seyn, in Vergleichung mit dem, was Sie vorher gelitten hatten.
O meine theureste Fräulein Clärchen, wie sollen wir wissen, was wir zu bit- ten haben, wenn wir um etwas anderes bit- ten, als daß der göttliche Wille geschehe, und wir uns in denselben gänzlich ergeben mögen! - - Als Sie im neunten, und hernach im eilften Jahre, ein gefährliches Fieber hatten: o! wie unaufhörlich klagten wir alle, wie beteten wir, wie brachten wir unsere Gelübde vor den Thron der Gnaden, damit Sie genesen möchten! Denn unser aller Leben beruhete auf Jhrem Leben - - Wie viel erwünschter würde dennoch itzo, nach dem, was der Ausgang gewiesen hat, son- derlich wo wir Sie bald verlieren müssen, so wohl für Sie als für uns der Erfolg gewesen seyn, wenn wir Sie damals verlohren hätten!
Es ist betrübt zu sagen! Da ich es aber in aufrichtiger Liebe zu Jhnen, und in der völli- gen Ueberzeugung sage, daß wir nicht allemal geschickt sind, für uns selbst die rechte Wahl zu treffen: so hoffe ich, es werde zu entschuldigen seyn; und das um so vielmehr, weil eben diese Betrachtung so wohl Sie als mich natürlicher Weise zur Beruhigung unter den gegenwärtigen Verhängnissen leiten wird. Wir sind ja versi- chert, daß nichts von ungefähr geschehe, und daß aus den schwersten Uebeln, so viel wir wissen, das größte Gut entstehen könne.
Es
ſeyn, in Vergleichung mit dem, was Sie vorher gelitten hatten.
O meine theureſte Fraͤulein Claͤrchen, wie ſollen wir wiſſen, was wir zu bit- ten haben, wenn wir um etwas anderes bit- ten, als daß der goͤttliche Wille geſchehe, und wir uns in denſelben gaͤnzlich ergeben moͤgen! ‒ ‒ Als Sie im neunten, und hernach im eilften Jahre, ein gefaͤhrliches Fieber hatten: o! wie unaufhoͤrlich klagten wir alle, wie beteten wir, wie brachten wir unſere Geluͤbde vor den Thron der Gnaden, damit Sie geneſen moͤchten! Denn unſer aller Leben beruhete auf Jhrem Leben ‒ ‒ Wie viel erwuͤnſchter wuͤrde dennoch itzo, nach dem, was der Ausgang gewieſen hat, ſon- derlich wo wir Sie bald verlieren muͤſſen, ſo wohl fuͤr Sie als fuͤr uns der Erfolg geweſen ſeyn, wenn wir Sie damals verlohren haͤtten!
Es iſt betruͤbt zu ſagen! Da ich es aber in aufrichtiger Liebe zu Jhnen, und in der voͤlli- gen Ueberzeugung ſage, daß wir nicht allemal geſchickt ſind, fuͤr uns ſelbſt die rechte Wahl zu treffen: ſo hoffe ich, es werde zu entſchuldigen ſeyn; und das um ſo vielmehr, weil eben dieſe Betrachtung ſo wohl Sie als mich natuͤrlicher Weiſe zur Beruhigung unter den gegenwaͤrtigen Verhaͤngniſſen leiten wird. Wir ſind ja verſi- chert, daß nichts von ungefaͤhr geſchehe, und daß aus den ſchwerſten Uebeln, ſo viel wir wiſſen, das groͤßte Gut entſtehen koͤnne.
Es
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ſeyn, in Vergleichung mit dem, was Sie vorher
gelitten hatten.
O meine theureſte Fraͤulein Claͤrchen,
wie ſollen wir wiſſen, was wir zu bit-
ten haben, wenn wir um etwas anderes bit-
ten, als daß der goͤttliche Wille geſchehe,
und wir uns in denſelben gaͤnzlich ergeben
moͤgen! ‒ ‒ Als Sie im neunten, und hernach
im eilften Jahre, ein gefaͤhrliches Fieber hatten:
o! wie unaufhoͤrlich klagten wir alle, wie beteten
wir, wie brachten wir unſere Geluͤbde vor den
Thron der Gnaden, damit Sie geneſen moͤchten!
Denn unſer aller Leben beruhete auf Jhrem Leben
‒ ‒ Wie viel erwuͤnſchter wuͤrde dennoch itzo,
nach dem, was der Ausgang gewieſen hat, ſon-
derlich wo wir Sie bald verlieren muͤſſen, ſo
wohl fuͤr Sie als fuͤr uns der Erfolg geweſen
ſeyn, wenn wir Sie damals verlohren haͤtten!
Es iſt betruͤbt zu ſagen! Da ich es aber
in aufrichtiger Liebe zu Jhnen, und in der voͤlli-
gen Ueberzeugung ſage, daß wir nicht allemal
geſchickt ſind, fuͤr uns ſelbſt die rechte Wahl zu
treffen: ſo hoffe ich, es werde zu entſchuldigen
ſeyn; und das um ſo vielmehr, weil eben dieſe
Betrachtung ſo wohl Sie als mich natuͤrlicher
Weiſe zur Beruhigung unter den gegenwaͤrtigen
Verhaͤngniſſen leiten wird. Wir ſind ja verſi-
chert, daß nichts von ungefaͤhr geſchehe, und daß
aus den ſchwerſten Uebeln, ſo viel wir wiſſen, das
groͤßte Gut entſtehen koͤnne.
Es
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 614. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/620>, abgerufen am 22.11.2024.
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