Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite



Jch sehe deine Verwirrung, Lovelace! Oder
ist es deine Gewissensangst? - - Jch habe nur
eine Bitte an dich; - - die Bitte, die ich so oft
wiederholet habe: - - daß du mir diesen Augen-
blick erlauben wollest, dieß Haus zu verlassen.
So lebe dann wohl, erlaube mir es zu sagen, le-
be ewig wohl! Wie sehr wünschte ich, daß du
derjenigen Glückseligkeit in dieser Welt genießen
mögest, der du mich, so wie aller Freunde, die ich
in derselben habe, beraubet hast!

Und indem sie dieß sagte, flog sie von mir,
und ließ mich in einer so großen Verwirrung,
daß ich nicht wußte, was ich denken, sagen, oder
thun sollte.

Aber Dorcas weckte mich bald wieder auf
- - Wissen sie, mein Herr, rief sie in vollem Lau-
fe, daß meine Fräulein die Treppe hinunter ge-
gangen ist!

Nein, wahrlich! - - Und alsobald flog ich
hinunter und fand sie noch einmal an der Gassen-
thüre, wo sie mit Marichen Horton zankte, daß
sie hinausgelassen seyn wollte.

Sie huschte bey mir vorüber in den Vörder-
saal hinein, flog an das Fenster und versuchte
noch einmal die Vorsetzer aufzuziehen - - Lieben
Leute! Lieben Leute! rief sie.

Jch faßte sie in meine Arme, und hub sie
von dem Fenster weg. Weil mir aber bange
war, ich möchte der reizenden Schönen Leid thun;
reizend war sie selbst in ihrer Wuth: so glitsche
sie mir aus den Armen, und fiel zu Boden. - -

Laß



Jch ſehe deine Verwirrung, Lovelace! Oder
iſt es deine Gewiſſensangſt? ‒ ‒ Jch habe nur
eine Bitte an dich; ‒ ‒ die Bitte, die ich ſo oft
wiederholet habe: ‒ ‒ daß du mir dieſen Augen-
blick erlauben wolleſt, dieß Haus zu verlaſſen.
So lebe dann wohl, erlaube mir es zu ſagen, le-
be ewig wohl! Wie ſehr wuͤnſchte ich, daß du
derjenigen Gluͤckſeligkeit in dieſer Welt genießen
moͤgeſt, der du mich, ſo wie aller Freunde, die ich
in derſelben habe, beraubet haſt!

Und indem ſie dieß ſagte, flog ſie von mir,
und ließ mich in einer ſo großen Verwirrung,
daß ich nicht wußte, was ich denken, ſagen, oder
thun ſollte.

Aber Dorcas weckte mich bald wieder auf
‒ ‒ Wiſſen ſie, mein Herr, rief ſie in vollem Lau-
fe, daß meine Fraͤulein die Treppe hinunter ge-
gangen iſt!

Nein, wahrlich! ‒ ‒ Und alſobald flog ich
hinunter und fand ſie noch einmal an der Gaſſen-
thuͤre, wo ſie mit Marichen Horton zankte, daß
ſie hinausgelaſſen ſeyn wollte.

Sie huſchte bey mir voruͤber in den Voͤrder-
ſaal hinein, flog an das Fenſter und verſuchte
noch einmal die Vorſetzer aufzuziehen ‒ ‒ Lieben
Leute! Lieben Leute! rief ſie.

Jch faßte ſie in meine Arme, und hub ſie
von dem Fenſter weg. Weil mir aber bange
war, ich moͤchte der reizenden Schoͤnen Leid thun;
reizend war ſie ſelbſt in ihrer Wuth: ſo glitſche
ſie mir aus den Armen, und fiel zu Boden. ‒ ‒

