Sie suchte ihre Hände wegzuziehen, und mit ih- rer Schulter meinem darauf gelehnten Kopfe auszuweichen. Wie ich merkte, that sie es un- gern. Noch vielweniger hatte sie Lust mit mir zu zanken. Jhr niedergeschlagenes Auge sagte mehr, als ihre Lippen äußern konnten. - - Nun, dachte ich, ist es gewiß meine Zeit, zu versuchen, ob sie eine noch kühnere Freyheit, als ich mir je- mals bisher genommen habe, verzeihen kann.
Jch lies ihr darauf ihre ringende Hände los. Jch umfaßte sie mit einem Arme. Jch küßte ihren süßen Mund mit vielem Feuer. Sie sagte nichts dazu, als: Seyn sie doch geruhig, und wandte ihr Gesicht weg, als wenn sie noch einen Kuß besorgte.
Durch eine so gelinde Weigerung bekam ich noch mehr Muth. Jch redete auf das zärtlich- ste. Jch schob alsdenn mit der andern Hand das Halstuch weg, welches das Schönste unter allen Schönheiten verdeckte, und drückte meine feurige Lippen an die reizungsvolle Brust, die meine ent- zückte Augen jemals gesehen haben.
Aber den Augenblick fand sich eine ganz an- dre Leidenschaft bey ihr ein, als diejenige war, wodurch ihre Brust vorher mit so vieler Anmuth aufgeschwollen. Sie riß sich voll Unmuths aus meinen um sie geschlungenen Armen. Jch hiel- te sie noch bey ihrer ringenden Hand. Lassen sie mich gehen, sprach sie. Jch sehe wohl, man darf von ihnen nicht hoffen, daß sie sich in den gehö- rigen Schranken halten werden. Niederträchti-
ger
Sie ſuchte ihre Haͤnde wegzuziehen, und mit ih- rer Schulter meinem darauf gelehnten Kopfe auszuweichen. Wie ich merkte, that ſie es un- gern. Noch vielweniger hatte ſie Luſt mit mir zu zanken. Jhr niedergeſchlagenes Auge ſagte mehr, als ihre Lippen aͤußern konnten. ‒ ‒ Nun, dachte ich, iſt es gewiß meine Zeit, zu verſuchen, ob ſie eine noch kuͤhnere Freyheit, als ich mir je- mals bisher genommen habe, verzeihen kann.
Jch lies ihr darauf ihre ringende Haͤnde los. Jch umfaßte ſie mit einem Arme. Jch kuͤßte ihren ſuͤßen Mund mit vielem Feuer. Sie ſagte nichts dazu, als: Seyn ſie doch geruhig, und wandte ihr Geſicht weg, als wenn ſie noch einen Kuß beſorgte.
Durch eine ſo gelinde Weigerung bekam ich noch mehr Muth. Jch redete auf das zaͤrtlich- ſte. Jch ſchob alsdenn mit der andern Hand das Halstuch weg, welches das Schoͤnſte unter allen Schoͤnheiten verdeckte, und druͤckte meine feurige Lippen an die reizungsvolle Bruſt, die meine ent- zuͤckte Augen jemals geſehen haben.
