"Denn das gestehe ich Jhnen, es hat mich oft "in meinem Hertzen gekräncket, daß sich die Mei- "nigen durch ihr allzugroßes Vermögen haben be- "stricken lassen, so wie Jhnen einige andere Vor- "züge zum Fallstrick geworden sind, die Sie nicht "einmahl Jhrem Fleiß zu dancken haben, und de- "sto weniger darüber hochmüthig werden soll- "ten."
"Erlauben Sie mir noch bey dieser Gelegen- "heit, Jhnen zu sagen, daß Herablassung zu ande- "rer Schwachheit keine Niederträchtigkeit ist. "Es ist mit dem Nachgeben eine Ehre verbunden, "von der ein hitziger Kopf sich keine Vorstellung zu "machen weiß: mein Bruder eben so wenig, als "Sie. Da Sie aber mehr Verstand haben, "als er, (deswegen aber setze ich meinen Bruder "nicht herunter. Jch glaube, daß wider sein "Leben und Wandel nicht eben das könne einge- "wandt werden, was man Jhnen nachsaget) so "wünsche ich, daß Sie an Fortsetzung der Feind- "schaft unschuldig seyn möchten. Denn ich lebe "der gewissen Hoffnung, daß noch eine Zeit kom- "men werde, in der Sie sich einander sprechen kön- "nen, ohne daß ich als Frau und Schwester Ur- "sache habe, wegen der Folgen Jhrer Zusammen- "kunft in Sorgen zu seyn. Jndessen wünsche ich "gar nicht, daß Sie in etwas nachgeben sollten, "das Jhre Ehre wahrhaftig betrifft. Jn derglei- "chen Dingen würde ich eben so eigensinnig ja noch "eigensinniger seyn; denn ich würde suchen mir im- "mer selbst gleich zu seyn, und nicht das eine mahl
die
Vierter Theil. R
„Denn das geſtehe ich Jhnen, es hat mich oft „in meinem Hertzen gekraͤncket, daß ſich die Mei- „nigen durch ihr allzugroßes Vermoͤgen haben be- „ſtricken laſſen, ſo wie Jhnen einige andere Vor- „zuͤge zum Fallſtrick geworden ſind, die Sie nicht „einmahl Jhrem Fleiß zu dancken haben, und de- „ſto weniger daruͤber hochmuͤthig werden ſoll- „ten.„
„Erlauben Sie mir noch bey dieſer Gelegen- „heit, Jhnen zu ſagen, daß Herablaſſung zu ande- „rer Schwachheit keine Niedertraͤchtigkeit iſt. „Es iſt mit dem Nachgeben eine Ehre verbunden, „von der ein hitziger Kopf ſich keine Vorſtellung zu „machen weiß: mein Bruder eben ſo wenig, als „Sie. Da Sie aber mehr Verſtand haben, „als er, (deswegen aber ſetze ich meinen Bruder „nicht herunter. Jch glaube, daß wider ſein „Leben und Wandel nicht eben das koͤnne einge- „wandt werden, was man Jhnen nachſaget) ſo „wuͤnſche ich, daß Sie an Fortſetzung der Feind- „ſchaft unſchuldig ſeyn moͤchten. Denn ich lebe „der gewiſſen Hoffnung, daß noch eine Zeit kom- „men werde, in der Sie ſich einander ſprechen koͤn- „nen, ohne daß ich als Frau und Schweſter Ur- „ſache habe, wegen der Folgen Jhrer Zuſammen- „kunft in Sorgen zu ſeyn. Jndeſſen wuͤnſche ich „gar nicht, daß Sie in etwas nachgeben ſollten, „das Jhre Ehre wahrhaftig betrifft. Jn derglei- „chen Dingen wuͤrde ich eben ſo eigenſinnig ja noch „eigenſinniger ſeyn; denn ich wuͤrde ſuchen mir im- „mer ſelbſt gleich zu ſeyn, und nicht das eine mahl
die
Vierter Theil. R
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„Denn das geſtehe ich Jhnen, es hat mich oft
„in meinem Hertzen gekraͤncket, daß ſich die Mei-
„nigen durch ihr allzugroßes Vermoͤgen haben be-
„ſtricken laſſen, ſo wie Jhnen einige andere Vor-
„zuͤge zum Fallſtrick geworden ſind, die Sie nicht
„einmahl Jhrem Fleiß zu dancken haben, und de-
„ſto weniger daruͤber hochmuͤthig werden ſoll-
„ten.„
„Erlauben Sie mir noch bey dieſer Gelegen-
„heit, Jhnen zu ſagen, daß Herablaſſung zu ande-
„rer Schwachheit keine Niedertraͤchtigkeit iſt.
„Es iſt mit dem Nachgeben eine Ehre verbunden,
„von der ein hitziger Kopf ſich keine Vorſtellung zu
„machen weiß: mein Bruder eben ſo wenig, als
„Sie. Da Sie aber mehr Verſtand haben,
„als er, (deswegen aber ſetze ich meinen Bruder
„nicht herunter. Jch glaube, daß wider ſein
„Leben und Wandel nicht eben das koͤnne einge-
„wandt werden, was man Jhnen nachſaget) ſo
„wuͤnſche ich, daß Sie an Fortſetzung der Feind-
„ſchaft unſchuldig ſeyn moͤchten. Denn ich lebe
„der gewiſſen Hoffnung, daß noch eine Zeit kom-
„men werde, in der Sie ſich einander ſprechen koͤn-
„nen, ohne daß ich als Frau und Schweſter Ur-
„ſache habe, wegen der Folgen Jhrer Zuſammen-
„kunft in Sorgen zu ſeyn. Jndeſſen wuͤnſche ich
„gar nicht, daß Sie in etwas nachgeben ſollten,
„das Jhre Ehre wahrhaftig betrifft. Jn derglei-
„chen Dingen wuͤrde ich eben ſo eigenſinnig ja noch
„eigenſinniger ſeyn; denn ich wuͤrde ſuchen mir im-
„mer ſelbſt gleich zu ſeyn, und nicht das eine mahl
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/263>, abgerufen am 16.02.2025.
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