Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite



gebohrner guter Grundsätze, verzeihen sie mir
meine Eitelkeit, die darinn zu liegen scheinet,
da sie sich einbilden, daß ein Gefängniß, Dürf-
tigkeit, oder Mangel, ein rechtgesinntes Gemüth
dahin bringen könne, sich einer vorsetzlichen und
freywilligen Schandthat schuldig zu machen, da-
mit es nur dergleichen Uebel eines kurzen Le-
bens
vermeiden möge.

Darauf wandte sie sich von mir zu dem Fen-
ster, mit einem erhabenen Wesen, das ihren Wor-
ten gemäß war, und deutlich zeigte, daß sie zu
der Zeit mehr Seel, als Leib, war.

Was für eine Großmuth! - - Kein Wun-
der, daß eine so fest gegründete Tugend, alle dei-
ne Künste zu schanden machen konnte - - und
dich nöthigte, damit du dein verfluchtes Ziel er-
langen möchtest, zu denen unnatürlichen Künsten
deine Zuflucht zu nehmen, welche sie ihrer schö-
nen Sinne beraubten.

Die Weibsleute waren über alle Maaße ge-
rühret, Fr. Lovick insonderheit, welche leise zur Fr.
Smithen sagte: Wir haben einen Engel, nicht
ein Frauenzimmer bey uns, Fr. Smithen.

Jch wiederholte mein Erbieten, an einen
oder den andern von ihren Freunden zu schreiben.
Jch eröffnete ihr, daß, da ich mir die Freyheit ge-
nommen, dem Dr. H. von dem grausamen Un-
willen ihrer Anverwandten, als welches ihr mei-
ner Vermuthung nach am meisten auf dem Her-
zen läge, Nachricht zu geben, er vorgeschlagen
hätte, selbst zu schreiben, und ihnen zu melden,

wie



gebohrner guter Grundſaͤtze, verzeihen ſie mir
meine Eitelkeit, die darinn zu liegen ſcheinet,
da ſie ſich einbilden, daß ein Gefaͤngniß, Duͤrf-
tigkeit, oder Mangel, ein rechtgeſinntes Gemuͤth
dahin bringen koͤnne, ſich einer vorſetzlichen und
freywilligen Schandthat ſchuldig zu machen, da-
mit es nur dergleichen Uebel eines kurzen Le-
bens
vermeiden moͤge.

Darauf wandte ſie ſich von mir zu dem Fen-
ſter, mit einem erhabenen Weſen, das ihren Wor-
ten gemaͤß war, und deutlich zeigte, daß ſie zu
der Zeit mehr Seel, als Leib, war.

Was fuͤr eine Großmuth! ‒ ‒ Kein Wun-
der, daß eine ſo feſt gegruͤndete Tugend, alle dei-
ne Kuͤnſte zu ſchanden machen konnte ‒ ‒ und
dich noͤthigte, damit du dein verfluchtes Ziel er-
langen moͤchteſt, zu denen unnatuͤrlichen Kuͤnſten
deine Zuflucht zu nehmen, welche ſie ihrer ſchoͤ-
nen Sinne beraubten.

Die Weibsleute waren uͤber alle Maaße ge-
ruͤhret, Fr. Lovick inſonderheit, welche leiſe zur Fr.
Smithen ſagte: Wir haben einen Engel, nicht
ein Frauenzimmer bey uns, Fr. Smithen.

Jch wiederholte mein Erbieten, an einen
oder den andern von ihren Freunden zu ſchreiben.
Jch eroͤffnete ihr, daß, da ich mir die Freyheit ge-
nommen, dem Dr. H. von dem grauſamen Un-
willen ihrer Anverwandten, als welches ihr mei-
ner Vermuthung nach am meiſten auf dem Her-
zen laͤge, Nachricht zu geben, er vorgeſchlagen
haͤtte, ſelbſt zu ſchreiben, und ihnen zu melden,

