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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751.

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Hierauf wollte sie aufstehen: allein weil sie
beynahe vor Mattigkeit in Ohnmacht gefallen wä-
re, ward sie genöthigt, sich wieder niederzusetzen
und legte den Kopf an die Lehne ihres Stuhls.
Nach einigen wenigen Augenblicken redete sie uns
an. Jch glaube, meine lieben Freunde, nun
wird alle ihre Unruhe bald vorüber seyn. Jch
habe geschlafen, aber mich dadurch nicht erquicket,
und die Spitzen von meinen Fingern scheinen er-
starrt - - haben kein Gefühl! - - Hiebey hiel-
te sie sie in die Höhe - - Es ist Zeit, den Brief
an meine liebe Fr. Norton abzuschicken.

Soll ich meinen Bedienten damit wegreiten
lassen, gnädige Fräulein?

O nein, mein Herr, ich danke ihnen. Er
wird der lieben Frauen nur allzu bald, wie sie ge-
denken wird, mit der Post zu Händen kommen.

Jch sagte ihr, daß es kein Posttag wäre.

Jst es noch Mittwochen? sprach sie. Gott
sey mir gnädig! Jch weiß nicht, wie die Zeit geht:
aber verdrieslich langsam geht sie, das ist offenbar.
Nun, glaube ich, muß ich mich bald zu Bette be-
geben. Da wird alles auf die anständigste Art
und mit der wenigsten Beschwerde vorüber seyn
- - Nicht wahr, Fr. Lovick? - - Jch denke,
mein Herr - - hier wandte sie sich zu mir - -
ich habe nichts bis auf diese Stunden, die zu allem
so ungeschickt machen, verschoben: nichts, das ich
entweder zu sagen, oder zu thun hätte. Jch dan-
ke Gott, daß ich es nicht gethan habe. Hätte ich
es gethan: wie unglücklich würde ich seyn? Kön-

nen


Hierauf wollte ſie aufſtehen: allein weil ſie
beynahe vor Mattigkeit in Ohnmacht gefallen waͤ-
re, ward ſie genoͤthigt, ſich wieder niederzuſetzen
und legte den Kopf an die Lehne ihres Stuhls.
Nach einigen wenigen Augenblicken redete ſie uns
an. Jch glaube, meine lieben Freunde, nun
wird alle ihre Unruhe bald voruͤber ſeyn. Jch
habe geſchlafen, aber mich dadurch nicht erquicket,
und die Spitzen von meinen Fingern ſcheinen er-
ſtarrt ‒ ‒ haben kein Gefuͤhl! ‒ ‒ Hiebey hiel-
te ſie ſie in die Hoͤhe ‒ ‒ Es iſt Zeit, den Brief
an meine liebe Fr. Norton abzuſchicken.

Soll ich meinen Bedienten damit wegreiten
laſſen, gnaͤdige Fraͤulein?

O nein, mein Herr, ich danke ihnen. Er
wird der lieben Frauen nur allzu bald, wie ſie ge-
denken wird, mit der Poſt zu Haͤnden kommen.

Jch ſagte ihr, daß es kein Poſttag waͤre.

Jſt es noch Mittwochen? ſprach ſie. Gott
ſey mir gnaͤdig! Jch weiß nicht, wie die Zeit geht:
aber verdrieslich langſam geht ſie, das iſt offenbar.
Nun, glaube ich, muß ich mich bald zu Bette be-
geben. Da wird alles auf die anſtaͤndigſte Art
und mit der wenigſten Beſchwerde voruͤber ſeyn
‒ ‒ Nicht wahr, Fr. Lovick? ‒ ‒ Jch denke,
mein Herr ‒ ‒ hier wandte ſie ſich zu mir ‒ ‒
ich habe nichts bis auf dieſe Stunden, die zu allem
ſo ungeſchickt machen, verſchoben: nichts, das ich
entweder zu ſagen, oder zu thun haͤtte. Jch dan-
ke Gott, daß ich es nicht gethan habe. Haͤtte ich
es gethan: wie ungluͤcklich wuͤrde ich ſeyn? Koͤn-

nen
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[429/0435] Hierauf wollte ſie aufſtehen: allein weil ſie beynahe vor Mattigkeit in Ohnmacht gefallen waͤ- re, ward ſie genoͤthigt, ſich wieder niederzuſetzen und legte den Kopf an die Lehne ihres Stuhls. Nach einigen wenigen Augenblicken redete ſie uns an. Jch glaube, meine lieben Freunde, nun wird alle ihre Unruhe bald voruͤber ſeyn. Jch habe geſchlafen, aber mich dadurch nicht erquicket, und die Spitzen von meinen Fingern ſcheinen er- ſtarrt ‒ ‒ haben kein Gefuͤhl! ‒ ‒ Hiebey hiel- te ſie ſie in die Hoͤhe ‒ ‒ Es iſt Zeit, den Brief an meine liebe Fr. Norton abzuſchicken. Soll ich meinen Bedienten damit wegreiten laſſen, gnaͤdige Fraͤulein? O nein, mein Herr, ich danke ihnen. Er wird der lieben Frauen nur allzu bald, wie ſie ge- denken wird, mit der Poſt zu Haͤnden kommen. Jch ſagte ihr, daß es kein Poſttag waͤre. Jſt es noch Mittwochen? ſprach ſie. Gott ſey mir gnaͤdig! Jch weiß nicht, wie die Zeit geht: aber verdrieslich langſam geht ſie, das iſt offenbar. Nun, glaube ich, muß ich mich bald zu Bette be- geben. Da wird alles auf die anſtaͤndigſte Art und mit der wenigſten Beſchwerde voruͤber ſeyn ‒ ‒ Nicht wahr, Fr. Lovick? ‒ ‒ Jch denke, mein Herr ‒ ‒ hier wandte ſie ſich zu mir ‒ ‒ ich habe nichts bis auf dieſe Stunden, die zu allem ſo ungeſchickt machen, verſchoben: nichts, das ich entweder zu ſagen, oder zu thun haͤtte. Jch dan- ke Gott, daß ich es nicht gethan habe. Haͤtte ich es gethan: wie ungluͤcklich wuͤrde ich ſeyn? Koͤn- nen

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 429. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/435>, abgerufen am 22.11.2024.