wer der armen Verbannten, nun nicht mehr Ver- bannten! die meiste Zärtlichkeit erweisen kann. Und sie, mein Lovelace, wenn sie alles das ansehen, und in einer so werthen Familie willkommen geheis- sen werden. - - Was schadet es, wenn auch der erste Empfang etwas kaltsinnig ist. Lernt man sie besser kennen, und sieht man sie öfterer, fallen keine neue Ursachen zum Misvergnügen vor, und fangen sie, wie ich hoffe, eine neue Lebensart an, so wird die Liebe von beyden Seiten immer stärcker und stärcker werden, bis sich vielleicht ein jeder wundert, wie es gekommen ist, daß sie ihnen je- mahls zuwider gewesen sind.
Sie trocknete darauf ihre Augen mit einem Schnupftuche, hielt ein wenig inne, und entfernte sich plötzlich in ihr Schlaf-Zimmer, als besönne sie sich, daß sie ihre Freude durch eine Aus- drückung derselben mir entdeckt hatte, die ich nicht hatte sehen sollen. - - Mich aber ließ sie so unvermögend solches auszuhalten, als sie selbst war.
Kurtz ich war - - was ich war, auszudrucken fehlet es mir an Worten. - - So sehr hatte mich die- se schöne Seelen-Beherrscherin noch nicht gerührt. Jch suchte meine Empfindlichkeit zu unterdrücken, und sie war zu starck darzu. Jch seufzete so gar - - Ja bey meiner Seele, ich seufzete, daß man es hörte und mußte mich von ihr wenden, ehe sie ihre rüh- rende Rede recht geendet hatte.
Mich deucht, nachdem ich dir die seltsame Em- pfindung gestanden habe, so verlangt mich, sie dir zu
beschrei-
A a 5
wer der armen Verbannten, nun nicht mehr Ver- bannten! die meiſte Zaͤrtlichkeit erweiſen kann. Und ſie, mein Lovelace, wenn ſie alles das anſehen, und in einer ſo werthen Familie willkommen geheiſ- ſen werden. ‒ ‒ Was ſchadet es, wenn auch der erſte Empfang etwas kaltſinnig iſt. Lernt man ſie beſſer kennen, und ſieht man ſie oͤfterer, fallen keine neue Urſachen zum Misvergnuͤgen vor, und fangen ſie, wie ich hoffe, eine neue Lebensart an, ſo wird die Liebe von beyden Seiten immer ſtaͤrcker und ſtaͤrcker werden, bis ſich vielleicht ein jeder wundert, wie es gekommen iſt, daß ſie ihnen je- mahls zuwider geweſen ſind.
Sie trocknete darauf ihre Augen mit einem Schnupftuche, hielt ein wenig inne, und entfernte ſich ploͤtzlich in ihr Schlaf-Zimmer, als beſoͤnne ſie ſich, daß ſie ihre Freude durch eine Aus- druͤckung derſelben mir entdeckt hatte, die ich nicht hatte ſehen ſollen. ‒ ‒ Mich aber ließ ſie ſo unvermoͤgend ſolches auszuhalten, als ſie ſelbſt war.
Kurtz ich war ‒ ‒ was ich war, auszudrucken fehlet es mir an Worten. ‒ ‒ So ſehr hatte mich die- ſe ſchoͤne Seelen-Beherrſcherin noch nicht geruͤhrt. Jch ſuchte meine Empfindlichkeit zu unterdruͤcken, und ſie war zu ſtarck darzu. Jch ſeufzete ſo gar ‒ ‒ Ja bey meiner Seele, ich ſeufzete, daß man es hoͤrte und mußte mich von ihr wenden, ehe ſie ihre ruͤh- rende Rede recht geendet hatte.
