die Höhe zu sehen. - - Du siehest mich, da mein Uebel zu groß ist, sich mit Worten ausdrü- cken zu lassen, du siehst mich geruhig genug, den Wunsch zu thun, daß du durch die Regun- gen deines eignen Gewissens ferner beständig ge- quälet werden mögest, bis dich eine kräftige Reue ergreife, damit du nicht alles Recht auf diejeni- ge Barmherzigkeit verscherzest, die du dem ar- men Frauenzimmer nicht erwiesen hast, welches itzo vor dir stehet, und so wohl verdienet hatte, ei- nen treuen Freund zu finden, wo es den ärgsten Feind gefunden hat.
Aber sage mir einmal; denn du hast sonder Zweifel einige Absichten zu verfolgen; sage mir einmal, weil ich in dem schändlichsten Hause eine Gefangene bin, wie ich befinde, und keinen Freund habe, der mich schütze oder rette, was den- kest du aus dem Ueberreste eines Lebens zu ma- chen, das nicht werth ist, erhalten zu werden? Sage mir, ob mir noch mehrere Uebel aufbehal- ten sind; ob du mit dem großen Betrüger, in der Person seiner scheuslichen Unterhändlerinn, in die- sem Hause einen Bund gemachet hast; und ob das Verderben meiner Seele, damit meines Va- ters Fluch erfüllet werden möge, die Siege von einem so schändlichen Bündnisse vollmachen soll? - - Antworte mir - - Sprich, wenn du Herz hast, frey gegen die Person herauszureden, die du unglücklich gemacht hast: sage mir, was ich noch weiter von deiner unmenschlichen Grausamkeit zu leiden habe.
Hier
S s 5
die Hoͤhe zu ſehen. ‒ ‒ Du ſieheſt mich, da mein Uebel zu groß iſt, ſich mit Worten ausdruͤ- cken zu laſſen, du ſiehſt mich geruhig genug, den Wunſch zu thun, daß du durch die Regun- gen deines eignen Gewiſſens ferner beſtaͤndig ge- quaͤlet werden moͤgeſt, bis dich eine kraͤftige Reue ergreife, damit du nicht alles Recht auf diejeni- ge Barmherzigkeit verſcherzeſt, die du dem ar- men Frauenzimmer nicht erwieſen haſt, welches itzo vor dir ſtehet, und ſo wohl verdienet hatte, ei- nen treuen Freund zu finden, wo es den aͤrgſten Feind gefunden hat.
Aber ſage mir einmal; denn du haſt ſonder Zweifel einige Abſichten zu verfolgen; ſage mir einmal, weil ich in dem ſchaͤndlichſten Hauſe eine Gefangene bin, wie ich befinde, und keinen Freund habe, der mich ſchuͤtze oder rette, was den- keſt du aus dem Ueberreſte eines Lebens zu ma- chen, das nicht werth iſt, erhalten zu werden? Sage mir, ob mir noch mehrere Uebel aufbehal- ten ſind; ob du mit dem großen Betruͤger, in der Perſon ſeiner ſcheuslichen Unterhaͤndlerinn, in die- ſem Hauſe einen Bund gemachet haſt; und ob das Verderben meiner Seele, damit meines Va- ters Fluch erfuͤllet werden moͤge, die Siege von einem ſo ſchaͤndlichen Buͤndniſſe vollmachen ſoll? ‒ ‒ Antworte mir ‒ ‒ Sprich, wenn du Herz haſt, frey gegen die Perſon herauszureden, die du ungluͤcklich gemacht haſt: ſage mir, was ich noch weiter von deiner unmenſchlichen Grauſamkeit zu leiden habe.