Laß
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0770" n="764"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
Jch &#x017F;ehe deine Verwirrung, Lovelace! Oder<lb/>
i&#x017F;t es deine Gewi&#x017F;&#x017F;ensang&#x017F;t? &#x2012; &#x2012; Jch habe nur<lb/>
eine Bitte an dich; &#x2012; &#x2012; die Bitte, die ich &#x017F;o oft<lb/>
wiederholet habe: &#x2012; &#x2012; daß du mir die&#x017F;en Augen-<lb/>
blick erlauben wolle&#x017F;t, dieß Haus zu verla&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
So lebe dann wohl, erlaube mir es zu &#x017F;agen, le-<lb/>
be <hi rendition="#fr">ewig</hi> wohl! Wie &#x017F;ehr wu&#x0364;n&#x017F;chte ich, daß du<lb/>
derjenigen Glu&#x0364;ck&#x017F;eligkeit in die&#x017F;er Welt genießen<lb/>
mo&#x0364;ge&#x017F;t, der du mich, &#x017F;o wie aller Freunde, die ich<lb/>
in der&#x017F;elben habe, beraubet ha&#x017F;t!</p><lb/>
          <p>Und indem &#x017F;ie dieß &#x017F;agte, flog &#x017F;ie von mir,<lb/>
und ließ mich in einer &#x017F;o großen Verwirrung,<lb/>
daß ich nicht wußte, was ich denken, &#x017F;agen, oder<lb/>
thun &#x017F;ollte.</p><lb/>
          <p>Aber Dorcas weckte mich bald wieder auf<lb/>
&#x2012; &#x2012; Wi&#x017F;&#x017F;en &#x017F;ie, mein Herr, rief &#x017F;ie in vollem Lau-<lb/>
fe, daß meine Fra&#x0364;ulein die Treppe hinunter ge-<lb/>
gangen i&#x017F;t!</p><lb/>
          <p>Nein, wahrlich! &#x2012; &#x2012; Und al&#x017F;obald flog ich<lb/>
hinunter und fand &#x017F;ie noch einmal an der Ga&#x017F;&#x017F;en-<lb/>
thu&#x0364;re, wo &#x017F;ie mit Marichen Horton zankte, daß<lb/>
&#x017F;ie hinausgela&#x017F;&#x017F;en &#x017F;eyn wollte.</p><lb/>
          <p>Sie hu&#x017F;chte bey mir voru&#x0364;ber in den Vo&#x0364;rder-<lb/>
&#x017F;aal hinein, flog an das Fen&#x017F;ter und ver&#x017F;uchte<lb/>
noch einmal die Vor&#x017F;etzer aufzuziehen &#x2012; &#x2012; Lieben<lb/>
Leute! Lieben Leute! rief &#x017F;ie.</p><lb/>
          <p>Jch faßte &#x017F;ie in meine Arme, und hub &#x017F;ie<lb/>
von dem Fen&#x017F;ter weg. Weil mir aber bange<lb/>
war, ich mo&#x0364;chte der reizenden Scho&#x0364;nen Leid thun;<lb/>
reizend war &#x017F;ie &#x017F;elb&#x017F;t in ihrer Wuth: &#x017F;o glit&#x017F;che<lb/>
&#x017F;ie mir aus den Armen, und fiel zu Boden. &#x2012; &#x2012;<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">Laß</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[764/0770] Jch ſehe deine Verwirrung, Lovelace! Oder iſt es deine Gewiſſensangſt? ‒ ‒ Jch habe nur eine Bitte an dich; ‒ ‒ die Bitte, die ich ſo oft wiederholet habe: ‒ ‒ daß du mir dieſen Augen- blick erlauben wolleſt, dieß Haus zu verlaſſen. So lebe dann wohl, erlaube mir es zu ſagen, le- be ewig wohl! Wie ſehr wuͤnſchte ich, daß du derjenigen Gluͤckſeligkeit in dieſer Welt genießen moͤgeſt, der du mich, ſo wie aller Freunde, die ich in derſelben habe, beraubet haſt! Und indem ſie dieß ſagte, flog ſie von mir, und ließ mich in einer ſo großen Verwirrung, daß ich nicht wußte, was ich denken, ſagen, oder thun ſollte. Aber Dorcas weckte mich bald wieder auf ‒ ‒ Wiſſen ſie, mein Herr, rief ſie in vollem Lau- fe, daß meine Fraͤulein die Treppe hinunter ge- gangen iſt! Nein, wahrlich! ‒ ‒ Und alſobald flog ich hinunter und fand ſie noch einmal an der Gaſſen- thuͤre, wo ſie mit Marichen Horton zankte, daß ſie hinausgelaſſen ſeyn wollte. Sie huſchte bey mir voruͤber in den Voͤrder- ſaal hinein, flog an das Fenſter und verſuchte noch einmal die Vorſetzer aufzuziehen ‒ ‒ Lieben Leute! Lieben Leute! rief ſie. Jch faßte ſie in meine Arme, und hub ſie von dem Fenſter weg. Weil mir aber bange war, ich moͤchte der reizenden Schoͤnen Leid thun; reizend war ſie ſelbſt in ihrer Wuth: ſo glitſche ſie mir aus den Armen, und fiel zu Boden. ‒ ‒ Laß

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/770
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 764. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/770>, abgerufen am 22.11.2024.