Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751.

Bild:
<< vorherige Seite


Sie dankte mir für die Nachricht, welche ich
ihr vorigen Abends gegeben hatte. Jch las ihr
aus euren Briefen diejenigen Stellen vor, die ich
ihr vorlesen konnte: und hielte es für eine gute
Probe, den Schaum und das flüchtige Sylbenge-
räusch in denselben von dem, was einen innern
und dauerhaften Werth hätte, zu unterscheiden,
nach dem man es einem Frauenzimmer von so fei-
nem Verstande vorlesen oder nicht vorlesen
könnte. Denn unter sechs Stellen von deinen
Briefen, die ich für angenehm hielte, da ich sie
für mich selbst las, kamen mir viere, als ich sie
ihr vorlesen wollte, wie das abscheulichste Zeug
vor, und brachten mir von deinen Gaben und
meiner eignen Beurtheilungskraft sehr verächtli-
che Begriffe bey.

Es fehlte sehr viel, daß sie sich so, wie ich ge-
than hatte, über den Verdruß wegen einer fehl-
geschlagenen Hoffnung, welchen euch ihr Brief
verursachte, nachdem er erkläret worden, hätte
freuen sollen.

Sie sagte, sie hätte ihr Absehen dabey nur
auf eine unschuldige Allegorie gerichtet, welche,
wenn der Verstand derselben getroffen wäre, euch
eben so wohl zur Lehre und Warnung dienen, als
ihre Hoffnung für die Zeit erfüllen mochte. Es
wäre damit eilfertig zugegangen. Sie besorgte,
es möchte an ihr nicht vollkommen recht seyn.
Allein sie hoffete, daß die Absicht doch die Mittel
wenigstens entschuldigen würde, wo sie dieselben
nicht rechtfertigen könnte. Und hierauf bezeugte

sie


Sie dankte mir fuͤr die Nachricht, welche ich
ihr vorigen Abends gegeben hatte. Jch las ihr
aus euren Briefen diejenigen Stellen vor, die ich
ihr vorleſen konnte: und hielte es fuͤr eine gute
Probe, den Schaum und das fluͤchtige Sylbenge-
raͤuſch in denſelben von dem, was einen innern
und dauerhaften Werth haͤtte, zu unterſcheiden,
nach dem man es einem Frauenzimmer von ſo fei-
nem Verſtande vorleſen oder nicht vorleſen
koͤnnte. Denn unter ſechs Stellen von deinen
Briefen, die ich fuͤr angenehm hielte, da ich ſie
fuͤr mich ſelbſt las, kamen mir viere, als ich ſie
ihr vorleſen wollte, wie das abſcheulichſte Zeug
vor, und brachten mir von deinen Gaben und
meiner eignen Beurtheilungskraft ſehr veraͤchtli-
che Begriffe bey.

Es fehlte ſehr viel, daß ſie ſich ſo, wie ich ge-
than hatte, uͤber den Verdruß wegen einer fehl-
geſchlagenen Hoffnung, welchen euch ihr Brief
verurſachte, nachdem er erklaͤret worden, haͤtte
freuen ſollen.

Sie ſagte, ſie haͤtte ihr Abſehen dabey nur
auf eine unſchuldige Allegorie gerichtet, welche,
wenn der Verſtand derſelben getroffen waͤre, euch
eben ſo wohl zur Lehre und Warnung dienen, als
ihre Hoffnung fuͤr die Zeit erfuͤllen mochte. Es
waͤre damit eilfertig zugegangen. Sie beſorgte,
es moͤchte an ihr nicht vollkommen recht ſeyn.
Allein ſie hoffete, daß die Abſicht doch die Mittel
wenigſtens entſchuldigen wuͤrde, wo ſie dieſelben
nicht rechtfertigen koͤnnte. Und hierauf bezeugte

