Glauben sie nur nicht, daß ich mit mir selbst und mit ihnen spiele, und bloß nöthig habe, beredet zu werden, daß ich ihm vergebe und die seinige werde - - Es ist keine Person auf der Welt von meinem Geschlechte, die offenherziger und freymüthiger gewesen seyn würde, als ich von dem Augenblicke an, da ich die Absicht gehabt die seinige zu werden, gewesen wäre, wenn ich mit einem Herzen, wie mein eignes ist, zu thun gehabt hätte. Jch darf ohne Bedenken sagen, mein Herr, daß ich allezeit viel zu erhabne Ge- sinnungen geheget habe, ein verstecktes We- sen anzunehmen, wo ich keine Ursache zu zwei- feln gehabt. Des Herrn Lovelace Bezeigen hat gemacht, daß ich vielleicht von einer übertriebe- nen Bedenklichkeit geschienen: da doch mein Herz nur aufgemuntert und versichert werden durfte, und alsdenn, wenn das geschehen wäre, meine ganze Aufführung dadurch würde regieret worden seyn.
Sie hielte hierauf inne und hatte das Schnupftuch an den Augen. Jch habe mich nach allen Kleinigkeiten in ihrem Betragen so wohl, als nach ihrem Worten, erkundiget. Du weißt, ich mag gern die menschliche Natur und vornehmlich an den Frauenzimmern, in ihren verborgensten Winkeln aufsuchen.
Der jämmerliche Kerl verlohr sich selbst in stil- ler Bewunderung der Fräulein. Diese edle Schöne fuhr also fort zu reden.
Es
Fünfter Theil. G g
Glauben ſie nur nicht, daß ich mit mir ſelbſt und mit ihnen ſpiele, und bloß noͤthig habe, beredet zu werden, daß ich ihm vergebe und die ſeinige werde ‒ ‒ Es iſt keine Perſon auf der Welt von meinem Geſchlechte, die offenherziger und freymuͤthiger geweſen ſeyn wuͤrde, als ich von dem Augenblicke an, da ich die Abſicht gehabt die ſeinige zu werden, geweſen waͤre, wenn ich mit einem Herzen, wie mein eignes iſt, zu thun gehabt haͤtte. Jch darf ohne Bedenken ſagen, mein Herr, daß ich allezeit viel zu erhabne Ge- ſinnungen geheget habe, ein verſtecktes We- ſen anzunehmen, wo ich keine Urſache zu zwei- feln gehabt. Des Herrn Lovelace Bezeigen hat gemacht, daß ich vielleicht von einer uͤbertriebe- nen Bedenklichkeit geſchienen: da doch mein Herz nur aufgemuntert und verſichert werden durfte, und alsdenn, wenn das geſchehen waͤre, meine ganze Auffuͤhrung dadurch wuͤrde regieret worden ſeyn.
Sie hielte hierauf inne und hatte das Schnupftuch an den Augen. Jch habe mich nach allen Kleinigkeiten in ihrem Betragen ſo wohl, als nach ihrem Worten, erkundiget. Du weißt, ich mag gern die menſchliche Natur und vornehmlich an den Frauenzimmern, in ihren verborgenſten Winkeln aufſuchen.
Der jaͤmmerliche Kerl verlohr ſich ſelbſt in ſtil- ler Bewunderung der Fraͤulein. Dieſe edle Schoͤne fuhr alſo fort zu reden.
