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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750.

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Jedoch ich erinnere mich eines Entscheidungs-
grundes, den Sie einmal gebrauchten; bey Gele-
genheit eines Vorwurfs, der in Gesellschaft ge-
gen einen vortrefflichen Prediger, welcher keinen
gar vortrefflichen Wandel führte, gemacht wur-
de. Predigen und darnach thun, sagten Sie,
erforderten ganz unterschiedne Gemüthsgaben.
Wenn diese in einer Person vereinigt wären; so
machten sie einen Mann zu einem Heiligen:
gleichwie Witz und Beurtheilungskraft, wenn
sie beysammen wären, einen großen Geist aus-
machten.

Sie entschieden es damals, wie ich mich be-
sinne, sehr artig: aber, halten Sie mich entschul-
digt, meine Werthe, niemals haben Sie es auf
eine mehr überzeugende Art entschieden, als durch
den Theil von Jhrer letzten Aufführung, worüber
ich mich beklage.

Meine Liebe zu Jhnen und meine Beysorge
für Jhre Ehre haben vielleicht verursachet, daß
ich ein wenig auf das härteste geschrieben. Wo-
fern Sie so denken: so schreiben Sie es auf die
gehörige Rechnung; auf die Rechnung dieser
Liebe und dieser Beysorge. Dadurch wird nichts
mehr, als Gerechtigkeit, widerfahren

Jhrer gekränkten und getreuen
A. H.

Postscript.

Meine Mutter wollte sich nicht zufrieden geben,
ohne daß sie selbst meinen Brief läse,
und zwar ehe ich meine Häckchen, wie ich mir

vor-


Jedoch ich erinnere mich eines Entſcheidungs-
grundes, den Sie einmal gebrauchten; bey Gele-
genheit eines Vorwurfs, der in Geſellſchaft ge-
gen einen vortrefflichen Prediger, welcher keinen
gar vortrefflichen Wandel fuͤhrte, gemacht wur-
de. Predigen und darnach thun, ſagten Sie,
erforderten ganz unterſchiedne Gemuͤthsgaben.
Wenn dieſe in einer Perſon vereinigt waͤren; ſo
machten ſie einen Mann zu einem Heiligen:
gleichwie Witz und Beurtheilungskraft, wenn
ſie beyſammen waͤren, einen großen Geiſt aus-
machten.

Sie entſchieden es damals, wie ich mich be-
ſinne, ſehr artig: aber, halten Sie mich entſchul-
digt, meine Werthe, niemals haben Sie es auf
eine mehr uͤberzeugende Art entſchieden, als durch
den Theil von Jhrer letzten Auffuͤhrung, woruͤber
ich mich beklage.

Meine Liebe zu Jhnen und meine Beyſorge
fuͤr Jhre Ehre haben vielleicht verurſachet, daß
ich ein wenig auf das haͤrteſte geſchrieben. Wo-
fern Sie ſo denken: ſo ſchreiben Sie es auf die
gehoͤrige Rechnung; auf die Rechnung dieſer
Liebe und dieſer Beyſorge. Dadurch wird nichts
mehr, als Gerechtigkeit, widerfahren

Jhrer gekraͤnkten und getreuen
A. H.

Poſtſcript.

Meine Mutter wollte ſich nicht zufrieden geben,
ohne daß ſie ſelbſt meinen Brief laͤſe,
und zwar ehe ich meine Haͤckchen, wie ich mir

vor-
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[84/0090] Jedoch ich erinnere mich eines Entſcheidungs- grundes, den Sie einmal gebrauchten; bey Gele- genheit eines Vorwurfs, der in Geſellſchaft ge- gen einen vortrefflichen Prediger, welcher keinen gar vortrefflichen Wandel fuͤhrte, gemacht wur- de. Predigen und darnach thun, ſagten Sie, erforderten ganz unterſchiedne Gemuͤthsgaben. Wenn dieſe in einer Perſon vereinigt waͤren; ſo machten ſie einen Mann zu einem Heiligen: gleichwie Witz und Beurtheilungskraft, wenn ſie beyſammen waͤren, einen großen Geiſt aus- machten. Sie entſchieden es damals, wie ich mich be- ſinne, ſehr artig: aber, halten Sie mich entſchul- digt, meine Werthe, niemals haben Sie es auf eine mehr uͤberzeugende Art entſchieden, als durch den Theil von Jhrer letzten Auffuͤhrung, woruͤber ich mich beklage. Meine Liebe zu Jhnen und meine Beyſorge fuͤr Jhre Ehre haben vielleicht verurſachet, daß ich ein wenig auf das haͤrteſte geſchrieben. Wo- fern Sie ſo denken: ſo ſchreiben Sie es auf die gehoͤrige Rechnung; auf die Rechnung dieſer Liebe und dieſer Beyſorge. Dadurch wird nichts mehr, als Gerechtigkeit, widerfahren Jhrer gekraͤnkten und getreuen A. H. Poſtſcript. Meine Mutter wollte ſich nicht zufrieden geben, ohne daß ſie ſelbſt meinen Brief laͤſe, und zwar ehe ich meine Haͤckchen, wie ich mir vor-

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 84. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/90>, abgerufen am 21.05.2024.