Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750.

Bild:
<< vorherige Seite



bende Knie ihr die gewöhnlichen Dienste zu ver-
sagen: sie fiel in den nächsten Stuhl, und ihr
liebreizendes Antlitz sunk auf ihre Schultern;
nicht anders, als wenn es einen Ort suchte, sich
zu verbergen, wozu der Mutter Schooß sich am
besten geschickt hätte.

Jn dem Augenblicke vergaß ich alle meine
Gelübde mich zu rächen. Jch warf mich zu ih-
ren Füßen, wie sie da saß. Jch erhaschte ihre
Hand und drückte sie an meine Lippen. Jch bat
den Himmel mir meine vorige Schuld zu verge-
ben und meine künftige Hoffnung zu segnen: da
ich ehrliche und gerechte Gesinnungen gegen die
bezaubernde Gebieterinn meines Herzens hegete;
wo sie mir nur noch einmal ihre Gunst wieder
schenken wollte. Es kam mir vor, als wenn
ich Tropfen von siedendem Wasser fühlte; konn-
ten das wohl Thränen seyn? Die auf meine Wan-
gen herunter triefeten: da diese unterdessen, wie
Feuer, glüheten, und die ungebetenen Gäste durch
die Hitze zu verzehren schienen.

Jch stand also auf: weil ich nicht mehr zwei-
felte, daß in dieser stummen Verwirrung eine
Verzeihung für mich läge. Jch richtete den Ca-
pitain auf, und sagte ihm ins Ohr: bey meiner
Seele, Kerl, es ist mein Ernst - Nun schwatze
von Versöhnung, von ihrem Onkel, von dem
Trauschein, von der Ehestiftung - - Ja ich er-
hob selbst meine Stimme. Wenn nun endlich
mein Engel mir erlauben will, Herr Capitain,
ein so großes Gut mein Eigenthum zu nennen:

so
G g 4



bende Knie ihr die gewoͤhnlichen Dienſte zu ver-
ſagen: ſie fiel in den naͤchſten Stuhl, und ihr
liebreizendes Antlitz ſunk auf ihre Schultern;
nicht anders, als wenn es einen Ort ſuchte, ſich
zu verbergen, wozu der Mutter Schooß ſich am
beſten geſchickt haͤtte.

Jn dem Augenblicke vergaß ich alle meine
Geluͤbde mich zu raͤchen. Jch warf mich zu ih-
ren Fuͤßen, wie ſie da ſaß. Jch erhaſchte ihre
Hand und druͤckte ſie an meine Lippen. Jch bat
den Himmel mir meine vorige Schuld zu verge-
ben und meine kuͤnftige Hoffnung zu ſegnen: da
ich ehrliche und gerechte Geſinnungen gegen die
bezaubernde Gebieterinn meines Herzens hegete;
wo ſie mir nur noch einmal ihre Gunſt wieder
ſchenken wollte. Es kam mir vor, als wenn
ich Tropfen von ſiedendem Waſſer fuͤhlte; konn-
ten das wohl Thraͤnen ſeyn? Die auf meine Wan-
gen herunter triefeten: da dieſe unterdeſſen, wie
Feuer, gluͤheten, und die ungebetenen Gaͤſte durch
die Hitze zu verzehren ſchienen.

Jch ſtand alſo auf: weil ich nicht mehr zwei-
felte, daß in dieſer ſtummen Verwirrung eine
Verzeihung fuͤr mich laͤge. Jch richtete den Ca-
pitain auf, und ſagte ihm ins Ohr: bey meiner
Seele, Kerl, es iſt mein Ernſt ‒ Nun ſchwatze
von Verſoͤhnung, von ihrem Onkel, von dem
Trauſchein, von der Eheſtiftung ‒ ‒ Ja ich er-
hob ſelbſt meine Stimme. Wenn nun endlich
mein Engel mir erlauben will, Herr Capitain,
ein ſo großes Gut mein Eigenthum zu nennen:

