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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749.

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lich war er mitten in der größesten Unruhe. Er
suchte seine Unpäßlichkeit kleiner zu machen. - - -
Jch wünschte, daß ich ihn nicht kranck gesehen
hätte. Es gieng mir allzu sehr zu Hertzen. Je-
dermann redete von Gefahr. Der arme Mann
war vorhin so gesund, und bekam auf einmahl ei-
nen so heftigen Anfall, zu einer Zeit, da er gewiß
nicht an den Tod gedacht hatte.

Er hat sich austragen lassen. Jch rieth es
ihm: ich fürchte aber jetzt beynahe, daß mein
Rath nicht gut gewesen sey; denn bey solchen Zu-
fällen ist nichts besseres als die Ruhe. Wie
geneigt sind wir, wenn Noth vorhanden ist,
einen unüberlegten Rath zu geben. Jch sag-
te zwar; er möchte einen Doctor hohlen lassen:
er wollte aber nichts davon hören. Jch halte die
Aertzte in Ehren, und bin noch mehr hierin be-
stärcket worden, seit dem ich bemerckt habe, daß
die, welche die Artzeney-Wissenschaft verspot-
ten, gemeiniglich wenig Ehrerbietung gegen noch
heiligere Wissenschaften haben.

Jch bin in der That sehr unruhig, weil ich
mich gegen ihn und gegen die Leute in dem Hause
allzu sehr verrathen habe. Diese letztern werden
mich zwar öffentlich entschuldigen, weil sie uns für
Eheleute halten. Wenn er aber niederträchtig
handeln will, so thut es mir leid, daß ich mich habe
übereilen lassen. Jch weiß jetzt mehr, als ich vor-
hin wußte, da ich glaubte, er sey unverantwortlich
mit mir umgegangen.

Jch kann Jhnen indessen mit Recht und mit

Wahr-



lich war er mitten in der groͤßeſten Unruhe. Er
ſuchte ſeine Unpaͤßlichkeit kleiner zu machen. ‒ ‒ ‒
Jch wuͤnſchte, daß ich ihn nicht kranck geſehen
haͤtte. Es gieng mir allzu ſehr zu Hertzen. Je-
dermann redete von Gefahr. Der arme Mann
war vorhin ſo geſund, und bekam auf einmahl ei-
nen ſo heftigen Anfall, zu einer Zeit, da er gewiß
nicht an den Tod gedacht hatte.

Er hat ſich austragen laſſen. Jch rieth es
ihm: ich fuͤrchte aber jetzt beynahe, daß mein
Rath nicht gut geweſen ſey; denn bey ſolchen Zu-
faͤllen iſt nichts beſſeres als die Ruhe. Wie
geneigt ſind wir, wenn Noth vorhanden iſt,
einen unuͤberlegten Rath zu geben. Jch ſag-
te zwar; er moͤchte einen Doctor hohlen laſſen:
er wollte aber nichts davon hoͤren. Jch halte die
Aertzte in Ehren, und bin noch mehr hierin be-
ſtaͤrcket worden, ſeit dem ich bemerckt habe, daß
die, welche die Artzeney-Wiſſenſchaft verſpot-
ten, gemeiniglich wenig Ehrerbietung gegen noch
heiligere Wiſſenſchaften haben.

Jch bin in der That ſehr unruhig, weil ich
mich gegen ihn und gegen die Leute in dem Hauſe
allzu ſehr verrathen habe. Dieſe letztern werden
mich zwar oͤffentlich entſchuldigen, weil ſie uns fuͤr
Eheleute halten. Wenn er aber niedertraͤchtig
handeln will, ſo thut es mir leid, daß ich mich habe
uͤbereilen laſſen. Jch weiß jetzt mehr, als ich vor-
hin wußte, da ich glaubte, er ſey unverantwortlich
mit mir umgegangen.

Jch kann Jhnen indeſſen mit Recht und mit

Wahr-
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[330/0336] lich war er mitten in der groͤßeſten Unruhe. Er ſuchte ſeine Unpaͤßlichkeit kleiner zu machen. ‒ ‒ ‒ Jch wuͤnſchte, daß ich ihn nicht kranck geſehen haͤtte. Es gieng mir allzu ſehr zu Hertzen. Je- dermann redete von Gefahr. Der arme Mann war vorhin ſo geſund, und bekam auf einmahl ei- nen ſo heftigen Anfall, zu einer Zeit, da er gewiß nicht an den Tod gedacht hatte. Er hat ſich austragen laſſen. Jch rieth es ihm: ich fuͤrchte aber jetzt beynahe, daß mein Rath nicht gut geweſen ſey; denn bey ſolchen Zu- faͤllen iſt nichts beſſeres als die Ruhe. Wie geneigt ſind wir, wenn Noth vorhanden iſt, einen unuͤberlegten Rath zu geben. Jch ſag- te zwar; er moͤchte einen Doctor hohlen laſſen: er wollte aber nichts davon hoͤren. Jch halte die Aertzte in Ehren, und bin noch mehr hierin be- ſtaͤrcket worden, ſeit dem ich bemerckt habe, daß die, welche die Artzeney-Wiſſenſchaft verſpot- ten, gemeiniglich wenig Ehrerbietung gegen noch heiligere Wiſſenſchaften haben. Jch bin in der That ſehr unruhig, weil ich mich gegen ihn und gegen die Leute in dem Hauſe allzu ſehr verrathen habe. Dieſe letztern werden mich zwar oͤffentlich entſchuldigen, weil ſie uns fuͤr Eheleute halten. Wenn er aber niedertraͤchtig handeln will, ſo thut es mir leid, daß ich mich habe uͤbereilen laſſen. Jch weiß jetzt mehr, als ich vor- hin wußte, da ich glaubte, er ſey unverantwortlich mit mir umgegangen. Jch kann Jhnen indeſſen mit Recht und mit Wahr-

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 330. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/336>, abgerufen am 17.05.2024.