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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749.

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set hatte, so rechtmäßig erbittert und so sehr zur
Rache gereitzet war.

Die Fräulein beschreibet ihre Furcht und
Herrn Lovelaces Aufführung also:

Als ich in das Zimmer trat, ergriff er meine
Hand auf eine solche Art, und sahe so aus, als
wenn er durchaus zancken wollte. Und warum
das?
Jch habe in meinem Leben kein so wildes,
zorniges und ungeduldiges Gesicht gesehen. Jch
erschrack mich; und ob ich mir gleich vorgenom-
men hatte, zornig zu seyn, so war ich doch gezwun-
gen, mich gantz gelassen zu bezeigen. Jch kann
mich vor Schrecken kaum erinnern, was er zuerst
sagte; allein das erinnere ich mich wohl, daß er
sagte: sie hassen mich, Fräulein! sie hassen
mich.
Er sprach dieses auf eine so unbändige
Weise, daß ich wünschte, hundert Meilen von ihm
zu seyn. Jch sagte: ich hasse niemand. Gott-
lob, es ist kein Mensch auf der Welt, den ich has-
sen sollte. Sie jagen mir Furcht ein. Lassen sie
mich gehen. - - Der Mensch sahe recht wun-
derlich aus. Jch habe noch nie ein Gesichte ge-
sehen, das durch den Zorn so verstellet ward, als
das seinige. Und worüber war er so böse?
Er fassete meine Hand, der wilde Mensch fassete
meine Hand so an, daß es mir recht wehe that.
Einmahl umfassete er mich, und er schien es recht
darauf anzufangen, daß ich ihn beleidigen sollte.
Jch konnte daher nichts thun, als ihn einmahl über
das andere mahl bitten, daß er mich möchte gehen

lassen.



ſet hatte, ſo rechtmaͤßig erbittert und ſo ſehr zur
Rache gereitzet war.

Die Fraͤulein beſchreibet ihre Furcht und
Herrn Lovelaces Auffuͤhrung alſo:

Als ich in das Zimmer trat, ergriff er meine
Hand auf eine ſolche Art, und ſahe ſo aus, als
wenn er durchaus zancken wollte. Und warum
das?
Jch habe in meinem Leben kein ſo wildes,
zorniges und ungeduldiges Geſicht geſehen. Jch
erſchrack mich; und ob ich mir gleich vorgenom-
men hatte, zornig zu ſeyn, ſo war ich doch gezwun-
gen, mich gantz gelaſſen zu bezeigen. Jch kann
mich vor Schrecken kaum erinnern, was er zuerſt
ſagte; allein das erinnere ich mich wohl, daß er
ſagte: ſie haſſen mich, Fraͤulein! ſie haſſen
mich.
Er ſprach dieſes auf eine ſo unbaͤndige
Weiſe, daß ich wuͤnſchte, hundert Meilen von ihm
zu ſeyn. Jch ſagte: ich haſſe niemand. Gott-
lob, es iſt kein Menſch auf der Welt, den ich haſ-
ſen ſollte. Sie jagen mir Furcht ein. Laſſen ſie
mich gehen. ‒ ‒ Der Menſch ſahe recht wun-
derlich aus. Jch habe noch nie ein Geſichte ge-
ſehen, das durch den Zorn ſo verſtellet ward, als
das ſeinige. Und woruͤber war er ſo boͤſe?
Er faſſete meine Hand, der wilde Menſch faſſete
meine Hand ſo an, daß es mir recht wehe that.
Einmahl umfaſſete er mich, und er ſchien es recht
darauf anzufangen, daß ich ihn beleidigen ſollte.
Jch konnte daher nichts thun, als ihn einmahl uͤber
das andere mahl bitten, daß er mich moͤchte gehen

laſſen.
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[223/0229] ſet hatte, ſo rechtmaͤßig erbittert und ſo ſehr zur Rache gereitzet war. Die Fraͤulein beſchreibet ihre Furcht und Herrn Lovelaces Auffuͤhrung alſo: Als ich in das Zimmer trat, ergriff er meine Hand auf eine ſolche Art, und ſahe ſo aus, als wenn er durchaus zancken wollte. Und warum das? Jch habe in meinem Leben kein ſo wildes, zorniges und ungeduldiges Geſicht geſehen. Jch erſchrack mich; und ob ich mir gleich vorgenom- men hatte, zornig zu ſeyn, ſo war ich doch gezwun- gen, mich gantz gelaſſen zu bezeigen. Jch kann mich vor Schrecken kaum erinnern, was er zuerſt ſagte; allein das erinnere ich mich wohl, daß er ſagte: ſie haſſen mich, Fraͤulein! ſie haſſen mich. Er ſprach dieſes auf eine ſo unbaͤndige Weiſe, daß ich wuͤnſchte, hundert Meilen von ihm zu ſeyn. Jch ſagte: ich haſſe niemand. Gott- lob, es iſt kein Menſch auf der Welt, den ich haſ- ſen ſollte. Sie jagen mir Furcht ein. Laſſen ſie mich gehen. ‒ ‒ Der Menſch ſahe recht wun- derlich aus. Jch habe noch nie ein Geſichte ge- ſehen, das durch den Zorn ſo verſtellet ward, als das ſeinige. Und woruͤber war er ſo boͤſe? Er faſſete meine Hand, der wilde Menſch faſſete meine Hand ſo an, daß es mir recht wehe that. Einmahl umfaſſete er mich, und er ſchien es recht darauf anzufangen, daß ich ihn beleidigen ſollte. Jch konnte daher nichts thun, als ihn einmahl uͤber das andere mahl bitten, daß er mich moͤchte gehen laſſen.

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Zitationshilfe: [Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 223. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/229>, abgerufen am 24.11.2024.