Daher rühret mein Kummer - - Denn ich denke, daß man mit der armen Fräulein nicht so hätte handeln sollen. Arme Fräulein, sagte ich? - - Was habe ich mit deiner kriechenden Schreibart zu thun? - - Bin ich aber dabey nicht am schlechtesten daran: indem ihre Unem- pfindlichkeit verursachet hat, daß ich meine Freu- de nur gestohlen?
Jch war nicht willens, dir etwas von dieser kleinen und unschuldigen List; denn so, dachte ich, sollte sie seyn; zu erzählen. Allein ich hasse ein verstecktes Wesen: vornehmlich gegen dich. Da ich es auch nicht vermeiden kann, ernsthafter zu schreiben, als unter uns gewöhnlich ist: so würdest du dir vielleicht eingebildet haben, wenn ich dir nicht die wahre Ursache angegeben hät- te, daß mir die That selbst leid wäre. Dieß würde dir viele Mühe gemacht haben, albernes Zeug zusammenzuschmieren, damit du mich be- redetest, durch die Ehe es wieder gut zu machen: und mir würde es auch Mühe verursachet haben, deinen rohen Unsinn zu lesen. Außerdem hättest du einmal, wenn ich es nicht gestanden hätte, mit schlimmern Zusätzen davon hören können. Jch weiß, du hast eine so hohe Meynung von der Tugend dieser Fräulein, daß du verlegen seyn würdest, wenn du Ursache haben solltest zu glau- ben, daß sie durch ihre eigne Einwilligung, oder irgend das geringste Nachgeben, in Ansehung ihres Willens, überwunden wäre. Und so ist sie mir gewissermaßen verpflichtet, daß sie auf Ko-
sten
Daher ruͤhret mein Kummer ‒ ‒ Denn ich denke, daß man mit der armen Fraͤulein nicht ſo haͤtte handeln ſollen. Arme Fraͤulein, ſagte ich? ‒ ‒ Was habe ich mit deiner kriechenden Schreibart zu thun? ‒ ‒ Bin ich aber dabey nicht am ſchlechteſten daran: indem ihre Unem- pfindlichkeit verurſachet hat, daß ich meine Freu- de nur geſtohlen?
Jch war nicht willens, dir etwas von dieſer kleinen und unſchuldigen Liſt; denn ſo, dachte ich, ſollte ſie ſeyn; zu erzaͤhlen. Allein ich haſſe ein verſtecktes Weſen: vornehmlich gegen dich. Da ich es auch nicht vermeiden kann, ernſthafter zu ſchreiben, als unter uns gewoͤhnlich iſt: ſo wuͤrdeſt du dir vielleicht eingebildet haben, wenn ich dir nicht die wahre Urſache angegeben haͤt- te, daß mir die That ſelbſt leid waͤre. Dieß wuͤrde dir viele Muͤhe gemacht haben, albernes Zeug zuſammenzuſchmieren, damit du mich be- redeteſt, durch die Ehe es wieder gut zu machen: und mir wuͤrde es auch Muͤhe verurſachet haben, deinen rohen Unſinn zu leſen. Außerdem haͤtteſt du einmal, wenn ich es nicht geſtanden haͤtte, mit ſchlimmern Zuſaͤtzen davon hoͤren koͤnnen. Jch weiß, du haſt eine ſo hohe Meynung von der Tugend dieſer Fraͤulein, daß du verlegen ſeyn wuͤrdeſt, wenn du Urſache haben ſollteſt zu glau- ben, daß ſie durch ihre eigne Einwilligung, oder irgend das geringſte Nachgeben, in Anſehung ihres Willens, uͤberwunden waͤre. Und ſo iſt ſie mir gewiſſermaßen verpflichtet, daß ſie auf Ko-
ſten
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0616"n="610"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p>Daher ruͤhret mein Kummer ‒‒ Denn ich<lb/>
denke, daß man mit der armen Fraͤulein nicht ſo<lb/>
haͤtte handeln ſollen. <hirendition="#fr">Arme Fraͤulein,</hi>ſagte<lb/>
ich? ‒‒ Was habe ich mit deiner kriechenden<lb/>
Schreibart zu thun? ‒‒ Bin ich aber dabey<lb/>
