Anblick wird mir dieses verstatten: wenn ich ihr dreist in die niedergeschlagenen Augen sehe!
Eben den Augenblick sagt mir Dorcas, sie glaube, daß meine Geliebte komme, mich zu su- chen. Sie hätte nach mir gefragt, und, wie Dorcas von ihr gegangen wäre, ihre rothgeschwol- lene Augen vor dem Spiegel ausgetrocknet. Sie hat gewiß nicht die Absicht, mich durch ihre Thrä- nen zu bewegen. Jedoch hat sie dabey merklich genug über meinen unbeweglichen Muth geseuf- zet. Warum bin ich aber so weit gegangen: wo ich nun meine Hauptabsicht nicht verfolge? - - Allzu große und zärtliche Bedenklichkeit muß ein wenig vertrieben werden. Sie weiß das ärgste. Daß sie mich nicht fliehen kann; daß sie mich sehen und sprechen muß, daß ich sie durch meine Blicke in eine angenehme Verwirrung zu setzen vermögend bin: das sind alles Umstände, die für mich sehr vortheilhaft sind. Was kann sie mehr thun, als wunderlich reden und ausru- fen? Jch bin schon gewohnt wunderliche Reden und Ausrufungen zu hören - - Allein, wo sie sich wieder erholet hat: so werde ich sehen, wie sie sich nach dem, was sie gelitten, bey dieser un- serer ersten Zusammenkunft, bey welcher sie ihrer Sinne mächtig ist, bezeiget.
Da kommt sie! - -
Der
Anblick wird mir dieſes verſtatten: wenn ich ihr dreiſt in die niedergeſchlagenen Augen ſehe!
Eben den Augenblick ſagt mir Dorcas, ſie glaube, daß meine Geliebte komme, mich zu ſu- chen. Sie haͤtte nach mir gefragt, und, wie Dorcas von ihr gegangen waͤre, ihre rothgeſchwol- lene Augen vor dem Spiegel ausgetrocknet. Sie hat gewiß nicht die Abſicht, mich durch ihre Thraͤ- nen zu bewegen. Jedoch hat ſie dabey merklich genug uͤber meinen unbeweglichen Muth geſeuf- zet. Warum bin ich aber ſo weit gegangen: wo ich nun meine Hauptabſicht nicht verfolge? ‒ ‒ Allzu große und zaͤrtliche Bedenklichkeit muß ein wenig vertrieben werden. Sie weiß das aͤrgſte. Daß ſie mich nicht fliehen kann; daß ſie mich ſehen und ſprechen muß, daß ich ſie durch meine Blicke in eine angenehme Verwirrung zu ſetzen vermoͤgend bin: das ſind alles Umſtaͤnde, die fuͤr mich ſehr vortheilhaft ſind. Was kann ſie mehr thun, als wunderlich reden und ausru- fen? Jch bin ſchon gewohnt wunderliche Reden und Ausrufungen zu hoͤren ‒ ‒ Allein, wo ſie ſich wieder erholet hat: ſo werde ich ſehen, wie ſie ſich nach dem, was ſie gelitten, bey dieſer un- ſerer erſten Zuſammenkunft, bey welcher ſie ihrer Sinne maͤchtig iſt, bezeiget.
Da kommt ſie! ‒ ‒
Der
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Anblick wird mir dieſes verſtatten: wenn ich ihr
dreiſt in die niedergeſchlagenen Augen ſehe!
Eben den Augenblick ſagt mir Dorcas, ſie
glaube, daß meine Geliebte komme, mich zu ſu-
chen. Sie haͤtte nach mir gefragt, und, wie
Dorcas von ihr gegangen waͤre, ihre rothgeſchwol-
lene Augen vor dem Spiegel ausgetrocknet. Sie
hat gewiß nicht die Abſicht, mich durch ihre Thraͤ-
nen zu bewegen. Jedoch hat ſie dabey merklich
genug uͤber meinen unbeweglichen Muth geſeuf-
zet. Warum bin ich aber ſo weit gegangen:
wo ich nun meine Hauptabſicht nicht verfolge?
‒ ‒ Allzu große und zaͤrtliche Bedenklichkeit muß
ein wenig vertrieben werden. Sie weiß das
aͤrgſte. Daß ſie mich nicht fliehen kann; daß
ſie mich ſehen und ſprechen muß, daß ich ſie durch
meine Blicke in eine angenehme Verwirrung zu
ſetzen vermoͤgend bin: das ſind alles Umſtaͤnde,
die fuͤr mich ſehr vortheilhaft ſind. Was kann
ſie mehr thun, als wunderlich reden und ausru-
fen? Jch bin ſchon gewohnt wunderliche Reden
und Ausrufungen zu hoͤren ‒ ‒ Allein, wo ſie
ſich wieder erholet hat: ſo werde ich ſehen, wie
ſie ſich nach dem, was ſie gelitten, bey dieſer un-
ſerer erſten Zuſammenkunft, bey welcher ſie ihrer
Sinne maͤchtig iſt, bezeiget.
Da kommt ſie! ‒ ‒
Der
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 644. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/650>, abgerufen am 21.11.2024.
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