen Fuß aus der Stelle ſetzen. Jedoch folgte mir ihr Bruder bald nach.
Als ich an die Thuͤr kam, fand ich einen ſehr ruͤhrenden Anblick.
Sie haben gehoͤrt, mein Herr, wie allgemein die Liebe gegen mein Baſe geweſen war. Von den Armen und Mittelleuten inſonderheit iſt wohl kein junges Frauenzimmer jemals ſo ſehr geliebet worden. Und das nicht ohne Urſache: denn ſie war die gemeinſchaftlichere Beſchuͤtzerinn aller ehr- lichen Armen in ihrer Nachbarſchaft.
Es iſt uns natuͤrlich bey einer jeden empfind- lichen und aufrichtigen Traurigkeit, alle diejenigen, welche wir kennen, an dem, was uns ſelbſt ſo na- he gehet, Theil haben zu laſſen. Die Bedienten von der Familie, ſcheint es, hatten ihren Freun- den, und dieſe wieder den ihrigen erzaͤhlt, daß, ob man gleich ihre liebe Fraͤulein in ihrem Leben nicht hatte aufnehmen noch anſehen wollen, man dennoch erlaubt hatte, ihren Leichnam nach Hauſe zu bringen. Die Zeit war ſo eingeſchraͤn- ket, daß diejenigen, welche wußten, wann ſie ge- ſtorben war, leichtlich die Zeit ungefaͤhr errathen mußten, da der Leichenwagen kommen wuͤrde.
Ein
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><pbfacs="#f0580"n="574"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p>Ein Bedienter kam herein, um uns dasjeni-<lb/>
ge zu hinterbringen, was uns das rumpelnde ſchwe-<lb/>
re Getoͤſe von demſelben auf dem innern gepflaſter-<lb/>
ten Hofe ſchon vorher gemeldet hatte.</p><lb/><p>Er ſprach nicht. Er konnte nicht ſprechen. Er<lb/>ſahe uns an, buͤckte ſich und ging weg.</p><lb/><p>Jch trat hinaus. Sonſt konnte damals nie-<lb/>
mand einen Fuß aus der Stelle ſetzen. Jedoch<lb/>
folgte mir ihr Bruder bald nach.</p><lb/><p>Als ich an die Thuͤr kam, fand ich einen ſehr<lb/>
ruͤhrenden Anblick.</p><lb/><p>Sie haben gehoͤrt, mein Herr, wie allgemein<lb/>
die Liebe gegen mein Baſe geweſen war. Von<lb/>
den Armen und Mittelleuten inſonderheit iſt wohl<lb/>
kein junges Frauenzimmer jemals ſo ſehr geliebet<lb/>
worden. Und das nicht ohne Urſache: denn ſie<lb/>
war die gemeinſchaftlichere Beſchuͤtzerinn aller ehr-<lb/>
lichen Armen in ihrer Nachbarſchaft.</p><lb/><p>Es iſt uns natuͤrlich bey einer jeden empfind-<lb/>
lichen und aufrichtigen Traurigkeit, alle diejenigen,<lb/>
welche wir kennen, an dem, was uns ſelbſt ſo na-<lb/>
he gehet, Theil haben zu laſſen. Die Bedienten<lb/>
von der Familie, ſcheint es, hatten <hirendition="#fr">ihren</hi> Freun-<lb/>
den, und dieſe wieder den <hirendition="#fr">ihrigen</hi> erzaͤhlt, daß,<lb/>
ob man gleich ihre liebe Fraͤulein in ihrem Leben<lb/>
nicht hatte aufnehmen noch anſehen wollen,<lb/>
man dennoch erlaubt hatte, ihren Leichnam nach<lb/>
Hauſe zu bringen. Die Zeit war ſo eingeſchraͤn-<lb/>
ket, daß diejenigen, welche wußten, wann ſie ge-<lb/>ſtorben war, leichtlich die Zeit ungefaͤhr errathen<lb/>
mußten, da der Leichenwagen kommen wuͤrde.<lb/><fwplace="bottom"type="catch">Ein</fw><lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[574/0580]
Ein Bedienter kam herein, um uns dasjeni-
ge zu hinterbringen, was uns das rumpelnde ſchwe-
re Getoͤſe von demſelben auf dem innern gepflaſter-
ten Hofe ſchon vorher gemeldet hatte.
Er ſprach nicht. Er konnte nicht ſprechen. Er
ſahe uns an, buͤckte ſich und ging weg.
Jch trat hinaus. Sonſt konnte damals nie-
mand einen Fuß aus der Stelle ſetzen. Jedoch
folgte mir ihr Bruder bald nach.
Als ich an die Thuͤr kam, fand ich einen ſehr
ruͤhrenden Anblick.
Sie haben gehoͤrt, mein Herr, wie allgemein
die Liebe gegen mein Baſe geweſen war. Von
den Armen und Mittelleuten inſonderheit iſt wohl
kein junges Frauenzimmer jemals ſo ſehr geliebet
worden. Und das nicht ohne Urſache: denn ſie
war die gemeinſchaftlichere Beſchuͤtzerinn aller ehr-
lichen Armen in ihrer Nachbarſchaft.
Es iſt uns natuͤrlich bey einer jeden empfind-
lichen und aufrichtigen Traurigkeit, alle diejenigen,
welche wir kennen, an dem, was uns ſelbſt ſo na-
he gehet, Theil haben zu laſſen. Die Bedienten
von der Familie, ſcheint es, hatten ihren Freun-
den, und dieſe wieder den ihrigen erzaͤhlt, daß,
ob man gleich ihre liebe Fraͤulein in ihrem Leben
nicht hatte aufnehmen noch anſehen wollen,
man dennoch erlaubt hatte, ihren Leichnam nach
Hauſe zu bringen. Die Zeit war ſo eingeſchraͤn-
ket, daß diejenigen, welche wußten, wann ſie ge-
ſtorben war, leichtlich die Zeit ungefaͤhr errathen
mußten, da der Leichenwagen kommen wuͤrde.
Ein
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 574. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/580>, abgerufen am 18.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.