Mich deucht, nachdem ich dir die ſeltſame Em- pfindung geſtanden habe, ſo verlangt mich, ſie dir zu
beſchrei-
A a 5
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0383"n="377"/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
wer der armen Verbannten, nun nicht mehr <hirendition="#fr">Ver-<lb/>
bannten!</hi> die meiſte Zaͤrtlichkeit erweiſen kann.<lb/>
Und ſie, mein <hirendition="#fr">Lovelace,</hi> wenn ſie alles das anſehen,<lb/>
und in einer ſo werthen Familie willkommen geheiſ-<lb/>ſen werden. ‒‒ Was ſchadet es, wenn auch der<lb/>
erſte Empfang etwas kaltſinnig iſt. Lernt man<lb/>ſie beſſer kennen, und ſieht man ſie oͤfterer, fallen<lb/>
keine neue Urſachen zum Misvergnuͤgen vor, und<lb/>
fangen ſie, wie ich hoffe, eine neue Lebensart an, ſo<lb/>
wird die Liebe von beyden Seiten immer ſtaͤrcker<lb/>
und ſtaͤrcker werden, bis ſich vielleicht ein jeder<lb/>
wundert, wie es gekommen iſt, daß ſie ihnen je-<lb/>
mahls zuwider geweſen ſind.</p><lb/><p>Sie trocknete darauf ihre Augen mit einem<lb/>
Schnupftuche, hielt ein wenig inne, und entfernte<lb/>ſich ploͤtzlich in ihr Schlaf-Zimmer, als beſoͤnne<lb/>ſie ſich, daß ſie ihre Freude durch eine Aus-<lb/>
druͤckung derſelben mir entdeckt hatte, die<lb/>
ich nicht hatte ſehen ſollen. ‒‒ Mich aber ließ<lb/>ſie ſo unvermoͤgend ſolches auszuhalten, als ſie<lb/>ſelbſt war.</p><lb/><p>Kurtz ich war ‒‒ was ich war, auszudrucken<lb/>
fehlet es mir an Worten. ‒‒ So ſehr hatte mich die-<lb/>ſe ſchoͤne Seelen-Beherrſcherin noch nicht geruͤhrt.<lb/>
Jch ſuchte meine Empfindlichkeit zu unterdruͤcken,<lb/>
und ſie war zu ſtarck darzu. Jch ſeufzete ſo gar ‒‒<lb/>
Ja bey meiner Seele, ich ſeufzete, daß man es <hirendition="#fr">hoͤrte</hi><lb/>
und mußte mich von ihr wenden, ehe ſie ihre ruͤh-<lb/>
rende Rede recht geendet hatte.</p><lb/><p>Mich deucht, nachdem ich dir die ſeltſame Em-<lb/>
pfindung geſtanden habe, ſo verlangt mich, ſie dir zu<lb/><fwplace="bottom"type="sig">A a 5</fw><fwplace="bottom"type="catch">beſchrei-</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[377/0383]
wer der armen Verbannten, nun nicht mehr Ver-
bannten! die meiſte Zaͤrtlichkeit erweiſen kann.
Und ſie, mein Lovelace, wenn ſie alles das anſehen,
und in einer ſo werthen Familie willkommen geheiſ-
ſen werden. ‒ ‒ Was ſchadet es, wenn auch der
erſte Empfang etwas kaltſinnig iſt. Lernt man
ſie beſſer kennen, und ſieht man ſie oͤfterer, fallen
keine neue Urſachen zum Misvergnuͤgen vor, und
fangen ſie, wie ich hoffe, eine neue Lebensart an, ſo
wird die Liebe von beyden Seiten immer ſtaͤrcker
und ſtaͤrcker werden, bis ſich vielleicht ein jeder
wundert, wie es gekommen iſt, daß ſie ihnen je-
mahls zuwider geweſen ſind.
Sie trocknete darauf ihre Augen mit einem
Schnupftuche, hielt ein wenig inne, und entfernte
ſich ploͤtzlich in ihr Schlaf-Zimmer, als beſoͤnne
ſie ſich, daß ſie ihre Freude durch eine Aus-
druͤckung derſelben mir entdeckt hatte, die
ich nicht hatte ſehen ſollen. ‒ ‒ Mich aber ließ
ſie ſo unvermoͤgend ſolches auszuhalten, als ſie
ſelbſt war.
Kurtz ich war ‒ ‒ was ich war, auszudrucken
fehlet es mir an Worten. ‒ ‒ So ſehr hatte mich die-
ſe ſchoͤne Seelen-Beherrſcherin noch nicht geruͤhrt.
Jch ſuchte meine Empfindlichkeit zu unterdruͤcken,
und ſie war zu ſtarck darzu. Jch ſeufzete ſo gar ‒ ‒
Ja bey meiner Seele, ich ſeufzete, daß man es hoͤrte
und mußte mich von ihr wenden, ehe ſie ihre ruͤh-
rende Rede recht geendet hatte.
Mich deucht, nachdem ich dir die ſeltſame Em-
pfindung geſtanden habe, ſo verlangt mich, ſie dir zu
beſchrei-
A a 5
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 377. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/383>, abgerufen am 22.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.