Sie gedachte der Dunkelheit ihrer Augen, die zugenommen, und des Zitterns, das ihre Glieder befallen hatte. Wo dieß Sterben ist, sagte sie: so ist gar nichts schreckliches darinn. Mein Kör- per fühlet kaum Schmerzen; mein Gemüth ist ruhig; meine Verstandskräfte sind ungeschwächt und so vollkommen, als jemals. Was für einen gütigen und gnädigen Gott habe ich! - - Denn dieß ist es, warum ich allezeit in meinem Gebeth geflehet habe.
Jch erzählte ihr, daß es bey euch nicht so hei- ter wäre.
Es ist nicht eben der Grund dazu vorhan- den, antwortete sie. Es ist ein ungemeiner Trost, Herr Belford, daß ich im Stande bin, wenn ich unsere kurze Geschichte überdenke, zu sagen, ich habe vielmehr selbst Unrecht gelitten, als an- dern gethan. Jch danke Gott; ob ich gleich unglücklich gewesen bin, wie es die Welt nennet, und ich ehedem mehr, als itzo gedacht habe: so habe ich doch keine Seele mit meinem Willen un- glücklich gemacht. Jch habe nicht Ursache um etwas zu trauren, als nur um die Sorge, die ich meinen Freunden gemacht habe.
Allein haben sie die Güte, Herr Belford, und gedenken bey meinem Vetter Morden meiner im Besten. Bitten sie ihn, meine Freunde zu trö- sten, und ihnen vorzustellen, daß alles doch eben so gewesen seyn würde, wenn sie auch meine wah- re Buße angenommen hätten, wie ich wünsche und traue, daß der Allmächtige es gethan habe.
Jch
Sie gedachte der Dunkelheit ihrer Augen, die zugenommen, und des Zitterns, das ihre Glieder befallen hatte. Wo dieß Sterben iſt, ſagte ſie: ſo iſt gar nichts ſchreckliches darinn. Mein Koͤr- per fuͤhlet kaum Schmerzen; mein Gemuͤth iſt ruhig; meine Verſtandskraͤfte ſind ungeſchwaͤcht und ſo vollkommen, als jemals. Was fuͤr einen guͤtigen und gnaͤdigen Gott habe ich! ‒ ‒ Denn dieß iſt es, warum ich allezeit in meinem Gebeth geflehet habe.
Jch erzaͤhlte ihr, daß es bey euch nicht ſo hei- ter waͤre.
Es iſt nicht eben der Grund dazu vorhan- den, antwortete ſie. Es iſt ein ungemeiner Troſt, Herr Belford, daß ich im Stande bin, wenn ich unſere kurze Geſchichte uͤberdenke, zu ſagen, ich habe vielmehr ſelbſt Unrecht gelitten, als an- dern gethan. Jch danke Gott; ob ich gleich ungluͤcklich geweſen bin, wie es die Welt nennet, und ich ehedem mehr, als itzo gedacht habe: ſo habe ich doch keine Seele mit meinem Willen un- gluͤcklich gemacht. Jch habe nicht Urſache um etwas zu trauren, als nur um die Sorge, die ich meinen Freunden gemacht habe.
Allein haben ſie die Guͤte, Herr Belford, und gedenken bey meinem Vetter Morden meiner im Beſten. Bitten ſie ihn, meine Freunde zu troͤ- ſten, und ihnen vorzuſtellen, daß alles doch eben ſo geweſen ſeyn wuͤrde, wenn ſie auch meine wah- re Buße angenommen haͤtten, wie ich wuͤnſche und traue, daß der Allmaͤchtige es gethan habe.
Jch
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Sie gedachte der Dunkelheit ihrer Augen, die
zugenommen, und des Zitterns, das ihre Glieder
befallen hatte. Wo dieß Sterben iſt, ſagte ſie:
ſo iſt gar nichts ſchreckliches darinn. Mein Koͤr-
per fuͤhlet kaum Schmerzen; mein Gemuͤth iſt
ruhig; meine Verſtandskraͤfte ſind ungeſchwaͤcht
und ſo vollkommen, als jemals. Was fuͤr einen
guͤtigen und gnaͤdigen Gott habe ich! ‒ ‒ Denn
dieß iſt es, warum ich allezeit in meinem Gebeth
geflehet habe.
Jch erzaͤhlte ihr, daß es bey euch nicht ſo hei-
ter waͤre.
Es iſt nicht eben der Grund dazu vorhan-
den, antwortete ſie. Es iſt ein ungemeiner Troſt,
Herr Belford, daß ich im Stande bin, wenn ich
unſere kurze Geſchichte uͤberdenke, zu ſagen, ich
habe vielmehr ſelbſt Unrecht gelitten, als an-
dern gethan. Jch danke Gott; ob ich gleich
ungluͤcklich geweſen bin, wie es die Welt nennet,
und ich ehedem mehr, als itzo gedacht habe: ſo
habe ich doch keine Seele mit meinem Willen un-
gluͤcklich gemacht. Jch habe nicht Urſache um
etwas zu trauren, als nur um die Sorge, die ich
meinen Freunden gemacht habe.
Allein haben ſie die Guͤte, Herr Belford, und
gedenken bey meinem Vetter Morden meiner im
Beſten. Bitten ſie ihn, meine Freunde zu troͤ-
ſten, und ihnen vorzuſtellen, daß alles doch eben
ſo geweſen ſeyn wuͤrde, wenn ſie auch meine wah-
re Buße angenommen haͤtten, wie ich wuͤnſche
und traue, daß der Allmaͤchtige es gethan habe.
Jch
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 406. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/412>, abgerufen am 22.11.2024.
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