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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750.

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freywillig selbst verabsäumen; wenn ich vor-
setzlich
dem Tode in die Arme rennen sollte, da
ich ihn vermeiden möchte. Der Kerl denkt fälsch-
lich, daß ich dieß thun werde.

Die Vermuthungen eines so kurzsichtigen, ei-
nes so niedriggesinnten Menschen, aber mögen
seyn, was sie wollen: so müssen Sie, meine Wer-
theste, doch den Schluß, welchen ich gefasset ha-
be, niemals diesen, und wo nicht diesen, irgend
einen
andern Mann, zu nehmen, weder einer fin-
stern Gemüthsart, einer Schwermüthigkeit, einer
Verzweifelung, noch einer hitzigen Neigung zu
einem lasterhaften Stolze oder noch weit laster-
haftern Rache beylegen. Jch bin so weit ent-
fernt; das versichere ich, meine wertheste, mei-
ne einzige Geliebte; diesen Vorwurf zu verdie-
nen, daß ich alles thun will, was ich kann, mein
Leben zu verlängern, bis es Gott, in Gnade ge-
gen mich, gefallen wird, dasselbe von mir zu for-
dern. Jch habe Ursache zu denken, daß meine
Strafe nur die verdiente Folge meines Verge-
hens ist, und will ihr nicht entlaufen, sondern den
Himmel bitten, sie mir zu heiligen. Wenn der
natürliche Trieb zu Speise und Trank mir zu
statten kommt, will ich so viel essen und trinken,
als genug ist, die Natur zu erhalten. Sehr we-
nig, wissen Sie, wird dazu hinreichen. Und was
mir meine Aerzte vorzuschreiben für dienlich fin-
den werden, das will ich nehmen: wenn es auch
noch so unangenehm seyn sollte. Kurz, ich will
alles thun, was ich kann, damit ich alle meine

Freun-



freywillig ſelbſt verabſaͤumen; wenn ich vor-
ſetzlich
dem Tode in die Arme rennen ſollte, da
ich ihn vermeiden moͤchte. Der Kerl denkt faͤlſch-
lich, daß ich dieß thun werde.

Die Vermuthungen eines ſo kurzſichtigen, ei-
nes ſo niedriggeſinnten Menſchen, aber moͤgen
ſeyn, was ſie wollen: ſo muͤſſen Sie, meine Wer-
theſte, doch den Schluß, welchen ich gefaſſet ha-
be, niemals dieſen, und wo nicht dieſen, irgend
einen
andern Mann, zu nehmen, weder einer fin-
ſtern Gemuͤthsart, einer Schwermuͤthigkeit, einer
Verzweifelung, noch einer hitzigen Neigung zu
einem laſterhaften Stolze oder noch weit laſter-
haftern Rache beylegen. Jch bin ſo weit ent-
fernt; das verſichere ich, meine wertheſte, mei-
ne einzige Geliebte; dieſen Vorwurf zu verdie-
nen, daß ich alles thun will, was ich kann, mein
Leben zu verlaͤngern, bis es Gott, in Gnade ge-
gen mich, gefallen wird, daſſelbe von mir zu for-
dern. Jch habe Urſache zu denken, daß meine
Strafe nur die verdiente Folge meines Verge-
hens iſt, und will ihr nicht entlaufen, ſondern den
Himmel bitten, ſie mir zu heiligen. Wenn der
natuͤrliche Trieb zu Speiſe und Trank mir zu
ſtatten kommt, will ich ſo viel eſſen und trinken,
als genug iſt, die Natur zu erhalten. Sehr we-
nig, wiſſen Sie, wird dazu hinreichen. Und was
mir meine Aerzte vorzuſchreiben fuͤr dienlich fin-
den werden, das will ich nehmen: wenn es auch
noch ſo unangenehm ſeyn ſollte. Kurz, ich will
alles thun, was ich kann, damit ich alle meine

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[491/0497] freywillig ſelbſt verabſaͤumen; wenn ich vor- ſetzlich dem Tode in die Arme rennen ſollte, da ich ihn vermeiden moͤchte. Der Kerl denkt faͤlſch- lich, daß ich dieß thun werde. Die Vermuthungen eines ſo kurzſichtigen, ei- nes ſo niedriggeſinnten Menſchen, aber moͤgen ſeyn, was ſie wollen: ſo muͤſſen Sie, meine Wer- theſte, doch den Schluß, welchen ich gefaſſet ha- be, niemals dieſen, und wo nicht dieſen, irgend einen andern Mann, zu nehmen, weder einer fin- ſtern Gemuͤthsart, einer Schwermuͤthigkeit, einer Verzweifelung, noch einer hitzigen Neigung zu einem laſterhaften Stolze oder noch weit laſter- haftern Rache beylegen. Jch bin ſo weit ent- fernt; das verſichere ich, meine wertheſte, mei- ne einzige Geliebte; dieſen Vorwurf zu verdie- nen, daß ich alles thun will, was ich kann, mein Leben zu verlaͤngern, bis es Gott, in Gnade ge- gen mich, gefallen wird, daſſelbe von mir zu for- dern. Jch habe Urſache zu denken, daß meine Strafe nur die verdiente Folge meines Verge- hens iſt, und will ihr nicht entlaufen, ſondern den Himmel bitten, ſie mir zu heiligen. Wenn der natuͤrliche Trieb zu Speiſe und Trank mir zu ſtatten kommt, will ich ſo viel eſſen und trinken, als genug iſt, die Natur zu erhalten. Sehr we- nig, wiſſen Sie, wird dazu hinreichen. Und was mir meine Aerzte vorzuſchreiben fuͤr dienlich fin- den werden, das will ich nehmen: wenn es auch noch ſo unangenehm ſeyn ſollte. Kurz, ich will alles thun, was ich kann, damit ich alle meine Freun-

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 491. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/497>, abgerufen am 22.11.2024.