wie
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0449" n="443"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
gebohrner guter Grund&#x017F;a&#x0364;tze, verzeihen &#x017F;ie mir<lb/>
meine Eitelkeit, <hi rendition="#fr">die darinn zu liegen &#x017F;cheinet,</hi><lb/>
da &#x017F;ie &#x017F;ich einbilden, daß ein Gefa&#x0364;ngniß, Du&#x0364;rf-<lb/>
tigkeit, oder Mangel, ein rechtge&#x017F;inntes Gemu&#x0364;th<lb/>
dahin bringen ko&#x0364;nne, &#x017F;ich einer vor&#x017F;etzlichen und<lb/>
freywilligen Schandthat &#x017F;chuldig zu machen, da-<lb/>
mit es nur dergleichen <hi rendition="#fr">Uebel eines kurzen Le-<lb/>
bens</hi> vermeiden mo&#x0364;ge.</p><lb/>
          <p>Darauf wandte &#x017F;ie &#x017F;ich von mir zu dem Fen-<lb/>
&#x017F;ter, mit einem erhabenen We&#x017F;en, das ihren Wor-<lb/>
ten gema&#x0364;ß war, und deutlich zeigte, daß &#x017F;ie zu<lb/>
der Zeit mehr Seel, als Leib, war.</p><lb/>
          <p>Was fu&#x0364;r eine Großmuth! &#x2012; &#x2012; Kein Wun-<lb/>
der, daß eine &#x017F;o fe&#x017F;t gegru&#x0364;ndete Tugend, alle dei-<lb/>
ne Ku&#x0364;n&#x017F;te zu &#x017F;chanden machen konnte &#x2012; &#x2012; und<lb/>
dich no&#x0364;thigte, damit du dein verfluchtes Ziel er-<lb/>
langen mo&#x0364;chte&#x017F;t, zu denen unnatu&#x0364;rlichen Ku&#x0364;n&#x017F;ten<lb/>
deine Zuflucht zu nehmen, welche &#x017F;ie ihrer &#x017F;cho&#x0364;-<lb/>
nen Sinne beraubten.</p><lb/>
          <p>Die Weibsleute waren u&#x0364;ber alle Maaße ge-<lb/>
ru&#x0364;hret, Fr. Lovick in&#x017F;onderheit, welche lei&#x017F;e zur Fr.<lb/>
Smithen &#x017F;agte: Wir haben einen Engel, nicht<lb/>
ein Frauenzimmer bey uns, Fr. Smithen.</p><lb/>
          <p>Jch wiederholte mein Erbieten, an einen<lb/>
oder den andern von ihren Freunden zu &#x017F;chreiben.<lb/>
Jch ero&#x0364;ffnete ihr, daß, da ich mir die Freyheit ge-<lb/>
nommen, dem Dr. H. von dem grau&#x017F;amen Un-<lb/>
willen ihrer Anverwandten, als welches ihr mei-<lb/>
ner Vermuthung nach am mei&#x017F;ten auf dem Her-<lb/>
zen la&#x0364;ge, Nachricht zu geben, er vorge&#x017F;chlagen<lb/>
ha&#x0364;tte, &#x017F;elb&#x017F;t zu &#x017F;chreiben, und ihnen zu melden,<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">wie</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[443/0449] gebohrner guter Grundſaͤtze, verzeihen ſie mir meine Eitelkeit, die darinn zu liegen ſcheinet, da ſie ſich einbilden, daß ein Gefaͤngniß, Duͤrf- tigkeit, oder Mangel, ein rechtgeſinntes Gemuͤth dahin bringen koͤnne, ſich einer vorſetzlichen und freywilligen Schandthat ſchuldig zu machen, da- mit es nur dergleichen Uebel eines kurzen Le- bens vermeiden moͤge. Darauf wandte ſie ſich von mir zu dem Fen- ſter, mit einem erhabenen Weſen, das ihren Wor- ten gemaͤß war, und deutlich zeigte, daß ſie zu der Zeit mehr Seel, als Leib, war. Was fuͤr eine Großmuth! ‒ ‒ Kein Wun- der, daß eine ſo feſt gegruͤndete Tugend, alle dei- ne Kuͤnſte zu ſchanden machen konnte ‒ ‒ und dich noͤthigte, damit du dein verfluchtes Ziel er- langen moͤchteſt, zu denen unnatuͤrlichen Kuͤnſten deine Zuflucht zu nehmen, welche ſie ihrer ſchoͤ- nen Sinne beraubten. Die Weibsleute waren uͤber alle Maaße ge- ruͤhret, Fr. Lovick inſonderheit, welche leiſe zur Fr. Smithen ſagte: Wir haben einen Engel, nicht ein Frauenzimmer bey uns, Fr. Smithen. Jch wiederholte mein Erbieten, an einen oder den andern von ihren Freunden zu ſchreiben. Jch eroͤffnete ihr, daß, da ich mir die Freyheit ge- nommen, dem Dr. H. von dem grauſamen Un- willen ihrer Anverwandten, als welches ihr mei- ner Vermuthung nach am meiſten auf dem Her- zen laͤge, Nachricht zu geben, er vorgeſchlagen haͤtte, ſelbſt zu ſchreiben, und ihnen zu melden, wie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/449
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 6. Göttingen, 1750, S. 443. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa06_1750/449>, abgerufen am 23.11.2024.