ſo
G g 4
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0477" n="471"/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
bende Knie ihr die gewo&#x0364;hnlichen Dien&#x017F;te zu ver-<lb/>
&#x017F;agen: &#x017F;ie fiel in den na&#x0364;ch&#x017F;ten Stuhl, und ihr<lb/>
liebreizendes Antlitz &#x017F;unk auf ihre Schultern;<lb/>
nicht anders, als wenn es einen Ort &#x017F;uchte, &#x017F;ich<lb/>
zu verbergen, wozu der Mutter Schooß &#x017F;ich am<lb/>
be&#x017F;ten ge&#x017F;chickt ha&#x0364;tte.</p><lb/>
          <p>Jn dem Augenblicke vergaß ich alle meine<lb/>
Gelu&#x0364;bde mich zu ra&#x0364;chen. Jch warf mich zu ih-<lb/>
ren Fu&#x0364;ßen, wie &#x017F;ie da &#x017F;aß. Jch erha&#x017F;chte ihre<lb/>
Hand und dru&#x0364;ckte &#x017F;ie an meine Lippen. Jch bat<lb/>
den Himmel mir meine vorige Schuld zu verge-<lb/>
ben und meine ku&#x0364;nftige Hoffnung zu &#x017F;egnen: da<lb/>
ich ehrliche und gerechte Ge&#x017F;innungen gegen die<lb/>
bezaubernde Gebieterinn meines Herzens hegete;<lb/>
wo &#x017F;ie mir nur noch einmal ihre Gun&#x017F;t wieder<lb/>
&#x017F;chenken wollte. Es kam mir vor, als wenn<lb/>
ich Tropfen von &#x017F;iedendem Wa&#x017F;&#x017F;er fu&#x0364;hlte; konn-<lb/>
ten das wohl Thra&#x0364;nen &#x017F;eyn? Die auf meine Wan-<lb/>
gen herunter triefeten: da die&#x017F;e unterde&#x017F;&#x017F;en, wie<lb/>
Feuer, glu&#x0364;heten, und die ungebetenen Ga&#x0364;&#x017F;te durch<lb/>
die Hitze zu verzehren &#x017F;chienen.</p><lb/>
          <p>Jch &#x017F;tand al&#x017F;o auf: weil ich nicht mehr zwei-<lb/>
felte, daß in die&#x017F;er &#x017F;tummen Verwirrung eine<lb/>
Verzeihung fu&#x0364;r mich la&#x0364;ge. Jch richtete den Ca-<lb/>
pitain auf, und &#x017F;agte ihm ins Ohr: bey meiner<lb/>
Seele, Kerl, es i&#x017F;t mein Ern&#x017F;t &#x2012; Nun &#x017F;chwatze<lb/>
von Ver&#x017F;o&#x0364;hnung, von ihrem Onkel, von dem<lb/>
Trau&#x017F;chein, von der Ehe&#x017F;tiftung &#x2012; &#x2012; Ja ich er-<lb/>
hob &#x017F;elb&#x017F;t meine Stimme. Wenn nun endlich<lb/>
mein Engel mir erlauben will, Herr Capitain,<lb/>
ein &#x017F;o großes Gut mein Eigenthum zu nennen:<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">G g 4</fw><fw place="bottom" type="catch">&#x017F;o</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[471/0477] bende Knie ihr die gewoͤhnlichen Dienſte zu ver- ſagen: ſie fiel in den naͤchſten Stuhl, und ihr liebreizendes Antlitz ſunk auf ihre Schultern; nicht anders, als wenn es einen Ort ſuchte, ſich zu verbergen, wozu der Mutter Schooß ſich am beſten geſchickt haͤtte. Jn dem Augenblicke vergaß ich alle meine Geluͤbde mich zu raͤchen. Jch warf mich zu ih- ren Fuͤßen, wie ſie da ſaß. Jch erhaſchte ihre Hand und druͤckte ſie an meine Lippen. Jch bat den Himmel mir meine vorige Schuld zu verge- ben und meine kuͤnftige Hoffnung zu ſegnen: da ich ehrliche und gerechte Geſinnungen gegen die bezaubernde Gebieterinn meines Herzens hegete; wo ſie mir nur noch einmal ihre Gunſt wieder ſchenken wollte. Es kam mir vor, als wenn ich Tropfen von ſiedendem Waſſer fuͤhlte; konn- ten das wohl Thraͤnen ſeyn? Die auf meine Wan- gen herunter triefeten: da dieſe unterdeſſen, wie Feuer, gluͤheten, und die ungebetenen Gaͤſte durch die Hitze zu verzehren ſchienen. Jch ſtand alſo auf: weil ich nicht mehr zwei- felte, daß in dieſer ſtummen Verwirrung eine Verzeihung fuͤr mich laͤge. Jch richtete den Ca- pitain auf, und ſagte ihm ins Ohr: bey meiner Seele, Kerl, es iſt mein Ernſt ‒ Nun ſchwatze von Verſoͤhnung, von ihrem Onkel, von dem Trauſchein, von der Eheſtiftung ‒ ‒ Ja ich er- hob ſelbſt meine Stimme. Wenn nun endlich mein Engel mir erlauben will, Herr Capitain, ein ſo großes Gut mein Eigenthum zu nennen: ſo G g 4

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/477
Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 471. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/477>, abgerufen am 22.11.2024.