ſie
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0252" n="246"/>
            <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
            <p>Sie dankte mir fu&#x0364;r die Nachricht, welche ich<lb/>
ihr vorigen Abends gegeben hatte. Jch las ihr<lb/>
aus euren Briefen diejenigen Stellen vor, die ich<lb/>
ihr vorle&#x017F;en <hi rendition="#fr">konnte:</hi> und hielte es fu&#x0364;r eine gute<lb/>
Probe, den Schaum und das flu&#x0364;chtige Sylbenge-<lb/>
ra&#x0364;u&#x017F;ch in den&#x017F;elben von dem, was einen innern<lb/>
und dauerhaften Werth ha&#x0364;tte, zu unter&#x017F;cheiden,<lb/>
nach dem man es einem Frauenzimmer von &#x017F;o fei-<lb/>
nem Ver&#x017F;tande <hi rendition="#fr">vorle&#x017F;en</hi> oder <hi rendition="#fr">nicht</hi> vorle&#x017F;en<lb/>
ko&#x0364;nnte. Denn unter &#x017F;echs Stellen von deinen<lb/>
Briefen, die ich fu&#x0364;r angenehm hielte, da ich &#x017F;ie<lb/>
fu&#x0364;r mich &#x017F;elb&#x017F;t las, kamen mir viere, als ich &#x017F;ie<lb/>
ihr vorle&#x017F;en wollte, wie das ab&#x017F;cheulich&#x017F;te Zeug<lb/>
vor, und brachten mir von deinen Gaben und<lb/>
meiner eignen Beurtheilungskraft &#x017F;ehr vera&#x0364;chtli-<lb/>
che Begriffe bey.</p><lb/>
            <p>Es fehlte &#x017F;ehr viel, daß &#x017F;ie &#x017F;ich &#x017F;o, wie ich ge-<lb/>
than hatte, u&#x0364;ber den Verdruß wegen einer fehl-<lb/>
ge&#x017F;chlagenen Hoffnung, welchen euch ihr Brief<lb/>
verur&#x017F;achte, nachdem er erkla&#x0364;ret worden, ha&#x0364;tte<lb/>
freuen &#x017F;ollen.</p><lb/>
            <p>Sie &#x017F;agte, &#x017F;ie ha&#x0364;tte ihr Ab&#x017F;ehen dabey nur<lb/>
auf eine un&#x017F;chuldige Allegorie gerichtet, welche,<lb/>
wenn der Ver&#x017F;tand der&#x017F;elben getroffen wa&#x0364;re, euch<lb/>
eben &#x017F;o wohl zur Lehre und Warnung dienen, als<lb/>
ihre Hoffnung fu&#x0364;r die Zeit erfu&#x0364;llen mochte. Es<lb/>
wa&#x0364;re damit eilfertig zugegangen. Sie be&#x017F;orgte,<lb/>
es mo&#x0364;chte an <hi rendition="#fr">ihr</hi> nicht vollkommen recht &#x017F;eyn.<lb/>
Allein &#x017F;ie hoffete, daß die Ab&#x017F;icht doch die Mittel<lb/>
wenig&#x017F;tens ent&#x017F;chuldigen wu&#x0364;rde, wo &#x017F;ie die&#x017F;elben<lb/>
nicht rechtfertigen ko&#x0364;nnte. Und hierauf bezeugte<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">&#x017F;ie</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[246/0252] Sie dankte mir fuͤr die Nachricht, welche ich ihr vorigen Abends gegeben hatte. Jch las ihr aus euren Briefen diejenigen Stellen vor, die ich ihr vorleſen konnte: und hielte es fuͤr eine gute Probe, den Schaum und das fluͤchtige Sylbenge- raͤuſch in denſelben von dem, was einen innern und dauerhaften Werth haͤtte, zu unterſcheiden, nach dem man es einem Frauenzimmer von ſo fei- nem Verſtande vorleſen oder nicht vorleſen koͤnnte. Denn unter ſechs Stellen von deinen Briefen, die ich fuͤr angenehm hielte, da ich ſie fuͤr mich ſelbſt las, kamen mir viere, als ich ſie ihr vorleſen wollte, wie das abſcheulichſte Zeug vor, und brachten mir von deinen Gaben und meiner eignen Beurtheilungskraft ſehr veraͤchtli- che Begriffe bey. Es fehlte ſehr viel, daß ſie ſich ſo, wie ich ge- than hatte, uͤber den Verdruß wegen einer fehl- geſchlagenen Hoffnung, welchen euch ihr Brief verurſachte, nachdem er erklaͤret worden, haͤtte freuen ſollen. Sie ſagte, ſie haͤtte ihr Abſehen dabey nur auf eine unſchuldige Allegorie gerichtet, welche, wenn der Verſtand derſelben getroffen waͤre, euch eben ſo wohl zur Lehre und Warnung dienen, als ihre Hoffnung fuͤr die Zeit erfuͤllen mochte. Es waͤre damit eilfertig zugegangen. Sie beſorgte, es moͤchte an ihr nicht vollkommen recht ſeyn. Allein ſie hoffete, daß die Abſicht doch die Mittel wenigſtens entſchuldigen wuͤrde, wo ſie dieſelben nicht rechtfertigen koͤnnte. Und hierauf bezeugte ſie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/252
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 7. Göttingen, 1751, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa07_1751/252>, abgerufen am 13.05.2024.