Aber den Augenblick fand ſich eine ganz an- dre Leidenſchaft bey ihr ein, als diejenige war, wodurch ihre Bruſt vorher mit ſo vieler Anmuth aufgeſchwollen. Sie riß ſich voll Unmuths aus meinen um ſie geſchlungenen Armen. Jch hiel- te ſie noch bey ihrer ringenden Hand. Laſſen ſie mich gehen, ſprach ſie. Jch ſehe wohl, man darf von ihnen nicht hoffen, daß ſie ſich in den gehoͤ- rigen Schranken halten werden. Niedertraͤchti-
ger
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0018"n="12"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
Sie ſuchte ihre Haͤnde wegzuziehen, und mit ih-<lb/>
rer Schulter meinem darauf gelehnten Kopfe<lb/>
auszuweichen. Wie ich merkte, that ſie es un-<lb/>
gern. Noch vielweniger hatte ſie Luſt mit mir<lb/>
zu zanken. Jhr niedergeſchlagenes Auge ſagte<lb/>
mehr, als ihre Lippen aͤußern konnten. ‒‒ Nun,<lb/>
dachte ich, iſt es gewiß meine Zeit, zu verſuchen,<lb/>
ob ſie eine noch kuͤhnere Freyheit, als ich mir je-<lb/>
mals bisher genommen habe, verzeihen kann.</p><lb/><p>Jch lies ihr darauf ihre ringende Haͤnde los.<lb/>
Jch umfaßte ſie mit einem Arme. Jch kuͤßte<lb/>
ihren ſuͤßen Mund mit vielem Feuer. Sie ſagte<lb/>
nichts dazu, als: <hirendition="#fr">Seyn ſie doch geruhig,</hi> und<lb/>
wandte ihr Geſicht weg, als wenn ſie noch einen<lb/>
Kuß beſorgte.</p><lb/><p>Durch eine ſo gelinde Weigerung bekam ich<lb/>
noch mehr Muth. Jch redete auf das zaͤrtlich-<lb/>ſte. Jch ſchob alsdenn mit der andern Hand das<lb/>
Halstuch weg, welches das Schoͤnſte unter allen<lb/>
Schoͤnheiten verdeckte, und druͤckte meine feurige<lb/>
Lippen an die reizungsvolle Bruſt, die meine ent-<lb/>
zuͤckte Augen jemals geſehen haben.</p><lb/><p>Aber den Augenblick fand ſich eine ganz an-<lb/>
dre Leidenſchaft bey ihr ein, als diejenige war,<lb/>
wodurch ihre Bruſt vorher mit ſo vieler Anmuth<lb/>
aufgeſchwollen. Sie riß ſich voll Unmuths aus<lb/>
meinen um ſie geſchlungenen Armen. Jch hiel-<lb/>
te ſie noch bey ihrer ringenden Hand. Laſſen ſie<lb/>
mich gehen, ſprach ſie. Jch ſehe wohl, man darf<lb/>
von ihnen nicht hoffen, daß ſie ſich in den gehoͤ-<lb/>
rigen Schranken halten werden. Niedertraͤchti-<lb/><fwplace="bottom"type="catch">ger</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[12/0018]
Sie ſuchte ihre Haͤnde wegzuziehen, und mit ih-
rer Schulter meinem darauf gelehnten Kopfe
auszuweichen. Wie ich merkte, that ſie es un-
gern. Noch vielweniger hatte ſie Luſt mit mir
zu zanken. Jhr niedergeſchlagenes Auge ſagte
mehr, als ihre Lippen aͤußern konnten. ‒ ‒ Nun,
dachte ich, iſt es gewiß meine Zeit, zu verſuchen,
ob ſie eine noch kuͤhnere Freyheit, als ich mir je-
mals bisher genommen habe, verzeihen kann.
Jch lies ihr darauf ihre ringende Haͤnde los.
Jch umfaßte ſie mit einem Arme. Jch kuͤßte
ihren ſuͤßen Mund mit vielem Feuer. Sie ſagte
nichts dazu, als: Seyn ſie doch geruhig, und
wandte ihr Geſicht weg, als wenn ſie noch einen
Kuß beſorgte.
Durch eine ſo gelinde Weigerung bekam ich
noch mehr Muth. Jch redete auf das zaͤrtlich-
ſte. Jch ſchob alsdenn mit der andern Hand das
Halstuch weg, welches das Schoͤnſte unter allen
Schoͤnheiten verdeckte, und druͤckte meine feurige
Lippen an die reizungsvolle Bruſt, die meine ent-
zuͤckte Augen jemals geſehen haben.
Aber den Augenblick fand ſich eine ganz an-
dre Leidenſchaft bey ihr ein, als diejenige war,
wodurch ihre Bruſt vorher mit ſo vieler Anmuth
aufgeſchwollen. Sie riß ſich voll Unmuths aus
meinen um ſie geſchlungenen Armen. Jch hiel-
te ſie noch bey ihrer ringenden Hand. Laſſen ſie
mich gehen, ſprach ſie. Jch ſehe wohl, man darf
von ihnen nicht hoffen, daß ſie ſich in den gehoͤ-
rigen Schranken halten werden. Niedertraͤchti-
ger
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 5. Göttingen, 1750, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa05_1750/18>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.