Der sieben und funfzigste Brief von Hrn. Lovelace an Herrn Joh. Belford.
Sonnabends, den 22ten Jul.
Weswegen hassest du mich, Belford? - - Und warum immer mehr und mehr? - - Habe ich mich irgend einer Beleidigung schuldig gemacht, die du nicht vorher gewußt hast? - - Wo das Rührende in der Beredtsamkeit ein solches Herz, als deines, bewegen kann: kann es denn auch die Natur der Sachen ändern? - - Habe ich diesem unvergleichlichen Frauenzimmer nicht allemal eben so viel Gerechtigkeit widerfah- ren lassen, als du ihr nach deinem Herzen, oder sie sich selbst thun kann? - - Was für Unsinn ist denn dein Haß, dein zunehmender Haß: da ich noch beständig entschlossen bin, nach meinem Wort, das ich dir gegeben habe, und nach mei- ner Verpflichtung gegen meine Verwandte, sie zu heyrathen? Aber hasse mich, wie du willst: wenn du nur schreibest. Du kannst mich nicht so sehr hassen, als ich mich selbst hasse. Und gleichwohl weiß ich, wenn du mich wirklich hasse- test, so würdest du dich nicht unterstehen, es mir zu sagen.
Wozu war es aber nöthig, diesen Weibsleu- ten ihre Historie zu erzählen? Sie wird gewiß
nach
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Der ſieben und funfzigſte Brief von Hrn. Lovelace an Herrn Joh. Belford.
Sonnabends, den 22ten Jul.
Weswegen haſſeſt du mich, Belford? ‒ ‒ Und warum immer mehr und mehr? ‒ ‒ Habe ich mich irgend einer Beleidigung ſchuldig gemacht, die du nicht vorher gewußt haſt? ‒ ‒ Wo das Ruͤhrende in der Beredtſamkeit ein ſolches Herz, als deines, bewegen kann: kann es denn auch die Natur der Sachen aͤndern? ‒ ‒ Habe ich dieſem unvergleichlichen Frauenzimmer nicht allemal eben ſo viel Gerechtigkeit widerfah- ren laſſen, als du ihr nach deinem Herzen, oder ſie ſich ſelbſt thun kann? ‒ ‒ Was fuͤr Unſinn iſt denn dein Haß, dein zunehmender Haß: da ich noch beſtaͤndig entſchloſſen bin, nach meinem Wort, das ich dir gegeben habe, und nach mei- ner Verpflichtung gegen meine Verwandte, ſie zu heyrathen? Aber haſſe mich, wie du willſt: wenn du nur ſchreibeſt. Du kannſt mich nicht ſo ſehr haſſen, als ich mich ſelbſt haſſe. Und gleichwohl weiß ich, wenn du mich wirklich haſſe- teſt, ſo wuͤrdeſt du dich nicht unterſtehen, es mir zu ſagen.
Wozu war es aber noͤthig, dieſen Weibsleu- ten ihre Hiſtorie zu erzaͤhlen? Sie wird gewiß
nach
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Der ſieben und funfzigſte Brief
von
Hrn. Lovelace an Herrn Joh. Belford.
Sonnabends, den 22ten Jul.
Weswegen haſſeſt du mich, Belford? ‒ ‒
Und warum immer mehr und mehr? ‒ ‒
Habe ich mich irgend einer Beleidigung ſchuldig
gemacht, die du nicht vorher gewußt haſt? ‒ ‒
Wo das Ruͤhrende in der Beredtſamkeit ein
ſolches Herz, als deines, bewegen kann: kann es
denn auch die Natur der Sachen aͤndern? ‒ ‒
Habe ich dieſem unvergleichlichen Frauenzimmer
nicht allemal eben ſo viel Gerechtigkeit widerfah-
ren laſſen, als du ihr nach deinem Herzen, oder
ſie ſich ſelbſt thun kann? ‒ ‒ Was fuͤr Unſinn
iſt denn dein Haß, dein zunehmender Haß: da
ich noch beſtaͤndig entſchloſſen bin, nach meinem
Wort, das ich dir gegeben habe, und nach mei-
ner Verpflichtung gegen meine Verwandte, ſie zu
heyrathen? Aber haſſe mich, wie du willſt:
wenn du nur ſchreibeſt. Du kannſt mich nicht
ſo ſehr haſſen, als ich mich ſelbſt haſſe. Und
gleichwohl weiß ich, wenn du mich wirklich haſſe-
teſt, ſo wuͤrdeſt du dich nicht unterſtehen, es mir
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 455. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/461>, abgerufen am 22.11.2024.
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