noch dazu keine Ruhe gehabt, und die Augen roth und vom Weinen aufgeschwollen waren. Etwas wunderbares für mich, daß diese schöne Springbrunnen nicht schon lange erschöpfet sind. Jedoch sie ist eine Weibsperson; und ich glaube, die Zergliederer halten dafür, daß die Weibs- leute wässerichtere Köpfe haben, als die Mannspersonen.
Nun, meine Allerliebste, ich hoffe, daß sie itzo den Jnhalt von des Capitain Tomlinsons Briefe durch und durch erwogen haben. Da wir aber so frühe zusammen kommen: so erlauben sie mir, zu bitten, daß sie diesen Tag zu meinem beglück- ten Tage machen.
Sie sahe mich nicht geneigt an. Jhre Stirn war bewolket, als sie hereintrat. Jedoch, da sie mir antworten wollte: nahmen ihre reizen- de Züge ein noch feyerlichers Ansehen an.
Jhre Minen und ihr Gesicht, meine Ge- liebte, sind mir nicht gewogen. Ehe sie reden, erlauben sie mir zu bitten, daß sie alle weitere Verweise vorbeylassen. Denn ich habe ohne das schon eine solche Empfindung von meinem schändlichen Verfahren gegen sie, daß ich nicht weiß, wie ich die Vorwürfe von meinem eigenen Gemüthe ertragen soll.
Jch habe mich bemühet, antwortete sie; da es mir nicht erlaubt ist, sie zu meiden; daß ich eine solche Gemüthsfassung erlangen möchte, in welcher ich sie niemals mehr zu sehen glaubte. Wie lange ich dieselbe behalten möge, kann ich
nicht
noch dazu keine Ruhe gehabt, und die Augen roth und vom Weinen aufgeſchwollen waren. Etwas wunderbares fuͤr mich, daß dieſe ſchoͤne Springbrunnen nicht ſchon lange erſchoͤpfet ſind. Jedoch ſie iſt eine Weibsperſon; und ich glaube, die Zergliederer halten dafuͤr, daß die Weibs- leute waͤſſerichtere Koͤpfe haben, als die Mannsperſonen.
Nun, meine Allerliebſte, ich hoffe, daß ſie itzo den Jnhalt von des Capitain Tomlinſons Briefe durch und durch erwogen haben. Da wir aber ſo fruͤhe zuſammen kommen: ſo erlauben ſie mir, zu bitten, daß ſie dieſen Tag zu meinem begluͤck- ten Tage machen.
Sie ſahe mich nicht geneigt an. Jhre Stirn war bewolket, als ſie hereintrat. Jedoch, da ſie mir antworten wollte: nahmen ihre reizen- de Zuͤge ein noch feyerlichers Anſehen an.
Jhre Minen und ihr Geſicht, meine Ge- liebte, ſind mir nicht gewogen. Ehe ſie reden, erlauben ſie mir zu bitten, daß ſie alle weitere Verweiſe vorbeylaſſen. Denn ich habe ohne das ſchon eine ſolche Empfindung von meinem ſchaͤndlichen Verfahren gegen ſie, daß ich nicht weiß, wie ich die Vorwuͤrfe von meinem eigenen Gemuͤthe ertragen ſoll.
Jch habe mich bemuͤhet, antwortete ſie; da es mir nicht erlaubt iſt, ſie zu meiden; daß ich eine ſolche Gemuͤthsfaſſung erlangen moͤchte, in welcher ich ſie niemals mehr zu ſehen glaubte. Wie lange ich dieſelbe behalten moͤge, kann ich
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noch dazu keine Ruhe gehabt, und die Augen
roth und vom Weinen aufgeſchwollen waren.
Etwas wunderbares fuͤr mich, daß dieſe ſchoͤne
Springbrunnen nicht ſchon lange erſchoͤpfet ſind.
Jedoch ſie iſt eine Weibsperſon; und ich glaube,
die Zergliederer halten dafuͤr, daß die Weibs-
leute waͤſſerichtere Koͤpfe haben, als die
Mannsperſonen.
Nun, meine Allerliebſte, ich hoffe, daß ſie
itzo den Jnhalt von des Capitain Tomlinſons
Briefe durch und durch erwogen haben. Da wir
aber ſo fruͤhe zuſammen kommen: ſo erlauben ſie
mir, zu bitten, daß ſie dieſen Tag zu meinem begluͤck-
ten Tage machen.
Sie ſahe mich nicht geneigt an. Jhre
Stirn war bewolket, als ſie hereintrat. Jedoch,
da ſie mir antworten wollte: nahmen ihre reizen-
de Zuͤge ein noch feyerlichers Anſehen an.
Jhre Minen und ihr Geſicht, meine Ge-
liebte, ſind mir nicht gewogen. Ehe ſie reden,
erlauben ſie mir zu bitten, daß ſie alle weitere
Verweiſe vorbeylaſſen. Denn ich habe ohne
das ſchon eine ſolche Empfindung von meinem
ſchaͤndlichen Verfahren gegen ſie, daß ich nicht
weiß, wie ich die Vorwuͤrfe von meinem eigenen
Gemuͤthe ertragen ſoll.
Jch habe mich bemuͤhet, antwortete ſie; da
es mir nicht erlaubt iſt, ſie zu meiden; daß ich
eine ſolche Gemuͤthsfaſſung erlangen moͤchte, in
welcher ich ſie niemals mehr zu ſehen glaubte.
Wie lange ich dieſelbe behalten moͤge, kann ich
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 756. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/762>, abgerufen am 22.11.2024.
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