Hier
S s 5
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0655"n="649"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
die Hoͤhe zu ſehen. ‒‒ Du ſieheſt mich, da mein<lb/>
Uebel zu groß iſt, <hirendition="#fr">ſich mit Worten ausdruͤ-<lb/>
cken zu laſſen,</hi> du ſiehſt mich <hirendition="#fr">geruhig genug,</hi><lb/>
den Wunſch zu thun, daß du durch die Regun-<lb/>
gen deines eignen Gewiſſens ferner beſtaͤndig ge-<lb/>
quaͤlet werden moͤgeſt, bis dich eine kraͤftige Reue<lb/>
ergreife, damit du nicht alles Recht auf <hirendition="#fr">diejeni-<lb/>
ge</hi> Barmherzigkeit verſcherzeſt, die du dem ar-<lb/>
men Frauenzimmer nicht erwieſen haſt, welches<lb/>
itzo vor dir ſtehet, und ſo wohl verdienet hatte, ei-<lb/>
nen treuen Freund zu finden, wo es den aͤrgſten<lb/>
Feind gefunden hat.</p><lb/><p>Aber ſage mir einmal; denn du haſt ſonder<lb/>
Zweifel <hirendition="#fr">einige</hi> Abſichten zu verfolgen; ſage mir<lb/>
einmal, weil ich in dem ſchaͤndlichſten Hauſe eine<lb/>
Gefangene bin, wie ich befinde, und keinen<lb/>
Freund habe, der mich ſchuͤtze oder rette, was den-<lb/>
keſt du aus dem Ueberreſte eines Lebens zu ma-<lb/>
chen, das nicht werth iſt, erhalten zu werden?<lb/>
Sage mir, ob mir noch mehrere Uebel aufbehal-<lb/>
ten ſind; ob du mit dem großen Betruͤger, in der<lb/>
Perſon ſeiner ſcheuslichen Unterhaͤndlerinn, in die-<lb/>ſem Hauſe einen Bund gemachet haſt; und ob<lb/>
das Verderben meiner Seele, damit meines Va-<lb/>
ters Fluch erfuͤllet werden moͤge, die Siege von<lb/>
einem ſo ſchaͤndlichen Buͤndniſſe vollmachen ſoll?<lb/>‒‒ Antworte mir ‒‒ Sprich, wenn du Herz<lb/>
haſt, frey gegen die Perſon herauszureden, die du<lb/>
ungluͤcklich gemacht haſt: ſage mir, was ich noch<lb/><hirendition="#fr">weiter</hi> von deiner unmenſchlichen Grauſamkeit<lb/>
zu leiden habe.</p><lb/><fwplace="bottom"type="sig">S s 5</fw><fwplace="bottom"type="catch">Hier</fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[649/0655]
die Hoͤhe zu ſehen. ‒ ‒ Du ſieheſt mich, da mein
Uebel zu groß iſt, ſich mit Worten ausdruͤ-
cken zu laſſen, du ſiehſt mich geruhig genug,
den Wunſch zu thun, daß du durch die Regun-
gen deines eignen Gewiſſens ferner beſtaͤndig ge-
quaͤlet werden moͤgeſt, bis dich eine kraͤftige Reue
ergreife, damit du nicht alles Recht auf diejeni-
ge Barmherzigkeit verſcherzeſt, die du dem ar-
men Frauenzimmer nicht erwieſen haſt, welches
itzo vor dir ſtehet, und ſo wohl verdienet hatte, ei-
nen treuen Freund zu finden, wo es den aͤrgſten
Feind gefunden hat.
Aber ſage mir einmal; denn du haſt ſonder
Zweifel einige Abſichten zu verfolgen; ſage mir
einmal, weil ich in dem ſchaͤndlichſten Hauſe eine
Gefangene bin, wie ich befinde, und keinen
Freund habe, der mich ſchuͤtze oder rette, was den-
keſt du aus dem Ueberreſte eines Lebens zu ma-
chen, das nicht werth iſt, erhalten zu werden?
Sage mir, ob mir noch mehrere Uebel aufbehal-
ten ſind; ob du mit dem großen Betruͤger, in der
Perſon ſeiner ſcheuslichen Unterhaͤndlerinn, in die-
ſem Hauſe einen Bund gemachet haſt; und ob
das Verderben meiner Seele, damit meines Va-
ters Fluch erfuͤllet werden moͤge, die Siege von
einem ſo ſchaͤndlichen Buͤndniſſe vollmachen ſoll?
‒ ‒ Antworte mir ‒ ‒ Sprich, wenn du Herz
haſt, frey gegen die Perſon herauszureden, die du
ungluͤcklich gemacht haſt: ſage mir, was ich noch
weiter von deiner unmenſchlichen Grauſamkeit
zu leiden habe.
Hier
S s 5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 649. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/655>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.