Es
Fuͤnfter Theil. G g
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0471"n="465"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
Glauben ſie nur nicht, daß ich mit mir ſelbſt und<lb/>
mit ihnen ſpiele, und bloß noͤthig habe, <hirendition="#fr">beredet</hi><lb/>
zu werden, daß ich ihm vergebe und die <hirendition="#fr">ſeinige</hi><lb/>
werde ‒‒ Es iſt keine Perſon auf der Welt<lb/>
von meinem Geſchlechte, die <hirendition="#fr">offenherziger</hi> und<lb/><hirendition="#fr">freymuͤthiger</hi> geweſen ſeyn wuͤrde, als ich von<lb/>
dem Augenblicke an, da <hirendition="#fr">ich die Abſicht gehabt</hi><lb/>
die ſeinige zu werden, geweſen waͤre, wenn ich<lb/>
mit einem Herzen, wie <hirendition="#fr">mein eignes</hi> iſt, zu thun<lb/>
gehabt haͤtte. Jch darf ohne Bedenken ſagen,<lb/>
mein Herr, daß ich allezeit viel zu <hirendition="#fr">erhabne Ge-<lb/>ſinnungen</hi> geheget habe, ein <hirendition="#fr">verſtecktes We-<lb/>ſen</hi> anzunehmen, wo ich keine Urſache zu zwei-<lb/>
feln gehabt. Des Herrn Lovelace Bezeigen hat<lb/>
gemacht, daß ich vielleicht von einer <hirendition="#fr">uͤbertriebe-<lb/>
nen Bedenklichkeit</hi> geſchienen: da doch mein<lb/>
Herz nur <hirendition="#fr">aufgemuntert</hi> und <hirendition="#fr">verſichert</hi> werden<lb/>
durfte, und alsdenn, wenn das geſchehen waͤre,<lb/>
meine ganze Auffuͤhrung dadurch wuͤrde regieret<lb/>
worden ſeyn.</p><lb/><p>Sie hielte hierauf inne und hatte das<lb/>
Schnupftuch an den Augen. Jch habe mich<lb/>
nach allen Kleinigkeiten in ihrem Betragen ſo<lb/>
wohl, als nach ihrem Worten, erkundiget. Du<lb/>
weißt, ich mag gern die menſchliche Natur und<lb/>
vornehmlich an den Frauenzimmern, in ihren<lb/>
verborgenſten Winkeln aufſuchen.</p><lb/><p>Der jaͤmmerliche Kerl verlohr ſich ſelbſt in ſtil-<lb/>
ler Bewunderung der Fraͤulein. Dieſe edle<lb/>
Schoͤne fuhr alſo fort zu reden.</p><lb/><fwplace="bottom"type="sig"><hirendition="#fr">Fuͤnfter Theil.</hi> G g</fw><fwplace="bottom"type="catch">Es</fw><lb/></div></div></body></text></TEI>
[465/0471]
Glauben ſie nur nicht, daß ich mit mir ſelbſt und
mit ihnen ſpiele, und bloß noͤthig habe, beredet
zu werden, daß ich ihm vergebe und die ſeinige
werde ‒ ‒ Es iſt keine Perſon auf der Welt
von meinem Geſchlechte, die offenherziger und
freymuͤthiger geweſen ſeyn wuͤrde, als ich von
dem Augenblicke an, da ich die Abſicht gehabt
die ſeinige zu werden, geweſen waͤre, wenn ich
mit einem Herzen, wie mein eignes iſt, zu thun
gehabt haͤtte. Jch darf ohne Bedenken ſagen,
mein Herr, daß ich allezeit viel zu erhabne Ge-
ſinnungen geheget habe, ein verſtecktes We-
ſen anzunehmen, wo ich keine Urſache zu zwei-
feln gehabt. Des Herrn Lovelace Bezeigen hat
gemacht, daß ich vielleicht von einer uͤbertriebe-
nen Bedenklichkeit geſchienen: da doch mein
Herz nur aufgemuntert und verſichert werden
durfte, und alsdenn, wenn das geſchehen waͤre,
meine ganze Auffuͤhrung dadurch wuͤrde regieret
worden ſeyn.
Sie hielte hierauf inne und hatte das
Schnupftuch an den Augen. Jch habe mich
nach allen Kleinigkeiten in ihrem Betragen ſo
wohl, als nach ihrem Worten, erkundiget. Du
weißt, ich mag gern die menſchliche Natur und
vornehmlich an den Frauenzimmern, in ihren
verborgenſten Winkeln aufſuchen.
Der jaͤmmerliche Kerl verlohr ſich ſelbſt in ſtil-
ler Bewunderung der Fraͤulein. Dieſe edle
Schoͤne fuhr alſo fort zu reden.
Es
Fuͤnfter Theil. G g
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 465. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/471>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.