ten. Jch wollte ihr wohl sagen, daß sie durch starcke Gründe und glimpfliche Worte alles wird ausrichten können: denn ob Sie gleich sehr hitzig sind, so werden Sie doch durch gute Worte wie- der kühl werden, und die Gemüths-Fassung erlan- gen, die zu ihrer Besserung nöthig ist.
Wollte Gott, daß meine arme selige Gemah- lin, ihre Base, die jetzund todt und bey Gott ist, durch diese Artzney zu bessern gewesen wäre! Gott habe sie seelig! Jch will der Todten im be- sten gedencken. Denn erkennt man erst, was man verlohren hat, wenn man das Gute nicht mehr hat. Nun weiß ich, was ich an ihr gehabt habe: und wenn ich zuerst aus der Welt gegangen wäre, so würde sie erfahren haben, was sie an mir verlohren hätte.
Es ist ein sehr weiser Spruch: Gott schicke mir einen Freund, der mich bestraft! und wenn ich keinen Freund habe, so schicke er mir einen Feind, der mir meine Fehler vor- hält. Nicht als wenn ich ihr Feind wäre, das wissen Sie besser. Je höher je demüthiger. Wenn Sie auch hoch sind, so nehmen Sie meine Ermahnung an. Bin ich nicht Jhr Onckle? Will ich nicht mehr an Jhnen thun, als Jhr Va- ter hat thun können? Jch will so gar an ihrem Ehren-Tage Vaters-Stelle vertreten, weil Sie es verlangen. Machen Sie meine Empfehlung an meine liebe künftige Base, und sagen Sie ihr, ich wunderte mich, daß sie Jhr Glück so lange ver- zögerte.
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ten. Jch wollte ihr wohl ſagen, daß ſie durch ſtarcke Gruͤnde und glimpfliche Worte alles wird ausrichten koͤnnen: denn ob Sie gleich ſehr hitzig ſind, ſo werden Sie doch durch gute Worte wie- der kuͤhl werden, und die Gemuͤths-Faſſung erlan- gen, die zu ihrer Beſſerung noͤthig iſt.
Wollte Gott, daß meine arme ſelige Gemah- lin, ihre Baſe, die jetzund todt und bey Gott iſt, durch dieſe Artzney zu beſſern geweſen waͤre! Gott habe ſie ſeelig! Jch will der Todten im be- ſten gedencken. Denn erkennt man erſt, was man verlohren hat, wenn man das Gute nicht mehr hat. Nun weiß ich, was ich an ihr gehabt habe: und wenn ich zuerſt aus der Welt gegangen waͤre, ſo wuͤrde ſie erfahren haben, was ſie an mir verlohren haͤtte.
Es iſt ein ſehr weiſer Spruch: Gott ſchicke mir einen Freund, der mich beſtraft! und wenn ich keinen Freund habe, ſo ſchicke er mir einen Feind, der mir meine Fehler vor- haͤlt. Nicht als wenn ich ihr Feind waͤre, das wiſſen Sie beſſer. Je hoͤher je demuͤthiger. Wenn Sie auch hoch ſind, ſo nehmen Sie meine Ermahnung an. Bin ich nicht Jhr Onckle? Will ich nicht mehr an Jhnen thun, als Jhr Va- ter hat thun koͤnnen? Jch will ſo gar an ihrem Ehren-Tage Vaters-Stelle vertreten, weil Sie es verlangen. Machen Sie meine Empfehlung an meine liebe kuͤnftige Baſe, und ſagen Sie ihr, ich wunderte mich, daß ſie Jhr Gluͤck ſo lange ver- zoͤgerte.
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ten. Jch wollte ihr wohl ſagen, daß ſie durch
ſtarcke Gruͤnde und glimpfliche Worte alles wird
ausrichten koͤnnen: denn ob Sie gleich ſehr hitzig
ſind, ſo werden Sie doch durch gute Worte wie-
der kuͤhl werden, und die Gemuͤths-Faſſung erlan-
gen, die zu ihrer Beſſerung noͤthig iſt.
Wollte Gott, daß meine arme ſelige Gemah-
lin, ihre Baſe, die jetzund todt und bey Gott iſt,
durch dieſe Artzney zu beſſern geweſen waͤre!
Gott habe ſie ſeelig! Jch will der Todten im be-
ſten gedencken. Denn erkennt man erſt, was
man verlohren hat, wenn man das Gute
nicht mehr hat. Nun weiß ich, was ich an ihr
gehabt habe: und wenn ich zuerſt aus der Welt
gegangen waͤre, ſo wuͤrde ſie erfahren haben, was
ſie an mir verlohren haͤtte.
Es iſt ein ſehr weiſer Spruch: Gott ſchicke
mir einen Freund, der mich beſtraft! und
wenn ich keinen Freund habe, ſo ſchicke er
mir einen Feind, der mir meine Fehler vor-
haͤlt. Nicht als wenn ich ihr Feind waͤre, das
wiſſen Sie beſſer. Je hoͤher je demuͤthiger.
Wenn Sie auch hoch ſind, ſo nehmen Sie meine
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Will ich nicht mehr an Jhnen thun, als Jhr Va-
ter hat thun koͤnnen? Jch will ſo gar an ihrem
Ehren-Tage Vaters-Stelle vertreten, weil Sie es
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 288. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/294>, abgerufen am 17.05.2024.
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