nicht am ſchlechteſten daran: indem ihre Unem-<lb/>
pfindlichkeit verurſachet hat, daß ich meine Freu-<lb/>
de nur geſtohlen?</p><lb/><p>Jch war nicht willens, dir etwas von dieſer<lb/>
kleinen und <hirendition="#fr">unſchuldigen</hi> Liſt; denn ſo, dachte<lb/>
ich, ſollte ſie ſeyn; zu erzaͤhlen. Allein ich haſſe<lb/>
ein verſtecktes Weſen: vornehmlich gegen dich.<lb/>
Da ich es auch nicht vermeiden kann, ernſthafter<lb/>
zu ſchreiben, als unter uns gewoͤhnlich iſt: ſo<lb/>
wuͤrdeſt du dir vielleicht eingebildet haben, wenn<lb/>
ich dir nicht die wahre Urſache angegeben haͤt-<lb/>
te, daß mir die That ſelbſt leid waͤre. Dieß<lb/>
wuͤrde <hirendition="#fr">dir</hi> viele Muͤhe gemacht haben, albernes<lb/>
Zeug zuſammenzuſchmieren, damit du mich be-<lb/>
redeteſt, durch die Ehe es wieder gut zu machen:<lb/>
und <hirendition="#fr">mir</hi> wuͤrde es auch Muͤhe verurſachet haben,<lb/>
deinen rohen Unſinn zu leſen. Außerdem haͤtteſt<lb/>
du einmal, wenn ich es nicht geſtanden haͤtte, mit<lb/>ſchlimmern Zuſaͤtzen davon hoͤren koͤnnen. Jch<lb/>
weiß, du haſt eine ſo hohe Meynung von der<lb/>
Tugend dieſer Fraͤulein, daß du verlegen ſeyn<lb/>
wuͤrdeſt, wenn du Urſache haben ſollteſt zu glau-<lb/>
ben, daß ſie durch <hirendition="#fr">ihre eigne</hi> Einwilligung, oder<lb/>
irgend das <hirendition="#fr">geringſte</hi> Nachgeben, in Anſehung<lb/>
ihres Willens, uͤberwunden waͤre. Und ſo iſt ſie<lb/>
mir gewiſſermaßen verpflichtet, daß ſie auf Ko-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ſten</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[610/0616]
Daher ruͤhret mein Kummer ‒ ‒ Denn ich
denke, daß man mit der armen Fraͤulein nicht ſo
haͤtte handeln ſollen. Arme Fraͤulein, ſagte
ich? ‒ ‒ Was habe ich mit deiner kriechenden
Schreibart zu thun? ‒ ‒ Bin ich aber dabey
nicht am ſchlechteſten daran: indem ihre Unem-
pfindlichkeit verurſachet hat, daß ich meine Freu-
de nur geſtohlen?
Jch war nicht willens, dir etwas von dieſer
kleinen und unſchuldigen Liſt; denn ſo, dachte
ich, ſollte ſie ſeyn; zu erzaͤhlen. Allein ich haſſe
ein verſtecktes Weſen: vornehmlich gegen dich.
Da ich es auch nicht vermeiden kann, ernſthafter
zu ſchreiben, als unter uns gewoͤhnlich iſt: ſo
wuͤrdeſt du dir vielleicht eingebildet haben, wenn
ich dir nicht die wahre Urſache angegeben haͤt-
te, daß mir die That ſelbſt leid waͤre. Dieß
wuͤrde dir viele Muͤhe gemacht haben, albernes
Zeug zuſammenzuſchmieren, damit du mich be-
redeteſt, durch die Ehe es wieder gut zu machen:
und mir wuͤrde es auch Muͤhe verurſachet haben,
deinen rohen Unſinn zu leſen. Außerdem haͤtteſt
du einmal, wenn ich es nicht geſtanden haͤtte, mit
ſchlimmern Zuſaͤtzen davon hoͤren koͤnnen. Jch
weiß, du haſt eine ſo hohe Meynung von der
Tugend dieſer Fraͤulein, daß du verlegen ſeyn
wuͤrdeſt, wenn du Urſache haben ſollteſt zu glau-
ben, daß ſie durch ihre eigne Einwilligung, oder
irgend das geringſte Nachgeben, in Anſehung
ihres Willens, uͤberwunden waͤre. Und ſo iſt ſie
mir gewiſſermaßen verpflichtet, daß ſie auf Ko-
ſten
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 610. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/616>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.