Der Ruhm, der uns beglückt, Der Sieg, der uns entzückt, Hängt nur am seidnen Faden.
"Bis hieher bin ich fromm gewesen. Allein mei- "ne Göttin soll ehe keine Ruhe haben, bis ich weiß, "wo sie ihre Briefe läßt. Hernach will ich sie in "die Comödie bringen, oder mit ihr ausfahren, oder "sie an einen Ort bringen, da Musick ist."
"Jch habe dir eben meine Anschläge gemeldet. "Dorcas, die auf alles Achtung giebt, hat mir "eine Probe von der argwöhnischen Vorsichtig- "keit ihrer Fräulein erzählet. Sie siegelt jeden "Bief erst mit zwey Oblaten zu, sticht in die "Oblaten, und drückt alsdenn das Siegel auf die "Oblaten. Vermuthlich sind die Briefe, die sie "empfängt, eben so sorgfältig versiegelt, und sie "eröffnet keinen, ehe sie nicht das Siegel besehen "hat. Jch muß nothwendig hinter die Briefe kom- "men: selbst die Schwierigkeit macht mich neugie- "riger. Jst es nicht zu bewundern, da sie so viel "schreibet, daß nicht ein schläfriger oder sorgloser "Augenblick unser Verlangen erfüllet."
"Du siehest, daß die Partheyen bey unserem "Streit nicht ungleich sind. Wirf mir deswegen "nicht vor, daß ich mir ihre Jugend zu Nutze mache. "Sage nichts von Leichtgläubigkeit, denn die "ist gar nicht bey diesem ungläubigen Wunder- "Kinde anzutreffen. Bin ich nicht selbst noch ein
"jun-
Der Ruhm, der uns begluͤckt, Der Sieg, der uns entzuͤckt, Haͤngt nur am ſeidnen Faden.
„Bis hieher bin ich fromm geweſen. Allein mei- „ne Goͤttin ſoll ehe keine Ruhe haben, bis ich weiß, „wo ſie ihre Briefe laͤßt. Hernach will ich ſie in „die Comoͤdie bringen, oder mit ihr ausfahren, oder „ſie an einen Ort bringen, da Muſick iſt.„
„Jch habe dir eben meine Anſchlaͤge gemeldet. „Dorcas, die auf alles Achtung giebt, hat mir „eine Probe von der argwoͤhniſchen Vorſichtig- „keit ihrer Fraͤulein erzaͤhlet. Sie ſiegelt jeden „Bief erſt mit zwey Oblaten zu, ſticht in die „Oblaten, und druͤckt alsdenn das Siegel auf die „Oblaten. Vermuthlich ſind die Briefe, die ſie „empfaͤngt, eben ſo ſorgfaͤltig verſiegelt, und ſie „eroͤffnet keinen, ehe ſie nicht das Siegel beſehen „hat. Jch muß nothwendig hinter die Briefe kom- „men: ſelbſt die Schwierigkeit macht mich neugie- „riger. Jſt es nicht zu bewundern, da ſie ſo viel „ſchreibet, daß nicht ein ſchlaͤfriger oder ſorgloſer „Augenblick unſer Verlangen erfuͤllet.„
„Du ſieheſt, daß die Partheyen bey unſerem „Streit nicht ungleich ſind. Wirf mir deswegen „nicht vor, daß ich mir ihre Jugend zu Nutze mache. „Sage nichts von Leichtglaͤubigkeit, denn die „iſt gar nicht bey dieſem unglaͤubigen Wunder- „Kinde anzutreffen. Bin ich nicht ſelbſt noch ein
„jun-
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Der Ruhm, der uns begluͤckt,
Der Sieg, der uns entzuͤckt,
Haͤngt nur am ſeidnen Faden.
„Bis hieher bin ich fromm geweſen. Allein mei-
„ne Goͤttin ſoll ehe keine Ruhe haben, bis ich weiß,
„wo ſie ihre Briefe laͤßt. Hernach will ich ſie in
„die Comoͤdie bringen, oder mit ihr ausfahren, oder
„ſie an einen Ort bringen, da Muſick iſt.„
„Jch habe dir eben meine Anſchlaͤge gemeldet.
„Dorcas, die auf alles Achtung giebt, hat mir
„eine Probe von der argwoͤhniſchen Vorſichtig-
„keit ihrer Fraͤulein erzaͤhlet. Sie ſiegelt jeden
„Bief erſt mit zwey Oblaten zu, ſticht in die
„Oblaten, und druͤckt alsdenn das Siegel auf die
„Oblaten. Vermuthlich ſind die Briefe, die ſie
„empfaͤngt, eben ſo ſorgfaͤltig verſiegelt, und ſie
„eroͤffnet keinen, ehe ſie nicht das Siegel beſehen
„hat. Jch muß nothwendig hinter die Briefe kom-
„men: ſelbſt die Schwierigkeit macht mich neugie-
„riger. Jſt es nicht zu bewundern, da ſie ſo viel
„ſchreibet, daß nicht ein ſchlaͤfriger oder ſorgloſer
„Augenblick unſer Verlangen erfuͤllet.„
„Du ſieheſt, daß die Partheyen bey unſerem
„Streit nicht ungleich ſind. Wirf mir deswegen
„nicht vor, daß ich mir ihre Jugend zu Nutze mache.
„Sage nichts von Leichtglaͤubigkeit, denn die
„iſt gar nicht bey dieſem unglaͤubigen Wunder-
„Kinde anzutreffen. Bin ich nicht ſelbſt noch ein
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[Richardson, Samuel]: Clarissa. Bd. 4. Göttingen, 1749, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/richardson_clarissa04_1749/18>, abgerufen am 21.11.2024.
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